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Politik

Ernüchterung in der großen Koalition in Berlin

28. Oktober 2018

Angesichts der starken Verluste von CDU und SPD bei der Landtagswahl in Hessen verzichten die Parteiführungen in Berlin aufs Schönreden. "Der Zustand der Regierung ist nicht akzeptabel", sagt etwa SPD-Chefin Nahles.

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SPD-Chefin Andrea Nahles am Wahlabend
SPD-Chefin Andrea Nahles am WahlabendBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Zweite herbe Enttäuschung für die Berliner Regierungsparteien binnen zwei Wochen: Wie schon in Bayern sind Union und SPD auch bei der Landtagswahl in Hessen abgestürzt. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer räumte schmerzhafte Verluste ihrer Partei ein. Als Konsequenz forderte sie eine Konzentration der großen Koalition auf Sacharbeit. "Der größte Punkt der Unzufriedenheit ist in der Tat der Umgang der Regierungsparteien miteinander" sagte die CDU-Politikerin in Berlin.

Der Streit über die Asylpolitik im Sommer sei das "einschneidende Ereignis" gewesen, nach dem die Umfragen in Hessen für CDU und SPD nach unten gegangen seien, kritisierte Kramp-Karrenbauer, ohne die CSU namentlich zu nennen. Die drei Koalitionsparteien auf Bundesebene sollten nun drei große Projekte definieren, mit denen sie in den kommenden Monaten das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen wollten. Die Wahl mit den starken Verlusten für Union und SPD sei ein klares Signal an die Koalition, ihre Arbeitsweise zu ändern.

Merkel will bleiben

Personelle Konsequenzen für Kanzlerin Angela Merkel auf Bundesebene schloss Kramp-Karrenbauer zunächst aus. "Die Bundesvorsitzende hat ganz klar erklärt, dass sie auf dem Parteitag noch einmal antreten wird. Und ich habe bis zur Stunde keine anderen Signale", sagte die frühere saarländische Ministerpräsidentin. Die CDU wählt auf ihrem Bundesparteitag Anfang Dezember ihre Parteispitze neu. Merkel selbst hatte vor einigen Tagen bereits betont, dass sie Hessen vor allem als Landtagswahl sehe und nicht als Votum über die Bundesregierung. 

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbaue
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-KarrenbauerBild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Kanzleramtschef Helge Braun sieht mit dem Ergebnis einen klaren Regierungsauftrag für die CDU in Hessen. Zu den Folgen des Ergebnisses für die Bundesregierung sagte der gebürtige Hesse: "Die große Koalition wird zusammenrücken." 

Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles setzte ein Ultimatum für die große Koalition in Berlin. "Der Zustand der Regierung ist nicht akzeptabel", sagte sie in Berlin. Schwarz-Rot müsse nun einen verbindlichen Fahrplan vereinbaren - an dessen Umsetzung bis zur "Halbzeitbilanz" der Regierung werde sich entscheiden, ob die SPD in der Koalition noch richtig aufgehoben sei. Zu den Verlusten der SPD in Hessen habe die Bundespolitik erheblich beigetragen, analysierte Nahles. "Es muss sich in der SPD etwas ändern." Diese Partei habe viel Arbeit vor sich. Es müsse wieder klar gemacht werden, wofür die Sozialdemokraten stünden.

Sie erwarte auch, dass die Union inhaltliche und personelle Konsequenzen ziehe, sagte Nahles, ohne Details zu nennen. Die SPD wolle allerdings nicht warten, dass die Regierung in einen "vernünftigen Arbeitsmodus" komme, sondern sie wolle dies sicherstellen. Dazu müsse nun der verbindliche Fahrplan festgelegt werden. Nahles kündigte an, dazu am Montag gemeinsam mit SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil dem SPD-Parteivorstand einen Vorschlag vorzulegen. Nahles hatte sich zuletzt dagegen gewehrt, der Abstimmung in Hessen eine Bedeutung als "Schicksalswahl" beizumessen. 

Klingbeil sagte zum Wahlausgang, das sei ein Signal für die Regierungsparteien in Berlin, dass es so mit der großen Koalition nicht weitergehe könne. "Es muss jetzt einen Klärungsprozess zwischen allen drei Koalitionsparteien geben." Die Frage sei, ob man die notwendige Kraft habe. "Es muss sich in Berlin deutlich etwas ändern." Klingbeil zeigte Verständnis dafür, dass in der SPD die Diskussionen über einen Ausstieg aus der großen Koalition zunähmen. Aber die Forderung, sich einfach aus der Regierung zu verabschieden, sei zu kurz gegriffen. Eine Diskussion über Parteichefin Nahles halte er für falsch. 

Grüne "immer bereit"

Grünen-Chef Robert Habeck meinte: "Wir sind immer bereit, Verantwortung zu übernehmen." Ob Zweiter oder Dritter, das sei nicht die entscheidende Frage. Man werde jetzt in vielen Sondierungsgesprächen sehen, wie sich am meisten grüne Politik umsetzen lasse, sagte Habeck. Am Erfolg der Grünen unter ihrem Spitzenkandidaten Tarek Al-Wazir zeige sich, dass Wahlen nicht nur am rechten Rand zu gewinnen seien. 

FDP-Chef Christian Lindner sagte in Berlin mit Blick auf eine mögliche Jamaika-Koalition mit CDU und Grünen, seine Partei stehe immer zur Verfügung, wenn es um eine Regierungsbeteiligung gehe. "Die einzige Voraussetzung ist, es muss ein partnerschaftliches Miteinander sein." 

AfD-Chef Jörg Meuthen äußert sich "sehr zufrieden" mit dem Einzug in den hessischen Landtag. Das Ziel eines deutlich zweistelligen Ergebnisses sei erreicht worden, auch wenn noch ein Stück "harte Arbeit" vor der Partei liege.

Der Linken-Bundesvorsitzende Bernd Riexinger sagte mit Blick auf die Bundesregierung, mit der CDU sei eine Erneuerung nicht möglich. Er warf der SPD vor, mit allen Mitteln den Ausstieg aus der "GroKo" vermeiden zu wollen.

Die CDU-Schwester CSU und die SPD hatten erst vor zwei Wochen bei der Wahl in Bayern empfindliche Verluste einstecken müssen. In beiden Lagern hielt man sich anschließend öffentlich weitgehend mit Kritik an den Spitzen zurück, da noch die Abstimmung in Hessen anstand. Unmut könnte sich nun Bahn brechen, Rufe nach Erneuerung dürften lauter werden. Am ersten November-Wochenende kommen die Spitzen von CDU und SPD zu separaten Klausurtagungen zusammen. 

Der Wahlkampf in Hessen wurde belastet durch GroKo-Streitigkeiten etwa über die Migrationspolitik und die schwelende Diesel-Krise. Bouffier gilt als ein Vertrauter Merkels. Möglich ist, dass angesichts der Verluste in Hessen nun auch die Rufe nach ihrer Ablösung als CDU-Chefin wieder lauter werden. Kaum besser dürfte es SPD-Chefin Andrea Nahles ergehen. Hinzu kommt, dass in der SPD nach den neuerlichen Einbußen die GroKo-Kritiker an Rückenwind gewinnen könnten - was im Extremfall zu einem Rückzug aus dem Regierungsbündnis führen könnte. 

stu/ml (dpa, rtr, afp)