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Der norwegische Popstar Erlend Øye

Philipp Jedicke1. November 2014

Der norwegische Musiker Erlend Øye beherrscht von Akustik-Sounds bis hin zu Elektronik sämtliche Genres. Im Interview mit der DW spricht er über sein neues Album, seine Zeit in Berlin und den Alltag auf Sizilien.

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Deutschland Norwegen Musik Sänger Erlend Öye
Bild: Daniele Testa/Powerline Agency

Deutsche Welle: Nach Deutschland, Brasilien und Norwegen leben Sie momentan auf Sizilien. Wird das erstmal eine Weile so bleiben?

Erlend Øye: Zurzeit habe ich keine anderen Pläne. Aber wer weiß schon, was die Zukunft bringt? Die Medien beißen sich so daran fest, aber ich bin nie ausschließlich an ein- und demselben Ort. Darum geht es auch auf meinem aktuellen Album und letztlich bei allem, was ich tue. Mein Körper ist mein Zuhause. Wo ich wohne, ist zweitrangig.

Sie haben nicht nur zwei Musiker aus Italien in Ihrer neuen Liveband, sondern schwärmen in Interviews auch von italienischer Popmusik.

Italien ist für mich ein ganz eigenes Musik-Universum. Fast alle bekannten englischsprachigen Songs, die man aus den 60ern und 70ern kennt, existierten auch auf Italienisch. Vor England und den USA war Italien Musik-Export-Land Nummer eins. Lieder wie “Volare” waren in der ganzen Welt bekannt. Aber in den 80ern fingen die Italiener an, ziemlich dämliche Popmusik zu machen. Mit Sängern, die alle mit dieser üblen, übertrieben heiseren Stimme sangen.

Sie haben Ihr aktuelles Album "Legao" mit der isländischen Band Hjálmar aufgenommen…

Ich hatte sie auf einem Festival in Norwegen gesehen und habe mir danach ihre Songs angehört. Mir war sofort klar: Das ist die Band, mit der ich arbeiten möchte. Sie machen Reggae, aber nicht wegen des Lifestyles, sondern ausschließlich aus musikalischen Gründen. Reggae passt einfach zu ihrer Art des Songschreibens, denn sie haben viele langsame Stücke, so wie ich. Um diese tanzbar zu machen, ist Reggae das einzige, was funktioniert.

CD Cover Legao von Erlend Öye
Cover des aktuellen Albums "Legao"Bild: Bubbles Records

Auf "Legao" gibt es einige Referenzen an den oft als "Yacht Rock" bezeichneten, soften Rocksound der 70er und 80er. War das die Referenz für das Album?

Die Ästhetik gefällt mir. Sie stammt aus der großen Zeit der Tonstudios Ende der Siebziger. Das war, bevor Musik mithilfe von Computern programmiert wurde. Ich finde es viel schöner, Material live einzuspielen. Ich will mit guten Musikern arbeiten und gemeinsam spielen. Auf diese Art entsteht langlebige Musik, die man sich immer wieder anhören kann. Es macht einfach viel mehr Spaß, so zu arbeiten, anstatt auf einem Bildschirm irgendwas hin und her zu schieben. Das ist nicht wirklich sexy.

…und man weiß direkt, wie man die Songs dann auf Tour spielen wird.

Genau. Viele Musiker, die heutzutage bekannt werden, haben ihre Songs am Computer geschrieben. Dann bekommen sie eine Anfrage von einem Festival, und müssen von einem Tag auf den anderen eine echte Band werden. Auf der Bühne stehen dann ein paar Jungs mit ihren Laptops rum, und ein Drummer versucht, mit den elektronischen Beats mitzuhalten. Das macht überhaupt keinen Sinn, damit möchte ich nichts zu tun haben. Ich möchte Teil einer Welt sein, die ihre Ursprünge in der Idee von Woodstock hat, wo Bands spielen, Leute ihnen zuhören und Dinge spontan entstehen.

Sie haben von Akustikgitarrensound bis Elektronik alles ausprobiert. Verlieren Sie schnell das Interesse an einem bestimmten Sound?

Im Moment geht es mir darum, mich von der elektronischen Musik zu lösen. Ich kann in dieser Welt nicht mehr leben, weil sie zu gefährlich für mein Gehör geworden ist. Und ich möchte nicht mehr um drei Uhr morgens auftreten. Das führt zu einem schlechten Lebensstil. Das Wichtige ist, immer das zu tun, was dich gerade inspiriert. Wenn du merkst, dass du dich wiederholst, hör auf damit.

Deutschland Norwegen Musik Sänger Erlend Öye mit Eirik Boe Archiv 2013 Hamburg
Erlend Øye und Eirik Glambek Bøe sind zusammen die "Könige der Bequemlichkeit" - "Kings of Convenience" (hier 2013 auf einem Konzert in Hamburg)Bild: picture alliance/Jazzarchiv

Während Ihrer Zeit in Berlin hat sich die Stadt zum Sehnsuchtsort vieler Leute aus aller Welt entwickelt. Wollten Sie dem großen Hype entfliehen, als Sie Berlin verließen?

Nein, darum ging es mir nicht. Berlin ist jetzt ja viel besser als 2002. Als ich damals in Kreuzberg lebte, war Berlin eine richtige Rock'n'Roll-Stadt. Über ein paar Hipster hätte ich mich gefreut, dann hätte ich jemanden zum Reden gehabt. Ich bin wegen des Zigarettengestanks in den Kneipen weggezogen. Ich konnte nicht mehr ausgehen. Nach spätestens zwanzig Minuten musste ich an die frische Luft. Und wenn du in Berlin nicht gesellig sein kannst, gibt es keinen Grund, dort zu leben.

Warum ist Berlin heute besser als 2002?

Die jungen Menschen, die mit neuen Ideen nach Berlin kommen, können sie inzwischen umsetzen. Das ist doch das Spannende: an einem Ort zu leben, wo Leute mit guten Ideen in der Lage sind, auch etwas aus ihnen zu machen. Deshalb träumen doch all die jungen Italiener und Spanier von Berlin. Von einem Ort, an dem sie ihre Träume verwirklichen können.

Träume verwirklichen kann man ja auch in Skandinavien, wo es eine sehr gute Kulturförderung gibt. Warum gehen so viele skandinavische Musiker ins Ausland?

Ich frage mich, ob all diese Förderung gut für die Musik ist. Ich glaube nicht, dass ein Musiker gut darin sein sollte, Anträge zu schreiben. Ich habe nie Geld bekommen, sondern bin woanders hingegangen, habe Leute aus der Musikbranche kennengelernt. Die Geschichte einer Reise hin zu einem anderen Ort – das ist es doch, worüber man schreibt! Ich habe als junger Musiker eine Zeitlang in London gelebt. Das war verdammt hart, ziemlich beschissen sogar. Ich fühlte mich richtig einsam. Aber es brachte mich in eine Lage, in der ich viel schreiben konnte. Und das war wichtig.

Auf der Bühne sind Sie ein echter Entertainer. War das schon immer so oder waren Sie früher eher schüchtern?

Ich war immer als erster auf der Tanzfläche und habe das Eis gebrochen. Schon als Zehnjähriger.

Deutschland Norwegen Musik Sänger Erlend Öye
Gut gelaunt: Erlend ØyeBild: Daniele Testa/Powerline Agency

Waren Sie der Spaßvogel in der Klasse?

Nein, ich war eher der Typ, der alles wusste. Ich war sehr gut in der Schule, Lehrers Liebling. In hatte kaum Verbindung zu den anderen Kindern in meiner Klasse. Ich hatte eine sehr einsame Kindheit.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie unterhaltsam sind?

2001, als ich das erste Mal nach Italien kam. Da merkte ich, dass nicht ich seltsam bin, sondern die Norweger. Aber das ging mir nicht nur in Italien so. Überall auf der Welt gibt es Orte, an denen die Menschen viel extrovertierter sind.

Sizilien gilt ja eher als Macho-Bastion. Nur ein Klischee?

Einerseits ja. Denn die Anerkennung von allem, was süß oder lustig ist, ist dort sehr hoch. Dinge, die woanders als "schwul" gelten würden, werden dort sehr geschätzt, zum Beispiel dass Männer sich öfter mal umarmen oder küssen. Andererseits ist es tatsächlich schwierig, mit sizilianischen Frauen Kontakt herzustellen, denn die meisten sind nur am Heiraten interessiert. Ich habe dort Freundinnen, die ich sehr gerne mal einladen würde, um miteinander Zeit zu verbringen oder gemeinsam etwas zu unternehmen - aber das geht nicht, weil ihre Partner dann eifersüchtig werden. Das ist schon ein bisschen seltsam.


Erlend Øye, 1975 im norwegischen Bergen geboren, löste um die Jahrtausendwende mit seinem Gitarrenduo Kings of Convenience eine akustische Revolution aus. In Berlin gründete er 2003 die Band The Whitest Boy Alive, die elektronische Musik auf einzigartige Weise mit dem Live-Sound einer Band verband. Im Oktober 2014 ist Øyes zweites Soloalbum "Legao" erschienen.