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Deutsche Justiz im Kongo?

Katrin Matthaei10. Mai 2013

Menschenrechtler machen einen deutschen Manager für einen brutalen Überfall auf ein kongolesisches Dorf verantwortlich. Sie haben ihn bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Die könnte bald ermitteln.

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Regenwald im Kongo (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Was in jener Nacht vor zwei Jahren wirklich passiert ist, wissen nur diejenigen, die im Dorf Bongulu im Nordosten des Kongo dabei waren. Die Aussagen von Zeugen, des deutsch-schweizerischen Unternehmens Danzer und von kongolesischen Behörden widersprechen sich weitgehend. Nur die groben Eckpunkte stimmen überein: Demnach überfielen rund 60 Polizisten und Soldaten das Dorf, misshandelten Männer und Frauen und brannten Häuser nieder. Männer wurden auf Lastwagen getrieben, geschlagen, gewaltsam auf die Polizeistation in der Distrikthauptstadt Bumba gebracht und später wieder freigelassen.

Die Sicherheitskräfte waren auf Anfrage der kongolesischen Firma Siforco (Société Industrielle et Forestière du Congo) ausgerückt - damals eine Tochterfirma des deutsch-schweizerischen Unternehmens Danzer. Der Konzern baut seit Jahrzehnten im Kongo Holz ab. Er gehört zu den weltweit wichtigsten Holzverarbeitern und zeigt auf seiner Homepage ein Zertifikat, das ihn für soziale und nachhaltige Forstwirtschaft auszeichnet.

Vertragsbruch

Die Firma Siforco gibt selbst an, die Polizei eingeschaltet zu haben. Die Sicherheitskräfte sollten Geräte und Ausrüstung wiederbeschaffen, die die Dorfbewohner dem Unternehmen zwei Wochen vor dem Überfall entwendet hatten. Das gaben die Bewohner auch zu. Ihre Begründung: Sie wollten die Firma unter Druck setzen, damit diese einen Vertrag einhält, der sie zum Bau einer Schule und einer Krankenstation verpflichtet.

Polizeikräfte in der Demokratischen Republik Kongo. (AP Photo/Schalk van Zuydam)
Gelten als nicht zimperlich: Kongolesische PolizeikräfteBild: AP

Das sei in der Tat nicht passiert, gibt der beschuldigte Olof von Gagern zu. Der Deutsche ist Vorstandsmitglied der Danzer-Gruppe und saß damals im Verwaltungsrat der Siforco. Die wurde inzwischen an ein belgisch-amerikanisches Konsortium verkauft - liefert aber auch heute noch Holz aus dem Kongo an die Danzer-Gruppe. Für den Bau der Schule und des Krankenhauses habe Siforco in den vergangenen Jahren schlicht das Geld gefehlt, so von Gagern im Gespräch mit der DW. Er streitet auch nicht ab, dass Siforco damals die LKWs, das Benzin und den Fahrer für den Einsatz der Sicherheitskräfte in dem Dorf zur Verfügung stellte. Das sei wegen deren schlechten Ausrüstung so üblich.

Von Bongulu nach Tübingen

Zwei Menschenrechtsorganisationen machen ihm das zum Vorwurf. Sie haben von Gagern angezeigt wegen sogenannter Beihilfe durch Unterlassen - zur Vergewaltigung, gefährlicher Körperverletzung, Brandstiftung und Freiheitsberaubung. Das in Berlin ansässige European Center for Constitutional und Human Rights (ECCHR) und die Londoner Organisation Global Witness sind sich sicher: Von Gagern hätte den Gewaltexzess im Dorf verhindern können. "Ein Unternehmen, das seit mehr als 20 Jahren im Kongo tätig ist, und ein Manager, der lange Jahre für das Afrika-Geschäft und insbesondere für das Kongo-Delta zuständig ist, weiß um die Gewalttätigkeit der lokalen Behörden und der lokalen Sicherheitskräfte", sagt Miriam Saage-Maaß vom ECCHR. Er habe gewusst, dass die Polizei bei ihren Einsätzen zu exzessiver Gewaltanwendung neige. Auch wenn er damals gar nicht vor Ort war, trage er Verantwortung. Und so hat der Fall seinen Weg zur Staatsanwaltschaft Tübingen gefunden. Denn zum Zeitpunkt des Überfalls hatte Danzer seinen Sitz neben Baar (Schweiz) noch im süddeutschen Reutlingen.

Danzer-Mitarbeiter im Regenwald (Foto: Carine Debrabandère/DW)
"Soziale und nachhaltige Forstwirtschaft": Danzer-Mitarbeiter im RegenwaldBild: DW

Entschädigungen, aber kein Schuldeingeständnis

Der beschuldigte Manager Olof von Gagern weist alle Vorwürfe zurück, zeigt aber Mitgefühl für die brutal behandelten Dorfbewohner. Die Firma habe ihnen damals insgesamt rund 23.000 Euro Entschädigung gezahlt. "Was dort passiert ist, ist äußerst bedauerlich, und es wurde in keiner Weise von uns gebilligt", sagt er im Gespräch mit der DW. "Es hat Gewalt gegeben in dem Dorf, das steht fest. Das macht einen betroffen, man möchte nicht, dass seinen Nachbarn und den Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, so etwas passiert." Trotzdem zieht er manche der Zeugenaussagen in Zweifel. So sei nicht geklärt, sagt er, ob Frauen tatsächlich vergewaltigt wurden. Hinter der Strafanzeige sieht der Manager eine Kampagne verschiedener NGOs, die Holzunternehmen wie Siforco aus dem Kongo vertreiben wollten.

Ob die Staatsanwaltschaft Tübingen Ermittlungen gegen den Manager einleitet, hängt davon ab, ob sie Anhaltspunkte für eine Straftat sieht. Grundsätzlich könne die deutsche Justiz immer dann ermitteln, wenn sich ein Deutscher im Ausland nach deutschem Recht strafbar mache oder sich von Deutschland aus an einer Straftat im Ausland beteilige, sagt Martin Heger, Professor für Strafrecht an der Humboldt-Universität Berlin.

Öffentliche Debatte als wichtiges Etappenziel

Die NGOs setzen darauf, dass in diesem Fall die sogenannte Geschäftsherrenhaftung greift. Die gilt, wenn ein Vorgesetzter Straftaten seiner ihm unterstellten Mitarbeiter duldet. "Man müsste tatsächlich Beweise haben, dass diese konkrete Person gewusst hat, was dort passiert, und dass sie das gebilligt hat", so Jurist Heger. "Etwa im übergeordneten Interesse des Unternehmens, also dass der Manager gesagt hat: Damit die Geschäfte laufen, akzeptiere ich, dass da Straftaten begangen werden." Hinweise darauf könnten etwa Emails liefern. Alles andere müsste allerdings vom Kongo nach Deutschland gebracht werden: Zeugenaussagen und Untersuchungsberichte, die Zeugen müssten anreisen. Inhaltlich müsste der Straftatbestand weit gedehnt werden, denn nicht die dem Manager untergeordneten Mitarbeiter der kongolesischen Tochterfirma haben das Dorf überfallen, sondern Polizisten. Dass das Gericht die Definition der Geschäftsherrenhaftung so weit gefasst anwendet, bezweifelt der Strafrechtler Heger.

Frau Miriam Saage-Maaß vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin. (Foto: Nihad Nino Pušija)
Debatte anstoßen: Miriam Saage-Maaß vom ECCHRBild: Nihad Nino Pušija

Selbst die klagenden NGOs schätzen die Chance auf eine Verurteilung als "nicht extrem hoch" ein. Trotzdem haben sie ein wichtiges Ziel bereits erreicht: die öffentliche Debatte über die rechtliche Verantwortung deutscher Firmen im Rahmen ihrer Auslandsaktivitäten.  "Wir sind der Meinung, dass juristische Verfahren auch Erfolg haben können, wenn sie im formalen Sinne eigentlich verloren werden", sagt Miriam Saage-Maaß vom ECCHR. Sie hofft, dass Gesetze verbessert und rechtliche Lücken geschlossen werden.

Immerhin: Laut Manager von Gagern will die Firma Siforco in diesem Jahr das nachholen, was ihr wegen Geldmangels in den vergangenen Jahren nicht möglich war: den Bau der Schule und der Krankenstation im Dorf Bongulu.