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Griechenlands letzte Chance

Ralf Bosen18. Juni 2012

Das Wahlergebnis sei die letzte Chance für die etablierten Parteien Griechenlands, sagt der frühere griechische Außenminister, Dimitrios Droutsas, im DW-Interview. Er fordert einen Neuaufbau des Staatsapparats.

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Dimitris Droutsas (Foto: EPA/SIMELA PANTZARTZI)
Dimitris DroutsasBild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Droutsas, was überwiegt bei Ihnen: die Erleichterung, dass die Linksradikalen keine Mehrheit errungen haben, oder die Bedenken, dass es aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse wohl keine stabile Regierung geben wird?

Dimitrios Droutsas: Das Wahlergebnis ist knapp, das wurde ja erwartet. Aber ich denke, es ist dennoch eine klare Botschaft des griechischen Volkes, dass es in der Eurozone verbleiben möchte und es ist ein klares Mandat an die neue Regierung, alles dafür Nötige zu tun. Es wird nicht einfach sein für die neue Regierung, denn die radikale Linke Syriza hat bereits angekündigt, dass sie in der Opposition verbleiben wird. Es gibt Befürchtungen, dass sie ihre aggressive Oppositionspolitik weiterführen wird. Das wird das Leben der neuen Regierung nicht leichter machen.

Der konservative Wahlsieger Antonis Samaras gehört zu der etablierten Politikergarde, die für die Misswirtschaft der vergangenen Jahrzehnte verantwortlich gemacht wird und zu der die griechische Bevölkerung das Vertrauen verloren hat. Trotzdem haben die Konservativen um Samaras eine knappe Mehrheit erreicht. Wie bewerten sie das?

Für die Misere des Landes ist die etablierte Politik verantwortlich. Vor allem für die politische Mentalität, die sie in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten ihres Regierungswirkens in der griechischen Gesellschaft etabliert haben. Die etablierten Großparteien haben dafür die Rechnung präsentiert bekommen: sowohl am Sonntag (17.06.2012) als auch bei den Wahlen vor etwa drei Wochen. Das Land steckt in einer wirklichen Krise. Jemand muss die notwendigen Reformmaßnahmen in Bewegung setzen. Das Vertrauen wurde jetzt schweren Herzens der Konservativen Nea Dimokratia ausgesprochen. Ich glaube, dass die Mehrheit der Griechen nicht aus voller Überzeugung für sie gestimmt hat, aber man sieht dies als die letzte Chance fürs Land und natürlich auch für die etablierten politischen Parteien.

Samaras vor seinen Anhängern (Foto: REUTERS)
Samaras läßt sich als Wahlsieger feiernBild: Reuters

Was müsste Samaras Ihrer Ansicht nach als erstes tun, um Griechenland wieder auf die Beine zu bringen?

Es bedarf absoluter Reformen. Der Anfang muss beim Neuaufbau des Staatsapparates gemacht werden. Wenn man Strukturreformen umsetzen möchte, ist das ohne einen funktionierenden, effizienten Staatsapparat nicht möglich. Ich spreche auch aus eigener, bitterer Erfahrung während meiner zweieinhalbjährigen Beteiligung in der Regierung unter dem ehemaligen Premierminister Giorgos Papandreou. Papandreou war jemand, der mit dem absoluten Willen zu tiefgreifenden Strukturreformen angetreten war. Wir sind an der Umsetzung gescheitert, weil sich die damalige Opposition dagegen gewandt hat, aber auch weil der eigene Staatsapparat nicht in der Lage war, solche Entscheidungen und Reformen schnell und effizient umzusetzen.

Antonis Samaras gehört der alten politischen Garde an und seine Partei, die konservative Nea Dimokratia, ist für die Misere mitverantwortlich. Aber Samaras ist nun verpflichtet, am Aufbau eines neuen politischen Systems aktiv mitzuwirken. Wenn das nicht gelingt, dann denke ich, dass auch diese neue Regierung nicht lange im Amt und der Unmut der griechischen Bevölkerung noch viel größer sein wird.

Auf einem Fernseher laufen Hochrechnungen zur Griechenlandwahl (Foto: REUTERS/Yorgos Karahalis)
Die neue Regierung wird unter Beobachtung der Griechen stehenBild: Reuters

Samaras wird das Sparpaket nachverhandeln wollen. Vorausgesetzt Griechenland zeigt sich reformwillig, scheint die EU Zugeständnissen nicht abgeneigt zu sein. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, sprach davon, dass man Griechenland mehr Zeit für die Rückzahlung der Kredite geben müsse. Wäre das aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

Europa muss einsehen, dass das Programm, das Griechenland auferlegt wurde, sich als falsch erwiesen hat. Es wurde zu viel von Griechenland verlangt und dies in zu kurzer Zeit. Der Bestrafungscharakter gegenüber dem griechischen Volk war zu groß. Niemand bestreitet die Notwendigkeit für Maßnahmen, aber es muss eine andere Balance gefunden werden. Es muss insbesondere mehr Zeit gegeben werden, damit die Maßnahmen auch tatsächlich umgesetzt werden können und Ergebnisse zeigen. Der soziale Druck auf die Menschen Griechenlands, die wirklich leiden, muss gelockert werden.

Wenn es um ein paar wenige Prozentpunkte anders gekommen wäre, hätte der Chef der radikalen Linken, Alexis Tsipras, den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen - ein Mann, von dem niemand weiß, ob er Griechenland im Euro-Raum halten könnte. Ist dieses Wahlergebnis also wirklich ein Sieg für Europa, wie es der Gewinner Samaras verkündet hat?

Herr Tsipras ist sicherlich ein großes Fragezeichen. Was hätten er und seine Partei wirklich gemacht, wenn die Linksradikalen die Wahlen gewonnen hätten? Ich vertrete die Auffassung, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Wir haben von ihm und seinen Parteigefährten innenpolitisch eine sehr extreme Rhetorik gehört. Wir haben allerdings auch viel mildere Worte von ihm gehört, wenn er mit internationalen Partnern am Tisch saß. Für mich bleibt es ein großes Fragezeichen, was Tsipras tatsächlich gemacht hätte. Aber nach meinem Gefühl hätte er bei einem Wahlsieg nicht so extrem agiert, wie das vorher den Anschein hatte. Eines dürfen Sie nicht vergessen: Mehr als 80 Prozent der griechischen Bevölkerung hat sich immer offen für den Verbleib in der Eurozone ausgesprochen und ist auch bereit, dafür alles Nötige zu tun. Über dieses Votum hätte sich auch Herr Tsipras nicht hinwegsetzen können.

Tsipras im Wahllokal (Foto: AP)
Alexis Tsipras ist schwer einzuschätzenBild: AP

Dimitrios Droutsas ist Mitglied des EU-Parlaments und der sozialistischen Pasok-Partei Griechenlands. Der 56-Jährige war von September 2010 bis zum Juni 2011 Außenminister seines Landes.