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"Ein aufrüttelndes literarisches Denkmal"

Christoph Ricking21. Juni 2012

Der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu gibt den Schwachen eine Stimme. Dafür saß er in China im Gefängnis und floh letztes Jahr nach Deutschland. Nun erhält er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

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Der chinesische Dissident Liao Yiwu steht am Montag (14.11.2011) in der Ludwig-Maximilians-Universität in München (Oberbayern) beim Pressegespräch zur Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises. Im Rahmen des Münchner Literaturfests erhält er den Preis für sein Buch «Für ein Lied und hundert Lieder. Ein Zeugenbericht aus chinesischen Gefängnissen». Foto: Frank Leonhardt dpa/lby
Liao YiwuBild: picture-alliance/dpa

Vier Jahre saß der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu im Gefängnis. Sein angebliches Verbrechen: Ein Gedicht und ein Film über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989. Durch Gewalt und Folter in chinesischen Gefängnissen ließ er sich nicht entmutigen. Nach seiner Freilassung 1994 schrieb er trotz aller Schikanen und Drohungen weiterhin Gedichte und Texte über die Armen im Wirtschaftswunderland China. Seit 2001 sind seine Schriften in China verboten. Mehrfach wurde Liao Yiwu in seiner Heimat bedroht und verprügelt. Im letzten Jahr floh er aus China nach Deutschland und lebt heute in München.

Nun erhält Liao Yiwu den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. "Liao Yiwu setzt in seinen Büchern und Gedichten den Menschen am Rand der chinesischen Gesellschaft ein aufrüttelndes literarisches Denkmal", heißt es in der Begründung des Stiftungsrates.

Liao Yiwu bei einer Preisverleihung 2011
Fühlt sich von der Auszeichnung geehrt: Liao YiwuBild: DW

Liao Yiwu fühlt sich geehrt. "Ich hätte nie gedacht, irgendwann mal in der Paulskirche zu sein", so der Schriftsteller gegenüber der Deutschen Welle. "Ich will nur über die Realität schreiben, ich bin so etwas wie ein Kassettenrekorder der Zeit. Dass ein Kassettenrekorder so einen Preis bekommt, ist schon irgendwie komisch."

Schreiben für die Würde

Der in der zentralchinesischen Stadt Chengdu geborene Schriftsteller gehört seit den 1980er Jahren zu den bekannten Lyrikern Chinas. Schon früh machte er sich den chinesischen Staat zum Feind: Zum ersten Mal wurde er 1988 mit einem Schreibverbot belegt. Während seiner Zeit im Gefängnis lernte er Flöte spielen und schlug sich nach seiner Haft als Straßenmusiker durch.

International bekannt wurde Liao Yiwu durch eine im Jahr 2009 veröffentlichte Reportagesammlung über Menschen am unteren Rand der chinesischen Gesellschaft. Die Sammlung erschien in Deutschland unter dem Titel "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser". Offenbar war dieses Buch den chinesischen Machthabern ein Dorn im Auge. Mehrfach ließen ihn die Behörden zu großen Literaturveranstaltungen nicht ausreisen: So konnte der Autor an der Frankfurter Buchmesse 2009, auf der China Ehrengast war, nicht teilnehmen. Kurz vor seinem Besuch beim Kölner Literaturfestival lit.cologne 2010 holte ihn die chinesische Polizei vor dem Abflug nach Deutschland aus dem Flugzeug.

Cover von Liao Yiwus Buch "Für ein Lied und hundert Lieder: Ein Zeugenbericht aus chinesischen Gefängnissen"
"Für ein Lied und hundert Lieder" heißt das neueste Buch von Liao Yiwu.

Im letzten Jahr floh Liao Yiwu über Vietnam nach Deutschland. Erst nach seiner Flucht erschien das Buch "Für ein Lied und hundert Lieder". Darin verarbeitet Liao seine Gefängniserfahrungen. Das Buch musste er mehrmals schreiben, denn die Behörden in China hatten wiederholt das Manuskript beschlagnahmt. "Nur durch das Schreiben dieses Buches konnte ich meine Würde wiedererlangen", sagte Liao nach der Veröffentlichung gegenüber der Deutschen Welle. "Damals dachte ich, ich wäre schon zerschmettert worden. Ich musste diese Erfahrung aufschreiben. Das war für mich auch ein Mittel zur Heilung." Im November letzten Jahres wurde Liao Yiwu in München mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet.

Stimme der Schwachen

Peter Sillem ist der deutsche Lektor von Liao Yiwu beim Fischer-Verlag. Die ganz individuelle Sprache, die zugleich universell ist, mache Liao Yiwus Werk zu Weltliteratur, so Sillem. "Er schafft es, denen, die keine Stimme haben, eine zu geben, also all den Vergessenen, den Menschen, die - wie er es nennt - am Bodensatz der chinesischen Gesellschaft leben", so Sillem. "Man muss nichts über China wissen, um seine Bücher zu lesen, um miterleben zu können, was er auch als Mensch erleben musste."

Mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird seit 1950 eine Persönlichkeit aus dem In- oder Ausland geehrt, die insbesondere auf den Gebieten Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat. Die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnung soll in diesem Jahr während der Buchmesse am 14. Oktober in der Frankfurter Paulskirche an Liao Yiwu verliehen werden.