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Erkannt und angepackt

Vanessa Fischer28. November 2002

Mitte der 90er Jahre prognostizierte die Weltbank, in Brasilien würden um die Jahrtausendwende 1,2 Millionen Menschen mit dem HIV-Virus infiziert sein. Heute gilt Land als Musterbeispiel im Umgang mit der Immunschwäche.

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Kinder in einem Aids-Horpiz in Rio de JaneiroBild: AP

Regelmäßig werden die Länder Lateinamerikas von UNAIDS (Joint United Nations Programme on HIV-Aids) gerügt, zu wenig gegen die Ausbreitung des Virus in ihren Ländern zu tun. 1,6 Millionen Menschen sind in der Region HIV-positiv, die meisten davon, nämlich 610.000, in Brasilien. Dennoch hat das größte lateinamerikanische Land die Epidemie unter Kontrolle.

Seit 1987 verfügt Brasilien über ein in der Dritten Welt einmaliges, staatliches Anti-Aids-Programm, das stetig erweitert wurde. Als einziges Entwicklungsland gewährleistet es seit Mitte der 90er Jahre die landesweite und kostenlose Vergabe von Arzneimitteln an Aids-Patienten. In den letzten fünf Jahren konnte Brasilien somit die Zahl der Aids-Toten um nahezu 50 Prozent reduzieren.

Kampf mit den Pharmagiganten

Über die Hälfte der Medikamente, sogenannte Nachahmerprodukte, werden kostengünstig von einheimischen Unternehmen produziert und inzwischen auch nach Afrika exportiert. Gegenüber der internationalen Pharmaindustrie fährt Brasilien eine harte Gangart. Erst im vergangenen Jahr erreichte die Regierung mit der Drohung, auch neuere Patente zu brechen, beim Schweizer Konzern Roche einen Preisnachlass von 40 Prozent.

Die nationalen Anstrengungen in der Aids-Politik werden in der Praxis als großer Erfolg gewertet. "Um die flächendeckende Behandlung der Aids-Patienten sicherzustellen, ist es fundamental, dass die Kosten in einem Verhältnis zu unserer ökonomischen Realität stehen", sagt Dr. Bernardo Furrer, Arzt und Spezialist für Lungenkrankheiten am städtischen Gesundheitszentrum von Rio de Janeiro. Seit sechs Jahren behandelt er HIV-infizierte Patienten.

Offensive Präventionspolitik

Brasilien ist es bislang gelungen, die Gefahr von Aids nicht zu verdrängen sondern präsent zu halten. Aggressive und dauerhafte Kampagnen in den Medien, die Verbreitung von Plakaten und Anzeigen, sind ein wichtiger Teil der nationalen Präventionspolitik.

Eine weitere Säule sind die regionalen und lokalen Test- und Beratungszentren (Centros de Testagem e Aconselhamento). Hier werden neben medizinischer auch psychologische Betreuung und Beratung angeboten. In Zusammenarbeit mit Nichtstaatlichenorganisationen gehen Helfer regelmäßig an Schulen und in Armenviertel, um vor Ort Aufklärung zu leisten. Dazu gehört auch - gegen den Willen der katholischen Bischöfe - die freie Vergabe von Präservativen.

Ohne soziale Stütze

Bei den traditionell gefährdeten Gruppen der Homosexuellen und Drogenabhängigen haben die staatlichen Aufklärungskampagnen besonders gefruchtet. "Heute haben wir den höchsten Zuwachs an Infizierten in der Gruppe heterosexueller Frauen, die sich lange nicht angesprochen fühlten", erklärt Dr. Bernardo Furrer. Das habe ein Umdenken in der Präventionspolitik erfordert. Daher werde nunmehr von Risikoverhalten und nicht länger von Risikogruppen gesprochen.

Trotz des erfolgreichen Anti-Aids-Programms sieht Furrer weiteren Handlungsbedarf: "Zu den größten Problemen zählen weiterhin die Vorurteile gegenüber HIV-Infizierten sowie deren soziale Absicherung. Viele sind vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und es gibt in unserem Land kein soziales Netz, welches die Menschen in solchen Lebenslagen auffängt."