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Erdogans Geldpolitik befeuert Rekordinflation

6. Juli 2021

Die Inflation in der Türkei steuert auf einen neuen Rekord zu. Das Leben wird immer teurer, die Kaufkraft nimmt ab. Dennoch möchte Erdogan die Zinsen nicht erhöhen und befeuert dadurch die Inflation weiter.

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Markt  Diyarbakir Türkei
Bild: Getty Images/AFP/I. Akengin

Die türkische Wirtschaftbefindet sich schon seit Langem in einem desolaten Zustand: Seit über zwei Jahren ist die türkische Lira unaufhaltsam im Sinkflug. Die ständigen Preisschwankungen, besonders von Grundnahrungsmitteln, machen der türkischen Bevölkerung schwer zu schaffen. 

Wer auf eine baldige Besserung gehofft hatte, wurde nun erneut enttäuscht. Das Statistikinstitut der Türkei (TÜiK), das monatlich einen Verbraucherpreisindex herausgibt, bestätigt: Die Preise sind im vergangenen Monat erneut gestiegen. Im Juni gab es im Vergleich zum Vormonat eine Erhöhung von 1,94 Prozent - die Inflationsrate liegt nun bei 17,5 Prozent. Auch die Erzeugerpreise sind in die Höhe geschossen - auf das Jahr gerechnet befinden sie sich bei 42,9 Prozent. Somit erreichte die Inflation den höchsten Stand in den letzten zwei Jahren.

Corona-Politik wirkt sich auf Inflation aus

Oguz Demir von der Handelsuniversität Istanbul sagt, dass auch die sogenannte "Normalisierung" zu Inflation beigetragen hätte. Die Regierung hat ab dem 1. Juli wieder einen Großteil der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie rückgängig gemacht. Die Aufhebung der Ausgangssperren und die Rückkehr vieler Menschen an ihre Arbeitsplätze hätten den Konsum gesteigert, so der Ökonom.

 "Angesichts der sehr lebhaften Nachfrage war der Juni ein Monat, in dem Hersteller und Unternehmen ihre aktuellen Preise angepasst haben. Tatsächlich wäre es nicht allzu überraschend, wenn die Inflation noch höher ausgefallen wäre", so die Einschätzung Demirs.

"Die 'Normalisierung' hat zu Inflation beigetragen", sagt Oguz Demir
"Die 'Normalisierung' hat zu Inflation beigetragen", sagt Oguz DemirBild: privat

Nur der Anfang?

Viele Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass sich dieser Trend in der näheren Zukunft noch weiter verschärfen wird: In den kommenden Monaten wird aus verschiedenen Gründen mit einem weiteren Anstieg der Inflation gerechnet: Ab dem 1. Juli wurden in der ganzen Türkei die Preise für Strom und Erdgas erhöht. Das hat mit dem weiteren Verfall der Landeswährung zu tun: Die türkische Lira hat zuletzt wieder stark an Wert verloren - daher wurde der US-Dollar immer teurer. Deshalb haben Energieanbieter starke Verluste erlitten, denn der Import aus dem Ausland ist an den Dollarkurs gekoppelt. Die Unternehmen versuchen mit Hilfe von Preiserhöhungen das Einnahmedefizit zu reduzieren oder gar zu schließen.

Aber auch der sehr trockene Sommer hat Einfluss auf die Inflation, meinen Experten. Die Dürre lasse die Lebensmittelpreise, besonders für Obst und Gemüse, in die Höhe schießen. "Im Juli werden wir uns wahrscheinlich nach dem Monat Juni sehnen. Im August werden wir uns nach dem Juli sehnen. Mit anderen Worten: Wir werden eine ernsthafte Inflationsphase erleben", meint Öner Güncavdi von der Technischen Universität Istanbul.

Kaufkraft nimmt ab

Laut der TÜiK-Daten sind besonders die Verkehrskosten angestiegen (plus 26,29 Prozent) - die Preise für Inlandsreisen haben sich sogar um 51,6 Prozent erhöht. Es folgen Haushaltswaren (25,69 Prozent) und Lebensmittel (19,99 Prozent).  Viele Ökonomen gehen davon aus, dass die Inflationsrate in der Türkei sehr bald einen Wert von 20 Prozent erreichen wird.

Die negative Preisentwicklung wirkt sich verstärkt auf die Einkommensverteilung in der Gesellschaft aus. Die Schere wird immer grösser: Der Mittelschicht ist nahezu verschwunden, die Türkei spaltet sich nur noch in Arm und Reich. Weil der Preisanstieg vor allem Grundnahrungsmittel betrifft, werden besonders die Geringverdiener und Armen die Folgen der Inflation noch mehr zu spüren bekommen. "Die hohe Inflationsrate wird bestimmte Segmente viel stärker treffen und unerwünschte Folgen sowohl für die Armut als auch für die Einkommensverteilung haben", schätzt Güncavdi ein.

"Es wird eine ernsthafte Inflationsphase eintreten", meint Oner Güncavdi
"Es wird eine ernsthafte Inflationsphase eintreten", meint Oner GüncavdiBild: Privat

Erdogan mit unorthodoxer Geldpolitik

Viele in der türkischen Bevölkerung machen die Geldpolitik der türkischen Regierung für diese Entwicklung verantwortlich. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gilt als Befürworter eines niedrigen Leitzinses, weil dadurch Kredite billiger werden, was im Endeffekt das Wirtschaftswachstum ankurbelt. Ein unorthodoxes Rezept: Denn in den meisten Volkswirtschaften ist es üblich, in Zeiten der Inflation den Leitzins zu erhöhen.

Seit Monaten zieht die Inflation in der Türkei an - dennoch rückt Erdogan von seiner Geldpolitik nicht ab und setzt die türkische Notenbank unter Druck. Regelmäßig ließ er hohe Beamten der Zentralbank entlassen, weil sie sich weigerten, den Leitzins zu senken. Zuletzt wurde der Notenbankchef Naci Agbal durch Sehap Kavcioğlu - ein ehemaliger Abgeordneter der türkischen Regierungspartei AKP - ersetzt.

Wirtschaftsexperten fordern Leitzins-Erhöhung

Öner Güncavdı hält dieses geldpolitische Manöver für falsch. Es müssten so schnell wie möglich Schritte unternommen werden, um die türkische Lira aufzuwerten und den Druck durch die hohe Inflation zu lindern. Dazu müssten Zinssätze erhöht werden, betont der Ökonom. 

Laut des Inflationsberichts des Internationalen Währungsfonds (IWF), der im April 2021 herausgegeben wurde, ist die Türkei auf Platz 14 der Länder mit der höchsten Inflationsrate. Im IWF-Bericht wurde darauf hingewiesen, dass die Türkei im Nahen Osten und in Europa nur von Libyen und dem Iran übertroffen wird.