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O'Reillys Rat

Christina Bergmann2. Juli 2007

Die Vision von der künstlichen Intelligenz wird Wirklichkeit, sagt Computerbuchverleger Tim O’Reilly. Das Leben mit dem Internet sei viel weiter, als manche ahnungslose Nutzer meinten. Und es gebe keinen Weg zurück.

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Tim O'Reilly vor einem Bücherregal
Tim O'Reilly: Es gibt keinen Weg zurückBild: AP

Wenn wir heute von Web 2.0 reden, benutzen wir einen Begriff, den Tim O’Reilly geprägt hat. Der Gründer und Chef des gleichnamigen Computerbuchverlages gab 2004 einer Konferenz diesen Titel, auf der über Gegenwart und Zukunft des Internets diskutiert wurde. Tim O’Reilly lebt und arbeitet in Sebastopol, einem kleinen Städtchen knapp zwei Autostunden nördlich von San Francisco in Kalifornien. Christina Bergmann hat ihn dort besucht und nach der Zukunft des World Wide Web befragt.

Herr O’Reilly, was genau ist eigentlich das Web 2.0?

Beim Web 2.0 geht es darum, Anwendungen zu bauen, die das Netz als Plattform nutzen. Und die erste Regel dabei ist, dass die Anwendungen von ihren Nutzern lernen, also besser werden, je mehr Menschen sie benutzen. Beim Web 2.0 geht es um die Nutzung kollektiver Intelligenz.

Das heißt, es sollen möglichst viele Menschen mitmachen. Ist das Web 2.0 also ein demokratisches Internet?

Ich glaube, dass alle neuen Technologie-Märkte zunächst demokratisch und offen sind. Deswegen gibt es auch immer eine große Aufregung darum. Die Hürden zum Einstieg sind gering, jeder kann mitspielen, aber mit der Zeit beschränkt sich die Macht auf wenige große Spieler. Ich denke, dass wir jetzt in dieser Phase des Internets sind. Ja, es ist demokratisch, aber es fällt auf, dass alle interessanten neuen Startup-Unternehmen nicht unabhängig werden, sondern von größeren Firmen aufgekauft werden. Die Reichen werden also in dem System immer reicher und werden mit der Zeit immer weniger demokratisch.

Wir sind also mitten im Web 2.0. Was kommt danach – Web 3.0?

Der Name 2.0 lässt natürlich vermuten, dass danach ein Web 3.0 kommt. Aber ich bin mir nicht sicher, dass der nächste große Technologie-Schub mit dem WorldWideWeb verbunden ist. Wenn wir über unseren Umgang mit Computern reden, verbinden wir das immer noch damit, vor einem Bildschirm zu sitzen und auf einer Tastatur zu tippen. Aber Computer werden immer mehr im Hintergrund verschwinden. Die offensichtliche Veränderung ist zunächst, was ja viele Menschen auch schon beschrieben haben, dass auch mobile Endgeräte (orig: handheld devices) oder Mobiltelefone als Plattform dienen. Damit ist auch verbunden, dass Spracherkennung immer besser wird. Oder dass Fotoapparate mittlerweile mit GPS ausgestattet sind. Wenn Sie damit ein Foto machen, ist der Ort automatisch Teil des Fotos und damit Teil der Information, die Sie zum Beispiel auf eine Web-2.0-Anwendung wie flickr stellen. Und plötzlich lernt das globale Gehirn etwas, was Sie gar nicht beabsichtigt haben. Microsoft hat eine Software vorgestellt, die Photosynth heißt. Es ist bis jetzt nur eine Demo-Version, aber was sie entwickelt haben ist eine Anwendung, die aus digitalen Fotos, die aneinandergereiht werden, 3-D Modelle entwirft. Wenn also jetzt 10.000 Menschen ein Motiv fotografieren, aus verschiedenen Perspektiven, dann werden die alle zusammengeführt.

Das heißt, etwas wird in Gemeinschaftsarbeit geschaffen?

Ja, aber die Menschen wissen nicht, dass sie das tun. Sie haben einfach nur ihre Fotos mit tags versehen, also markiert, und jemand anders nutzt das und führt alles zu einem 3D-Modell zusammen. Wir bewegen uns also in Richtung künstlicher Intelligenz. Allerdings ist immer noch ein Mensch dahinter, der dem Programm sagt, was es tun soll. Aber das Beispiel zeigt, was mit der Nutzung kollektiver Intelligenz gemeint ist. Wir geben immer mehr Daten in das globale Netzwerk ein, und Menschen schreiben Programme, die neue Verbindungen erstellen. Es ist, als würden die Synapsen des kollektiven Gehirns wachsen. Ich glaube, wir dürfen Überraschungen erwarten.

Aber wenn die Menschen nicht wissen, was mit ihren Daten passiert, verstößt das doch gegen ihr Recht auf Privatsphäre?

Ich glaube, es wird mit der weiteren Entwicklung des Web 2.0 noch eine ganze Menge Bedenken bezüglich der Privatsphäre geben. Aber man muss verstehen, dass die Menschen bereit sind, ihre Privatsphäre einzutauschen gegen den Nutzen, den sie haben. Das Netz hat einen schlechten Ruf, was die Privatsphäre angeht, aber was ist, wenn Sie eine Kreditkarte benutzen. Dann geben Sie auch alle möglichen persönlichen Informationen preis und niemand macht großes Aufheben darum. Ich glaube sogar, dass Kreditkartenfirmen und Banken auch Web 2.0 Anwendungen entwickeln werden. Sie können dann sagen, welches die beliebtesten Händler sind, so wie Google jetzt sagt, welches die beliebtesten Webseiten sind. Sie wissen schon jetzt zum Beispiel, wenn ein neues Restaurant in Bonn oder Berlin aufmacht, dass im ersten Monat 1000 Leute mit einer Kreditkarte bezahlen und 500 davon kommen ein zweites Mal. Und im Web 2.0 werden diese Daten dann in neuen Anwendungen kombiniert.

Ist das nicht erschreckend, wenn all diese Daten, aus Kreditkarten, Mobiltelefonen und dem Internet zusammengeführt werden? Das hört sich an wie bei George Orwell!

Ich bin da zwiegespalten. Einerseits bin ich mir des Orwellschen Aspekts sehr bewusst. Und des Verlusts an Datenschutz. Aber ich glaube auch, dass die Menschen diesen Tausch machen werden. Sie werden sagen: Es ist doch super zu wissen, wie in unserem Beispiel, ob andere Leute dieses Restaurant mögen. Ich glaube, dass die Werte sich verschieben. Das kann man jetzt schon beobachten.

Wann erwarten Sie denn diese Veränderungen?

Das wird unterschiedlich sein, bei einigen Anwendungen wird es Monate dauern, bei anderen Jahre. Aber es ist wichtig zu erkennen, dass es keinen Weg mehr zurück gibt.

Wird es dann zwei Gesellschaften geben – eine, die Zugang zum Internet hat und eine, die außen vor bleibt?

Wissen Sie, es gibt immer graduelle Unterschiede für den Zugang zu Technologien. Als der PC eingeführt wurde, gab es eine große Gruppe, die hatte ihn, und andere hatten ihn nicht. Aber mit der Zeit besitzen immer mehr Menschen diese Technologie. Aber das Internet wird immer allgegenwärtiger, das heißt, es wird zugänglich von Telefonen aus, über andere Geräte, in abgespeckten Versionen. Die Informationen aus dem Internet werden auf viele verschiedene Arten zugänglich sein. Wir denken immer, es gibt Milliarden Computer da draußen – aber das stimmt nicht. Es gibt eigentlich nur einen, und darum geht es im Web 2.0. Alles wird mit allem verbunden. Und was wir heute unter einem Computer verstehen, ist eigentlich nur ein Zugangsgerät zu dem einen weltweiten elektronischen Gehirn das wir erschaffen.