1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ernüchterung hinter glänzenden Fassaden

Christian Werner3. Oktober 2005

Am 3. Oktober jährt sich die deutsche Wiedervereinigung zum 15. Mal. Politisch ist die Deutsche Einheit unbestreitbar ein großer Erfolg. In wirtschaftlicher Hinsicht bleibt aber noch viel zu tun. Beispiel Leipzig.

https://p.dw.com/p/7Esz
In Leipzig wird viel gebaut, doch die Arbeitslosigkeit bleibt hochBild: Transit-Archiv

Wirtschaftlich gleicht Deutschland auch 15 Jahre nach dem Mauerfall immer noch einem gespaltenen Land. Die unsichtbare Mauer, die Ost und West weiter auf Abstand hält, heißt Arbeitslosigkeit und drückt sich in ihrer ganzen Dramatik darin aus, dass im Osten Deutschlands immer noch etwa doppelt so viele Arbeitslose zu finden sind wie in Westdeutschland.

Doch auch der Osten selber ist gespalten. Während einige Städte und Regionen boomen, suchen andere immer noch nach dem wirtschaftlichen Anschluss. Diese Situation gibt den gängigen Klischees reichlich Nahrung: Die frustrierten Ossis stehen den Wessis gegenüber, die wie immer alles besser wissen und können. Doch so einfach ist die Stimmung im Osten nicht zu definieren, wie bei einem näheren Blick auf Leipzig klar wird.

Baulärm und Einkaufstempel

Porsche Leipzig
Sorgt noch für Optimismus: das Leipziger PorschewerkBild: AP

Die kleine Schwester Dresdens gleicht derzeit einer einzigen Baustelle. Wer durch die Innenstadt geht, bekommt sofort das Gefühl, dass es in dieser Stadt brummt. Überall Baukräne, Baugruben und eingerüstete Gebäude. So sah es hier schon einmal aus: Mitte der 1990er-Jahre, als der erste Bauboom die Stadt nach 40 Jahren Planwirtschaft vor dem Zerfall rettete. Heute geht es nicht mehr um Rettung. Jetzt wird eine U-Bahn gebaut, neue Einkaufstempel hochgezogen und die großen Verkehrsadern modernisiert.

Und das ist bei weitem nicht alles. Porsche, BMW und das Logistikunternehmen DHL haben sich in Leipzig angesiedelt. Die Stadt gilt als Boomtown des Ostens. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere: Jeder fünfte Leipziger hat keinen Job.

Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee, der seine Stadt gerne mit europäischen Metropolen wie Paris oder London vergleicht, räumt ein, dass Leipzig hier noch arge Probleme hat: "Wir haben Unglaubliches in den letzten 15 Jahren zu Wege bringen können und sind da auch wirklich spitze." Aber in einem ganz wichtigen Feld, nämlich der selbst tragenden Wirtschaft, sei man eben noch nicht so vorangekommen, dass man da von einem großen Erfolg sprechen könne.

Hoffnungsträger Porsche

Worauf Tiefensee anspielt, ist die hohe Dichte an Arbeitslosen, die ihm zu schaffen macht. "Es gibt zu wenig Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt und zudem viele Sozialhilfeempfänger, die Sozialleistungen beantragen", erklärt der Bürgermeister.

Frau mit Laptob am Strand
Beim Urlaub scheitert's oft am GeldBild: dpa

Während in Leipzig davon ausgegangen wird, dass das Porschewerk die neue Baureihe des Sportwagenherstellers bauen wird, sieht es bei kleineren Unternehmern schlechter aus. 15 Jahre nach der Deutschen Einheit sind viele ernüchtert wie Dietmar Rauch. Der 47-Jährige besitzt im Leipziger Süden seit 1980 ein Haushaltswarengeschäft. Hier in der Gegend gibt es noch einige dieser kleinen Läden.

Auch als Wohngegend ist der Südzipfel Leipzigs beliebt. Die Mieten sind etwas höher als in anderen Stadtteilen. Viele junge erfolgreiche Leipziger haben sich in dem Gründerzeitviertel niedergelassen. Die unzähligen Bars und Restaurants sind gut besucht.

Trotzdem kämpft Dietmar Rauch ums Überleben. Sein Vergleich mit den Geschäftsbedingungen zu DDR-Zeiten fällt hart aus: "Wir hatten andere Schwierigkeiten, zumal ich schon damals 12,14 Stunden am Tag arbeiten musste." Dafür habe er aber zwei Mal drei Wochen Urlaub machen können und mehr Geld verdient. "Jetzt arbeite ich die gleiche Zeit, habe unterm Strich nichts mehr und fahre auch nicht mehr in den Urlaub", sagt der Geschäftsbesitzer.

Finanzielle Mobilitätsbremse

Dabei ist Dietmar Rauch niemand, der der DDR eine Träne nachweint. Aber die seit Jahren sinkende Kaufkraft macht ihm das Leben schwer und er weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Er erkennt die Vorzüge der Wende an: Meinungs- und Pressefreiheit und vieles mehr. Doch was nütze ihm die Reisefreiheit, wenn er nicht mehr reisen kann, sagt Rauch.

Viele Leipziger sehen das ähnlich. Die Infrastruktur der Stadt hat sich nach ihrer Beurteilung zwar verbessert, ihre persönliche Lage aber oftmals nicht. Vielen Bürgern vor Ort macht besonders Hartz-IV zu schaffen. "Früher war ich eingesperrt und konnte trotz genügend Geld nicht reisen, heute bin ich frei, kann mir aber keinen Urlaub leisten", bringt es eine Leipzigerin auf den Punkt.

Von Verzagtheit ist trotz der großen Probleme in der Stadt aber wenig zu spüren. Die Leipziger glauben fest daran, dass es in den nächsten Jahren weiter bergauf gehen wird. Viele Experten sehen das ähnlich. Professor Martin Rosenfeld vom Wirtschaftsforschungsinstitut Halle gibt der Region in Mitteldeutschland gute Chancen im europäischen Wettbewerb. Doch müsste sich künftig die Förderpolitik ändern.

"Das Versagen ist woanders zu suchen, nämlich darin, dass die Mittel mit der Gießkanne zum Teil über das Land geschüttet worden sind und keine zweckmäßige Zentrenförderung stattgefunden hat", sagt der Wissenschaftler. Man habe sich zu sehr verzettelt, indem man überall in den Neuen Bundesländern die gleichen Förderkonditionen geboten und die Infrastruktur vorangebracht habe. "Der Fehler liegt darin, dass man sich dabei zu wenig auf einzelne Regionen konzentriert hat", sagt Rosenfeld.

Spezialisierung als Problemlösung

Künftig sollten Projekte und Firmen unterstützen werden, die auch gute Chancen auf dem Markt haben, innovativ sind und Arbeitsplätze bringen. Mit den neuen Arbeitsplätzen steige dann auch die Kaufkraft. Doch wann es soweit sein wird, kann auch Martin Rosenfeld nicht sagen. Dietmar Rauch will jedenfalls nicht aufgeben. Er ist entschlossen, seinen Laden durch die schwierigen Zeiten zu führen bis der Aufschwung Ost auch bei ihm ankommt. Dann will er auch wieder reisen.