1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Erdogan Präsidentschaftskandidat

Thomas Seibert1. Juli 2014

In der Türkei ist der Kampf um das höchste Staatsamt offiziell eröffnet. Bei einem Sieg von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan steht dem Land ein grundlegender Wandel zu einem Präsidialsystem bevor.

https://p.dw.com/p/1CTEZ
Recep Tayyip Erdogan tritt bei türkischer Präsidentschaftswahl an (Foto: AFP PHOTO/ADEM ALTAN)
Bild: AFP/Getty Images

Mehmet Ali Sahin, Vizechef von Erdogans Regierungspartei AKP, rief Erdogan bei einer Parteiveranstaltung in Ankara als Kandidaten aus. Gewählt wird am 10. August. Erhält Erdogan mehr als 50 Prozent der Stimmen, zieht er als erster direkt gewählter Staatschef des Landes in den Präsidentenpalast im Ankaraner Stadtteil Cankaya ein. Verfehlt er die 50-Prozent-Marke, muss er sich am 24. August einer Stichwahl stellen. Seine beiden Gegenkandidaten – Ekmeleddin Ihsanoglu von den Oppositionsparteien CHP und MHP sowie Selahattin Demirtas von der Kurdenpartei HDP - wollen genau das erreichen.

Alle Umfragen sehen Erdogan klar vorne; die meisten Befragungen sprechen ihm gute Chancen auf einen Sieg in der ersten Runde zu. Der Istanbuler Demoskop Murat Gezici sieht dies etwas anders: Laut seinen Erkenntnissen liegt Erdogan unter der 50-Prozent-Marke.

Erdogan will Sieg in der ersten Runde

Doch nur wenn der 60-jährige Erdogan den Sieg in der ersten Runde erzielt, könnte er ein Mandat der Wähler für eine Präsidentschaft ableiten, wie er sie anstrebt. Er hat mehrmals erklärt, dass er sich als Staatsoberhaupt nicht auf repräsentative Aufgaben beschränken, sondern das Land regieren will. Unter der derzeitigen Verfassung ist die Türkei zwar eine parlamentarische Demokratie. Doch der Präsident hat neben zeremoniellen auch einige praktisch-politische Befugnisse, die Erdogan nutzen will. Dazu gehört das Recht, Kabinettsitzungen zu leiten. Das will Erdogan auch tun.

Ein Präsident Erdogan wäre also im politischen Alltag auch der oberste Chef der Regierung; die Direktwahl durch das Volk werte das Präsidentenamt stark auf, schrieb der Kolumnist Mehmet Metiner in der regierungsnahen Zeitung "Yeni Safak". Dagegen würde der bisher entscheidende Posten des Ministerpräsidenten deutlich in den Hintergrund treten.

Ekmeleddin Ihsanoglu (AFP PHOTO/KARIM JAAFAR)
Kandidat der Opposition ist der frühere OIC-Generalsekretär Ekmeleddin IhsanogluBild: Getty Images/AFP

Umbau zum Präsidialsystem

Ein Sieg Erdogans wäre gleichbedeutend mit einer Zustimmung der Wählerschaft zu einem System-Umbau hin zu einem Präsidialsystem, betonte Metiner. Kritiker sehen darin eine Gefahr. Denn ein solcher Umbau würde die von der Verfassung vorgesehene Rolle des Präsidenten bei der Kontrolle der Regierungspolitik beseitigen - die Folge sei ein Machtzuwachs für Erdogan ohne gleichzeitige Stärkung demokratischer Kontrollmechanismen.

Allerdings muss Erdogan als Präsident sein Parlamentsmandat sowie den Vorsitz der AKP abgeben. Derzeit ist unklar, wer ihn als Premier und Parteichef beerben wird. Der amtierende Staatschef Abdullah Gül schloss einen Ämtertausch mit Erdogan nach russischem Vorbild ursprünglich aus, will sich inzwischen aber nicht mehr festlegen.

Sorge um die Partei

Die Sorge um die Frage, wie die AKP ohne ihn zusammengehalten werden kann, treibe Erdogan um, meint Sahin Alpay, Politologe an der Istanbuler Bahcesehir-Universität. Sollte ein machtbewusster Politiker wie Gül an die Spitze der AKP rücken, werde Erdogan die direkte Kontrolle über die Partei verlieren, sagte Alpay der Deutschen Welle. Entscheidet sich Erdogan für einen politisch schwächeren Nachfolger als Parteichef, nimmt er in Kauf, dass dieser möglicherweise nicht stark genug sein wird, um die diversen Flügel der Partei zu bändigen.

Aus dieser Lage ergäben sich Zweifel hinsichtlich des Abschneidens der AKP bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr, sagte Alapy weiter. In Ankara werde gemunkelt, dass die Sorge um die AKP selbst in Erdogans eigener Familie für Skepsis hinsichtlich der Präsidentschaftskandidatur gesorgt habe.

Kurdischer Präsidentschaftskandidat Selahattin Demirtas (R) mit Parteifreunden (AFP PHOTO/STR/Getty Images)
Kurdischer Präsidentschaftskandidat: Selahattin Demirtas (R)Bild: AFP/Getty Images

Das Fell des Bären

Diese Überlegungen betreffen jedoch gewissermaßen das Fell des Bären, denn sie setzen einen klaren Sieg Erdogans in der ersten Runde am 10. August voraus. Laut Alpay hat Erdogan allen Grund zur Zuversicht. Sein Gegenkandidat Ihsanoglu sei ein politisches "Leichtgewicht", das selbst in den Reihen der Opposition umstritten sei.

Aus der Sicht von Demoskop Gezici ist die Sache nicht ganz so eindeutig. Die Persönlichkeit von Ihsanoglu, des 70-jährigen Ex-Generalsekretärs der Islamischen Weltorganisation OIC, mache es Erdogan unmöglich, im Wahlkampf die "Islam-Karte" zu spielen, wie er es in den Wahlkämpfen der vergangenen Jahre stets getan habe, sagte Gezici der Deutschen Welle. Ihsanoglu könne religiös-konservative Wähler ansprechen. Zudem werde Kurden-Kandidat Demirtas rund 7,5 Prozent der Wählerstimmen auf sich ziehen, sagte Gezici voraus - Stimmen, die Erdogan am 10. August für einen Erfolg in der ersten Runde fehlen könnten.