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Politik

Der Kampf um die Stadtkasse von Istanbul

Daniel Derya Bellut
13. Juni 2019

Erdogans Partei soll die Stadtkasse von Istanbul benutzt haben, um Verwandte und Geschäftspartner des Präsidenten zu begünstigen. Der Kandidat der Opposition möchte bei einem Wahlsieg die Vetternwirtschaft beenden.

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Türkei Erdogan Portrait
Bild: picture-alliance/RIA Novosti/dpa

Istanbul ist das unangefochtene Wirtschaftszentrum der Türkei. In der Bosporusmetropole werden 31 Prozent der Wirtschaftsleistungen des Landes erzielt. Auch deswegen ist die Kasse der Istanbuler Stadtverwaltung prall gefüllt. Kein Wunder also, dass sich bei dem Wahlkampf um das Bürgermeisteramt fast alles ums Geld dreht.

Der Kandidat der sozialdemokratischen CHP, Ekrem Imamoglu, hat ein Lieblingsthema und lässt keine Gelegenheit aus, darüber zu sprechen: der verschwenderische Umgang mit Steuergeldern in der Istanbuler Verwaltung. Bei nahezu jeder Talk-Sendung, zu der er eingeladen wird, zückt er einen Pappkarton mit der Aufschrift "Israf" (Verschwendung). Millionenbeträge für Dienstwagen, Internetseiten und weitere Ausgaben sind darauf aufgelistet: Verschwendungen, die er in seiner kurzen Amtszeit als Istanbuler Bürgermeister festgestellt habe, bevor die Hohe Wahlkommission der Türkei (YSK) ihm den Posten nach 18 Tagen wieder wegnahm.

Bildkombo Istanbuler Bürgermeisterkandidaten Binali Yildirim und Ekrem Imamoglu
Wahlkampf Kopf an Kopf: Ekrem Imamoglu (l.) gegen Binali Yildirim

Imamoglu spricht ein sensibles Thema an: Als der CHP-Politiker im regierungsnahen Sender CNN Türk die mutmaßliche Verschwendungen thematisierte, beendete der Moderator kurzerhand das Interview mit dem Hinweis auf das Ende der Sendezeit. Verständlich: In Zeiten der schweren Wirtschaftskrise wird die Verschwendung von Steuergeldern selbst von regierungstreuen Türken ungern toleriert. Für Kritiker von Präsident Erdogan hingegen sind die Verschwendungen der islamisch-konservativen Regierungspartei noch das kleinste Übel. Ein Privatvermögen im dreistelligen Millionenbereich, Villen und gigantische Grundstücke - die Gerüchte über die Selbstbereicherung des Präsidenten kennt jeder in der Türkei.

Korruption mit System

Unvergessen: der Korruptionsskandal im Dezember 2013. Die Istanbuler Staatsanwaltschaft warf der Regierung illegale Goldgeschäfte mit dem Iran vor, bei denen Mitglieder der türkischen Regierung Bestechungsgelder erhalten haben sollen. Erdogan selber stand im Mittelpunkt des Skandals. Ein geleaktes Telefonat zwischen dem türkischen Präsidenten und seinem jüngeren Sohn Bilal machte in den türkischen Medien die Runde. In dem Telefonat fordert der türkische Präsident seinen Sohn auf, das "Geld im Haus" schnellstmöglich verschwinden zu lassen. Sein Sohn klagt, dass noch 30 Millionen Euro übrig geblieben sind. Erdogan selber bezeichnete den von Experten als authentisch bewerteten Mitschnitt als "Montage" und "Schmutzkampagne".

Kristian Brakel, Leiter des Istanbuler Büros der Heinrich-Böll-Stiftung
Kristian Brakel: Ein eingespieltes SystemBild: picture-alliance/dpa/M. Redeligx

Für Kristian Brakel von der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul sind diese Mitschnitte aus dem Jahr 2013 der klarste Beweis für Korruption im Umfeld des türkischen Präsidenten. Er sieht hinter den Verquickungen zwischen Politik und Wirtschaft ein eingespieltes System: "Es gibt eine Reihe von wichtigen Geschäftsleuten, die der AKP nahe stehen. Sie gewinnen öffentliche Ausschreibungen - viele dieser Ausschreibungen gewinnen dann immer die gleichen Firmen. Daneben gibt es Beispiele, bei denen Geschäftsleute von gesetzlichen Regelungen ausgenommen werden oder die Gesetze offensichtlich zu ihren Gunsten geändert wurden. Diese Firmen - oft handelt es sich um große Holdings - unterstützen dann die AKP auf verschiedene Art und Weise. Ein Geschäftsmann etwa soll die Studiengebühren von Erdogans Kindern in den USA finanziert haben."

Korruption auch in religiösen Stiftungen?

Von dem riesigen Budget der Istanbuler Stadtverwaltung profitierten vor allem religiöse Stiftungen und Vereine. Wie ein zuletzt herausgegebener Bericht der Stadtverwaltung aufführt, sind in Istanbul im Jahr 2018 knapp 130 Millionen Euro an religiöse Stiftungen geflossen. Das ist an und für sich legitim; schließlich sollen sie Bildung und Jugendarbeit fördern. Auffällig ist nur, dass fast all diese Stiftungen mit der AKP zusammenhängen oder sogar direkt mit Erdogans Familie. Mit 11,3 Millionen Euro bekam die Stiftung für Jugend (TÜGVA) die höchsten Zuwendungen. Diese wird von Erdogans jüngstem Sohn Bilal (bekannt durch das Telefonat im Korruptionsskandal) geleitet. Eine weitere Stiftung für Bildung und Jugend (TÜRGEV) erhält über 8 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln. Im Verwaltungsrat dieser Stiftung sitzt Erdogans Tochter Esra Albayrak. Zudem leitet ein Schwiegersohn Erdogans eine Technologie-Stiftung, die über 6 Millionen Euro ausgezahlt bekam.

Bürgermeisterwahl von Istanbul

Bei den Neuwahlen am 23. Juni könnte sich entscheidet, ob das System der Verschwendung, Vetternwirtschaft und Korruption überlebt oder nicht. Sollte Imamoglus konservativer Gegenkandidat Binali Yildirim gewählt werden, ist eine Fortsetzung zu erwarten. Yildirim gilt nicht gerade als Saubermann: Eine Gruppe von internationalen Journalisten, die die sogenannten "Paradise-Papers" auswerteten, fand vor zwei Jahren heraus, dass Yildirims Söhne Anteile an mehreren maltesischen Offshore-Firmen besitzen. Viele vermuten ein Schlupfloch, um Steuern zu umgehen.

Imamoglu: Schluss damit!

Ekrem Imamoglu kündigte an, diesem System ein für allemal ein Ende zu setzen. "Von nun an ist mit den Begünstigungen für ein paar ausgewählte Stiftungen, Vertraute und Gemeinden Schluss; von nun an wird ganz Istanbul begünstigt." In Istanbul werde jetzt Transparenz einkehren, lässt der Sozialdemokrat immer wieder verlauten, die Vetternwirtschaft müsse enden.

Für Erdogan und seine Partei wäre der Verlust Istanbuls ein herber Rückschlag. Sollte der Zugriff auf die vollen Kassen der Istanbuler Verwaltung wegfallen, ließen sich die AKP-Kontakte zu einflussreichen Geschäftsleuten nicht aufrecht erhalten. Eine Säule des Machterhalts bräche weg. Zudem würde ein Machtwechsel das Ausmaß der illegalen Machenschaften der Vorgänger-Verwaltung aufdecken - ein Gesichtsverlust für den türkischen Präsidenten Erdogan.