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Erfolgsgeschichte Freiwilligendienst

Wolfgang Dick30. Juni 2012

Mit dem Ende der Wehrpflicht vor einem Jahr lief auch der Zivildienst aus. Freiwillige sollten die Lücke füllen. Das Programm wurde ein Erfolg: Zehntausende waren bereit, für ein Taschengeld im Sozialbereich zu arbeiten.

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Im Seniorenheim betreut ein 19-jähriger einen alten Mann beim Mittagessen Foto: Patrick Pleul (dpa)
Bild: picture alliance / dpa

Der Start des Bundesfreiwilligendienstes verlief etwas schleppend. Aber dann meldeten sich immer mehr Menschen, um sich zu engagieren. Die Freiwilligen wurden schnell liebevoll "Bufdis" genannt. 50.000 Bürger sind seit dem Start vor einem Jahr (01.07.2011) in sozialen Einrichtungen zum Bundesfreiwilligendienst angetreten. Eine hohe Zahl, die auch einen gesellschaftlichen Wandel widerspiegelt. Denn die Bufdi-Vorgänger, die Zivildienstleistenden (kurz Zivis genannt) hatten in der Bundesrepublik zunächst einen schlechten Stand - das zeigt der Blick zurück, auf die Anfänge dieses Wehrersatzdienstes.

In Westdeutschland wurde mit Gründung der Bundeswehr 1956 auch die Wehrpflicht eingeführt. Sie betraf in der Regel alle Männer ab dem vollendeten 18. Lebensjahr. Wer den Wehrdienst, der damals noch bis zu achtzehn Monate umfasste, aus Gewissensgründen nicht leisten konnte, hatte die Möglichkeit, einen Zivildienst anzutreten. Aber um diesen Dienst im sozialen Bereich ableisten zu dürfen, gab es strenge Auflagen und sogar eine Gewissensprüfung. Der Zivildienst war in den 1950er und 1960er Jahren gesellschaftlich noch geächtet. Es galt: Als "echter Mann" und "treuer Deutscher" bereitete man sich darauf vor, das Land im Ernstfall mit der Waffe zu verteidigen. In Krankenhäusern oder Altenheimen auszuhelfen, galt lange Zeit als Schwäche von "Träumern", die der ersten Bürgerpflicht nur ausweichen würden, um es sich einfach zu machen. Die Zeiten änderten sich.

Spätestens mit der Friedensbewegung der 1980er Jahre war der Zivildienst als wertvoller Einsatz in der Gesellschaft anerkannt. 1980 leisteten sogar vier Prozent mehr junge Männer Zivil- als Wehrdienst. Die Tendenz verstärkte sich weiter. Es folgten das Ende des Kalten Krieges zwischen Ost und West, die Wiedervereinigung Deutschlands und die ersten Auslandseinsätze der Bundeswehr. Das brachte weitere entscheidende Veränderungen für den Wehrdienst und auch für den Ersatzdienst. Weil die Bundeswehr schließlich verkleinert werden sollte, war ein Festhalten an der Wehrpflicht nicht mehr notwendig. Im vergangenen Jahr entschied die Politik, die Wehrpflicht auszusetzen und künftig auf das Prinzip der Freiwilligkeit zu setzen. Damit war auch der Zivildienst Geschichte.

Soziales Engagement im "Bundesfreiwilligendienst"

Zwei junge Männer helfen einem älteren Herrn beim Gehen. Foto: DW-Archiv
Der Zivildienst ist GeschichteBild: DW-TV

Mit dem so genannten "Bundesfreiwilligendienst" sollten nun all jene Positionen versorgt werden, die bisher Zivildienstleistende besetzt hielten. Sie hatten alte Menschen betreut, halfen beim Bettenmachen in Krankenhäusern, übernahmen Medikamentenverteilung, engagierten sich im Umweltschutz und arbeiteten zu Tausenden in deutschen Sozialdienstorganisationen mit.

Als Ersatz für die Zivis würden 30.000 Leute benötigt, hatte die Bundesregierung ausgerechnet. Die Sorge war groß, dass es zu wenig Freiwillige geben würde, die für ein Taschengeld all diese Aufgaben übernehmen würden. Deshalb erweiterte man den Kreis der Personen, die den "Bundesfreiwilligendienst" ableisten dürfen. Nicht mehr nur junge Männer kamen in Frage, sondern alle Bürger ab 16 Jahre: Männer und Frauen jeden Alters, Jugendliche und Rentner, Hausfrauen, Berufsaussteiger und Arbeitslose - das gesamte gesellschaftliche Spektrum.

Und so sind rund zwanzig Prozent der Bufdis sogar älter als 50 Jahre. Unter ihnen zum Beispiel ein pensionierter Hausmeister, der in einer Schule Bastelkurse anbietet. Die meisten Teilnehmer allerdings sind zwischen 16 und 26 Jahre alt. Zu ihnen gehören auch Luisa Schroeder (20) und Christoph Schröder (19).

Helfen und Lernen

Eigentlich wollte Luisa nach dem Abitur einfach nur ausspannen und dann Pädagogik studieren. Doch schon nach ein paar Wochen plagt sie die Langeweile. "Ich will mich nützlich machen und dabei noch etwas lernen", sagt sie sich. Luisa startet eine Suche nach geeigneten Stellen. Das war zunächst gar nicht so einfach. Denn viele Organisationen wussten am Anfang nicht, wie der "Bundesfreiwilligendienst" überhaupt organisiert war. "Alles war neu und schien etwas hastig zusammengeschustert", erinnert sich Luisa Schroeder.

Bundesfreiwillige Luisa Schroeder Foto: Wolfgang Dick
Bundesfreiwillige Luisa SchroederBild: DW

Doch sie gibt nicht auf und findet schließlich eine Stelle in einer Schule. Dort hilft sie, damit behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam lernen können. Konkret betreut sie einen kleinen Jungen mit Konzentrationsschwierigkeiten. Mit ihm übt sie und begleitet ihn zur Schule und auf dem Weg nach Hause.

"Viele meiner Freunde sind beeindruckt, was ich hier alles machen darf", erzählt Luisa, deren freiwilliger Einsatz in diesen Tagen zuende geht. Es habe sich absolut gelohnt. "Ich habe gelernt, wie viel man Kindern geben kann und ich habe gelernt - ohne zu jammern und zu meckern - Dinge zu tun, die einfach notwendig sind."

Wie Luisa berichten viele Bufdis, dass sie der Einsatz persönlich positiv beeinflusst und verändert hat. Luisa hatte eigentlich von der Schule genug, überlegt sich aber doch, ob sie nicht den Lehrer-Beruf ergreifen sollte. Schade findet sie nur, dass so viele ihrer Freunde dermaßen unter Leistungsdruck stehen, dass sie auf alles verzichten, was nicht unmittelbar der Karriere zugute kommt.

Der Gesellschaft etwas zurückgeben

"Warum verschwendest du ein Jahr?" fasst Christoph Schröder die Fragen seiner Freunde und Bekannten zusammen. "Die konnten das gar nicht verstehen, dass ich das machen wollte." Der 19-Jährige hilft bei der Betreuung und Organisation in einem Kindergarten. Er habe mit seiner Teilnahme am Bundesfreiwilligendienst einfach etwas zurückgeben wollen. Immerhin habe die Gesellschaft ihm 13 Jahre Schule finanziert und Bildung ermöglicht. Was sich vielleicht ein wenig staatstragend anhört, ist bei vielen Bewerbern tatsächlich ein wichtiger Beweggrund für ihr soziales Engagement. Das bestätigen viele Gespräche in den Seminaren, die im Bundesfreiwilligendienst einen Erfahrungsaustausch unter den Teilnehmern sicherstellen sollen.

Bundesfreiwilliger Christoph Schröder Foto: Wolfgang Dick
Bundesfreiwilliger Christoph SchröderBild: DW

"Ich habe außerdem viel gelernt", freut sich Christoph. Planung habe nie zu seinen Stärken gehört. Das sei jetzt anders. Außerdem habe er sich weiterentwickelt in Sachen Geduld, Einfühlungsvermögen in andere Menschen und Teamgeist. Viele Eltern der Jungen und Mädchen, die Christoph Schröder betreut, sind dem Bufdi dankbar. Ohne ihn hätte eine Kindergartengruppe geschlossen werden müssen. Für seinen Dienst erhält er lediglich eine Art Taschengeld. 160 Euro im Monat und einen Betrag für das Essen. "Aber für Geld macht niemand diesen Dienst".

Es gibt also noch wirklich engagierte Überzeugungstäter in Deutschland. Auch die geringe Abbrecherquote von nur zehn Prozent spricht dafür. Die traurige Nachricht allerdings kommt aus Berlin. Alle fünf Bundestagsfraktionen - also Regierung und Opposition - sind sich einig: Für den Bundesfreiwilligendienst werden keine zusätzlichen Stellen bewilligt. Dafür sei kein Geld vorhanden, heißt es im Familienministerium.