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Reform im Gegenwind

25. Oktober 2006

Die Gesundheitsreform in ihrer abgespeckten Variante ist von der Bundesregierung an zur Beratung an Bundestag und Bundesrat gereicht worden. Kritiker hoffen dort auf Korrekturen.

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künstliches Gebiss in Herstellung
Es gab Zeiten, als man die Größe eines Geldbeutels am Gebiss seines Besitzers erkennen konnteBild: AP

Das wichtigste Projekt der großen Koalition hat das erste Etappenziel erreicht: Das Kabinett beschloss am Mittwoch (25.10.) in Berlin den umstrittenen Entwurf zur Gesundheitsreform. "Es ist ein gutes Gesetz", sagte Ministerin Ulla Schmidt. Der Entwurf wird nun von Bundestag und Bundesrat beraten. Er soll zum 1. April 2007 Gesetz werden.

Höhere Versicherten-Zahlungen

Schmidt betonte noch einmal das zentrale Ziel der Reform, die Gesundheitsversorgung für alle Menschen in Deutschland unabhängig vom Einkommen auf der Höhe des medizinischen Fortschritts zu sichern. Außerdem werde eine echte Entlastung des Faktors Arbeit erreicht. Bis zu knapp zwei Prozentpunkte des Beitrags müssten künftig nicht mehr vom Arbeitgeber mitfinanziert werden, sagte die SPD-Politikerin. Dagegen müssen Kassenmitglieder bald mehr zahlen: Schon für 2007 wird eine Erhöhung des Beitragssatzes um mindestens 0,5 Punkte erwartet. Auch indirekt steigen die Aufwendungen aller Steuerzahler für ihre Gesundheit, denn nach der Reform sollen bis zu zehn Prozent der heutigen Gesundheitskosten über Steuern finanziert werden. Leistungskürzungen würden vermieden, sagte Schmidt.

Der Kernpunkt des Gesetzes war ursprünglich ein Gesundheitsfonds. Dessen Einführung wurde jedoch auf die Zeit nach den nächsten Bundestagswahlen vertagt. Da er besonders viele Kritiker hat, steht der Fonds wohl auf der Kippe.

Einträchtige Lobbyisten

Dem Projekt steht in Verbänden und selbst in den Regierungsparteien eine Phalanx von Kritikern gegenüber, die auf grundsätzliche Korrekturen im parlamentarischen Verfahren hoffen. In seltener Eintracht wandten sich am Mittwoch Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser, Apotheker, gesetzliche und private Krankenkassen in einer gemeinsamen Resolution noch einmal gegen das Vorhaben. Sie warnt vor Verstaatlichung und Vereinheitlichung: "Diese Reform würde das Gesundheitswesen in die Sackgasse einer Zentralverwaltungswirtschaft führen." Die Versorgung der Menschen im Land werde schlechter und teurer.

Die Verbände forderten einen "Neuanfang". Die bislang unabhängig vom Bundeshaushalt aufgestellte Finanzierung werde wegen des von der Regierung künftig festgesetzten Beitrags "dauerhaft Gegenstand der politischen Diskussion". Die Beziehungen zwischen Patienten, Ärzten, Apothekern und Kassen würden "staatsdirigistisch vorgeschrieben". Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) warnte vor "willkürlichen Beschneidungen der Versorgungsqualität".

Lobbyschutz

Grünen-Chef Reinhard Bütikofer kritisierte dagegen in einem dpa-Gespräch: "Statt Wettbewerb zu Gunsten der Versicherten gibt es Lobbyschutz zu Gunsten von durchsetzungsstarken Lobbys." Einsparpotenziale bei Apothekern, der Pharmaindustrie und niedergelassenen Fachärzten blieben ungenutzt. FDP-Chef Guido Westerwelle will den geplanten Gesundheitsfonds auf jeden Fall zu einem zentralen FDP-Thema im nächsten Bundestagswahlkampf machen. Der Vize-Vorsitzende der Linksfraktion, Klaus Ernst, kritisierte, die Reform löse keine Finanzprobleme und dränge keine Lobbyinteressen zurück.

Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, bemängelte, die Lohnzusatzkosten würden nicht nennenswert unter 40 Prozent gesenkt. "Die dringend notwendige Abkopplung der Beiträge vom Lohn wird nicht erreicht." Sozialverband Deutschland und Volkssolidarität kritisierten die Pläne hingegen als unsozial vor allem für Geringverdiener. (mas)