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Erste Hilfe für die Seele

Stefan Dege17. Juli 2013

Menschen auffangen, wo Polizei und Rettungskräfte nicht mehr weiter wissen - der Job von Uwe Rieske. Er ist Notfallseelsorger bei der Rheinischen Landeskirche in Bonn. Woher nimmt er die Kraft, Leidenden zu helfen?

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Rote Nelken schwimmen auf Wasser (Foto: picture-alliance/ZB)
Bild: picture-alliance/ZB

Manchmal lässt Uwe Rieske den Blick schweifen - durch das Fenster auf den Rhein, der vor seinem Büro vorbeifließt. Und so sind Rieskes Gedanken bei den Flutopfern in Ost- und Süddeutschland, wo das Frühjahrshochwasser in den vergangenen Wochen ganze Landstriche verwüstet, Schäden in Milliardenhöhe angerichtet und tausende Menschen in Not gestürzt hat. Uwe Rieske ist Landespfarrer für Notfallseelsorge bei der Evangelischen Kirche im Rheinland.

An Elbe, Donau und Saale hätten er und seine Einsatzteams gerne geholfen. Doch der Ruf blieb aus. "Notfallseelsorge wird nur dort geleistet", erklärt Rieske, "wo man Hilfe anfordert." Und es klingt gar nicht zynisch, wenn er sagt: "Die nächste Krise kommt bestimmt." Binnen einer Stunde können Notfallseelsorger an jedem Ort sein, überall in Deutschland, sagt Rieske. Gut zu wissen.

Auf dem Bild: Uwe Rieske leitet die Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland. Foto: Stefan Dege / DW
Pfarrer Uwe Rieske ist oberster Notfallseelsorger der Evangelischen Kirche im RheinlandBild: DW/S. Dege

Krisen sind Wendepunkte. Sie stellen das Leben auf den Kopf, über Nacht, von jetzt auf gleich. Wie das des 12-jährigen Mädchens, das seinen Vater tot im Hausflur fand. Wenn Kinder betroffen sind, sagt Uwe Rieske, geht ihm das besonders nah. Schließlich hat er selbst sechs Kinder. "So eine Situation ist schwer auszuhalten, aber genau darauf kommt es an."

Erst einmal da sein, Nähe anbieten, die Bedürfnisse von Betroffenen erkunden - das ist Rieskes Notfallrezept. Häufig herrscht noch Chaos, wenn Rieske am Unglücksort eintrifft: Polizisten, Feuerwehrleute und Mediziner kämpfen um das Leben der Verletzten oder versuchen, Schlimmeres zu verhindern.

So war es, als 2010 bei der Love-Parade in Duisburg 21 Besucher von Menschenmassen zu Tode getrampelt und mehr als 500 Menschen verletzt wurden. 160 katholische und evangelische Notfallseelsorger kümmerten sich damals um Überlebende, Augenzeugen und Rettungskräfte.

Hilfskräfte versorgenbeim Techno-Musikfestival Loveparade 2010 nach einer Panik kollabierte Teilnehmer Foto: apn-Photo
Nach der Massenpanik bei der Loveparade 2010 in DuisburgBild: AP

"Anker" sein

"Viele Betroffene sind zunächst sehr offen", weiß Rieske. "Ich versuche, mit ihnen die Situation auszuhalten." Wie immer Leidende ihre Lage deuten, Rieske lässt das erst einmal stehen, unkommentiert. "Weil diese Deutung, die sie einem Geschehen geben, weil die Fragen, die sie stellen, ihr erster Schritt auf dem Weg ist, den nur sie selbst gehen können." Er kann diesen Weg allenfalls begleiten. "Vielleicht ein wenig Anker sein – aber mehr nicht!" Uwe Rieske hat Erfahrung. Zu richten, ist nicht sein Job. "Das gilt auch bei Menschen, die ein Unglück verschuldet haben oder sich daran schuldig fühlen." Ein  Zugführer etwa, der ein Haltesignal überfahren und damit eine Katastrophe ausgelöst hat.

Uwe Rieske hat seine Lebensmitte fast erreicht. Nach der Ausbildung zum Pfarrer unterrichtete er sechs Jahre Religion und Geschichte an einer Bonner Schule. Seit zwei Jahren ist er Leitender Notfallseelsorger der Rheinischen Landeskirche. Woher nimmt Rieske die Kraft, die er in kritischen Augenblicken braucht? Sicherlich aus seinem Privatleben, der Familie. Überraschenderweise schöpft er sie aber auch aus den Momenten, in denen er Trost spendet. "Da ist eine Kraft, die allen Seiten zuteil wird", sagt er."Da ist eine Würde spürbar, die über den Tod hinausreicht." Rieske meint damit die Macht von Erinnerung und von Liebe, für die der Tod einen Schmerz darstellt, aber sie nicht beendet. "Diese Kraft ist ein Geschenk!"

Mitgefühl statt Mitleid

Ganz ohne Handwerkszeug kommt auch Notfallseelsorger Uwe Rieske nicht aus. "Das Leid, das mir da begegnet, ist das Leid eines anderen Menschen", stellt er klar, "es ist nicht mein Leid." Nicht Mitleid möchte er deshalb zeigen, sondern Mitgefühl. "Das muss man trainieren." Schwierige Einsätze werden darüber hinaus im Team nachbesprochen oder mit einem Supervisor. So ist er für die nächste Krise noch besser gerüstet.

Auf dem Bild: In Bonn residiert die Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland. Foto: Stefan Dege / DW
Jederzeit einsatzbereit: die evangelische Notfallseelsorge in BonnBild: DW/S. Dege

Uwe Rieske ist ein bescheiden wirkender Mann, von kräftiger Statur, aufrecht. Wenn er durch die randlose Brille schaut, trifft sein Blick die Augen des Gegenüber. Was ihn antreibt? "Die Welt ist Gottes gute Schöpfung", lautet sein Lebensmotto. "Mein eigenes Leben wird mir immer kostbarer, je mehr ich sehe, wie zerbrechlich alles ist." Nichts ist selbstverständlich. Das sei ihm jederzeit bewusst. "Das macht mich dankbar für jeden Tag, an dem ich meine Kinder gesund genießen darf."