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Politik

Erdogans Twitter-Angriff auf die Opposition

Tunca Öğreten
1. März 2019

Kurz vor den Kommunalwahlen ist die türkische Gesellschaft gespalten. Staatspräsident Erdogan treibt diese Spaltung mit nur einem Tweet noch weiter voran.

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Recep Tayyip Erdogan
Bild: picture-alliance/AA/M. Kula

Es war am späten Dienstagabend, als Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit einem einzigen Tweet in den sozialen Medien eine neue Diskussion entfachte.

Darin bezeichnet er diejenigen, die seine "Volksallianz" zwischen der ultranationalen MHP und der islamisch konservativen AKP unterstützen, als treue, vaterlandsliebende Menschen. Doch diejenigen, die dem oppositionellen "Bündnis der Nation" folgen, sind in seinen Augen "Unterstützer einer terroristischen Vereinigung". Ist das Kalkül oder doch eher Verzweiflung, um die Wähler der AKP bei der Stange zu halten?

Es ist zwar nicht das erste Mal, dass sich Erdogan so - auch vor laufenden Kameras - geäußert hat. Premiere ist allerdings beide Lager in dieser Art und Weise auf Twitter gegenüber zu stellen und zu vergleichen. Das ist eine ganz neue Dimension der Wahlpropaganda.

Die Guten und die Schlechten

Am 31. März finden in der Türkei Kommunalwahlen statt. In seinem Tweet schreibt Erdogan, dass sich dann "zwei Bündnisse gegenüber stehen". Sein Bündnis habe bereits während des versuchten Putsches am 15. Juli 2016 auf den Straßen und Plätzen gezeigt, wer sein Land liebe und schütze. Das oppositionelle Bündnis sei dagegen ein Produkt aus geheimen Absprachen und politischen Verabredungen. Die Türkei sei ihnen vollkommen egal.

Für den Staatspräsidenten steht sein geschaffenes Bündnis "unter dem Befehl der türkische Nation". Das oppositionelle Bündnis sei unter dem Joch der terroristischen kurdischen Arbeiterpartei PKK und den Verantwortlichen des Putsches, nämlich der Gülen-Bewegung. Erdogan geht so weit, dass sein Bündnis die Verteidiger des Rechts und der Gerechtigkeit seien. Alle anderen beschuldigt er der Lüge, Verleumdung, Beleidigung und Leugnung.

Türkei Ankara Bündnis Kilicdaroglu (R)  Aksener
Kemal Kilicdaroglu, Vorsitzender der CHP, und Meral Aksener, Vorsitzende der rechtsnationalistischen IYI-Partei schließen "Wahlbündnis" Bild: picture-alliance/AA/M. Kaynak

Doch das ist noch nicht alles: Erdogans Bündnis möchte nur der Diener des Volkes sein. Das oppositionelle Bündnis sei nur darauf bedacht, der verlängerte Arm der Terrororganisationen in die Gemeinderäte und den Bürokratieapparat zu werden.

Immer wieder bemüht Erdogan den Begriff Bündnis. Dabei ignoriert er, dass in der Türkei bei Kommunalwahlen keine Bündnisse auf den Wahlzetteln möglich sind. Allerdings können sich Parteien gegenseitig bei ihren Kandidaten unterstützen, worauf sich AKP und MHP geeinigt haben. Auf der oppositionellen Seite geschieht dies bei der säkularen CHP, der nationalistischen IYI-Partei und der konservativen Saadet-Partei.

Die prokurdische HDP, die von Erdogan immer in einem Atemzug mit der PKK genannt wird, tritt nicht in allen Provinzen mit eigenen Kandidaten an. Erdogans Tweet scheint sich dabei schon auszuzahlen. AKP-Anhänger sind jetzt schon bemüht, die Opposition zu diskreditieren und unterstellen der HDP und der CHP ein geheimes Bündnis.

Der ehemaliger HDP-Co Vorsitzende Demirtas sitzt wegen "Terrorstützung" im Gefängnis
Terrorvorwürfe und die Konsequenz: Der ehemaliger HDP-Co Vorsitzende Selahattin Demirtas sitzt wegen "Terrorstützung" im Gefängnis Bild: picture-alliance/dpa/HDP

"Keine Garantie der Straflosigkeit für Wähler der Opposition!"

Bei seiner Amtseinführung hat Erdogan geschworen, überparteilich und der Staatspräsident aller Menschen im Land zu sein. Doch dieses neue Narrativ ist nach Angaben von Experten nur dazu geeignet, die Gesellschaft stark zu polarisieren. Die Reaktionen auf Twitter scheinen das zu bestätigen.

Der Internet-Experte und Wissenschaftler Kerem Altıparmak stellt die Frage, "ob es überhaupt eine Garantie gebe, dass die Menschen nicht strafrechtlich verfolgt werden, weil sie ein Bündnis der Erniedrigung unterstützen und damit versucht haben, die Regierung zu stürzen?"

Die Vorsitzende der IYI Partei Meral Akşener schreibt auf Twitter, dass eine Beleidigung der Hälfte des Landes nicht zu tolerieren sei. In der Tradition des türkischen Staates sei ein solches Gebaren des Staatspräsidenten inakzeptabel.

Der CHP-Abgeordnete Aykut Erdoğdu weist darauf hin, dass der Staatspräsident bei seiner Amtseinführung mit Verweis auf die türkische Verfassung auf seine Ehre geschworen habe, unparteiisch zu sein und allen Menschen in der Türkei zu dienen.

Der Schwur des Staatsprädienten auf Überparteilichkeit

Das ehemalige AKP-Vorstandsmitglied Osman Can sieht dies anders. "Wenn Erdogan auf die Verfassung schwört, ist und bleibt er zwar der Präsident der Türkischen Republik, er ist aber in erster Linie der Parteichef der AKP", sagt er. Nach Ansicht von Can ist Erdogan eine Person, die die Politik seiner Partei bestimmt und durchführt und in diesem Zusammenhang auch zu Recht parteiisch sein darf.

Der Jurist Can kritisiert allerdings schon, dass ein Zusammenhang zwischen der Opposition und Terrororganisationen in den Äußerungen Erdoğans nicht verfassungsgemäß sei. Er erklärt, dass ein Politiker, der die Macht hat, zu lenken, zu schalten und zu verwalten, dann doch eine etwas vorsichtigere Sprache verwenden sollte: "Eine gemäßigte Tonalität zu nutzen, erhöht die Chancengleichheit und öffnet die Perspektive eines faires Rennens."

Nutzen für die Opposition

Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Avrasya, Kemal Özkiraz, geht im Interview mit der DW davon aus, dass die Kommentare Erdogans auch bei AKP-Anhängern abgelehnt würden. "Da Erdoğan die Argumente gegen die kurdische HDP ausgegangen sind, versucht er mit profaner Polemik die Partei in eine feindselige Ecke zu stellen."

Erdogan mag mit seinen Äußerungen bezwecken, dass die Menschen die Opposition nicht wählen. Doch stattdessen könnte der Staatspräsident sich den Zorn seiner eigenen Wählerschaft auf sich ziehen, so Özkiraz. Es sei auch möglich, dass die bislang noch unentschlossenen Wähler am 31. März ihr Kreuzchen bei den oppositionellen Kandidaten machen. Dies hätte dann unter Umständen zur Folge, dass es in einigen Metropolen bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen zu Gunsten der Opposition ausgehen könnte, so Meinungsforscher Özkiraz.