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Politik

"Es geht um Gedankenlosigkeit"

Nastassja Shtrauchler
1. März 2017

Ein Mann uriniert an das Berliner Holocaust-Mahnmal und muss 1500 Euro zahlen. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München hofft, dass der Prozess für den Wert des Erinnerns sensibilisiert.

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Deutschland Holocaust-Mahnmal in Berlin
Bild: picture-alliance/Ulrich Baumgarten

DW: Frau Knobloch, in Berlin wurde am Mittwoch ein 22-Jähriger zu einer Geldstrafe von 1500 Euro verurteilt, weil er im Mai 2015 an eine Stele des Holocaust Mahnmals uriniert hatte. Laut dem Amtsgericht Tiergarten habe er sich dadurch der Störung der Totenruhe schuldig gemacht. Wie wichtig ist es, dass solche Prozesse stattfinden?

Charlotte Knobloch: Wir leben in einem Rechtsstaat und da ist es zwingend erforderlich, dass strafrechtlich relevantes Verhalten verfolgt und sanktioniert wird. Neben der Rechtssicherheit geht es in diesem konkreten Fall aber um mehr als um die strafrechtsrelevante Störung der Totenruhe. Es geht um Gedankenlosigkeit und mangelndes historisches Bewusstsein.

Der Prozess sollte zum Anlass genommen werden, darüber nachzudenken, ob in unserem Land, in den Familien, den Schulen und Bildungsstätten genug und das Richtige getan wird, um Geschichts- und Verantwortungsbewusstsein in den jungen Menschen zu wecken und zu schärfen. Gerade in Zeiten, wo von Rechtsaußen die altbekannte Forderung nach einem Schlussstrich und der erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad gestellt wird, ist es an den demokratischen Kräften in unserer Republik auf den Wert und die Notwendigkeit von Erinnerungskultur und politischem Bewusstsein hinzuweisen. Wenn der Prozess dafür sensibilisiert, wäre ich froh.

Werden Vorfälle dieser Art in Deutschland entschieden genug geahndet und bestraft?

Ich kann nicht beurteilen, wie hoch das Unrechtsbewusstsein in diesem Fall wirklich ist. Vielleicht hat der junge Mann tatsächlich nicht vorsätzlich gehandelt oder unter Einfluss von Alkohol nicht gewusst oder bedacht, was er tut. Also gehen wir weg von diesem Fall. Generell ist festzustellen, dass die Schändungen von jüdischen Friedhöfen und Gedenkstätten zunehmen. Ebenso wie die antisemitischen Anfeindungen und Drohungen oder sogar Gewalttaten gegen jüdische Menschen und Einrichtungen. Vielfach sind etwa antisemitische Schmierereien nicht mal mehr eine Meldung wert. Und auch der öffentliche Aufschrei bleibt hinter dem zurück, was ich mir in Deutschland erhoffen würde. Die politische Elite reagiert alarmiert und entschlossen, aber es gibt eine Kluft zu der Einstellung in bestimmten Teilen der Bevölkerung, wo eine Gewöhnung an alltägliche antisemitische Praktiken und Tiraden festzustellen ist.

Deutschland Aktion «We Remember» - Charlotte Knobloch
Charlotte Knobloch wurde 1932 in München geboren und überlebte den Holocaust in einem Versteck auf dem Land.Bild: picture alliance/dpa/WJC

Nehmen wir einen anderen Fall, der viel aussagekräftiger ist. Nach einem Brandanschlag auf die Bergische Synagoge in Wuppertal wurden drei palästinensische Männer nur zu Bewährungsstrafen verurteilt. Das antisemitische Motiv wurde verneint, weil die Täter behaupteten, sie hätten mit ihrem Angriff auf das Bethaus die Aufmerksamkeit auf den Gaza-Konflikt lenken wollen. Die Botschaft dieses Urteils ist verheerend. Wer in Deutschland versucht, eine deutsche Synagoge in Brand zu setzen, ist also kein Antisemit, sondern ein Israelkritiker - das ist absurd. Und es ist ein Schlag ins Gesicht der jüdischen Gemeinschaft. Mir ist schleierhaft, wie man so ein Urteil fällen kann. Das ist skandalös.

Ist man in Deutschland Ihrer Meinung nach des Themas Antisemitismus irgendwie überdrüssig geworden?

In jedem Fall ist die Empörung nicht so groß wie an anderer Stelle. Generell ist zu sagen, dass der Antisemitismus als gesellschaftliches Problem nicht ernst genug genommen wird. Dabei sind judenfeindliche Einstellungen auch hierzulande ein massives Problem. Unter hier lebenden Muslimen herrscht regelrechter Judenhass, weil der Antisemitismus in vielen muslimisch geprägten Ländern völlig selbstverständlicher Teil der Sozialisierung ist.

Der Antisemitismus in der rechtspopulistischen und -extremen Szene wird mit dem Wachsen dieser Phänomene wie Pegida und Co. oder auch der AfD (Alternative für Deutschland) immer aggressiver und verbreiteter. Schließlich gibt es einen starken israelbezogenen Antisemitismus im linken politischen Spektrum. Der Antisemitismus ist also breit über die gesamte Gesellschaft verteilt und wird für die jüdische Gemeinschaft zu einer immer stärkeren Beeinträchtigung hinsichtlich eines Lebens in Sicherheit und Geborgenheit in unserer Heimat – in Deutschland.

Wie bewerten Sie die Debatte um Herrn Höckes Aussage zum Mahnmal als "Denkmal der Schande"? Wurde das richtig eingeordnet und verurteilt oder wurde es verharmlost?

Der entscheidende Satz war Höckes Forderung nach der erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad. Und sein Pochen und Beharren auf einer völkischen Weltsicht, auf einem rechts-nationalen Patriotismus. Das ist rechtsextremes Gedankengut, das zeigt, in welche Richtung Höcke und Co. die AfD lenken. Diese Partei ist schon heute in ihren Thesen kaum mehr von neonazistischen Parteien wie der NPD zu unterscheiden. Und sie hat die Wirkkraft, die das Bundesverfassungsgericht der NPD abgesprochen hat.

Das Holocaust-Mahnmal soll ja vor allem eines leisten: Es soll an den Massenmord an den Juden durch die Nazis erinnern. Hat sich das Holocaust-Mahnmal in dieser Hinsicht "bewährt"?

Holocaust-Mahnmal
Das Holocaust-Mahnmal für die ermordeten Juden Europas von Architekt Peter Eisenman wurde 2005 eingeweiht. Bild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/S. Gabsch

Es gibt bessere Formen, aber eines zeigt sich an diesem Mahnmal ganz deutlich. Die bauliche Größe und Wucht sind nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist die Informationsvermittlung. Die Herangehensweise an die Aufarbeitung und die inhaltliche Auseinandersetzung - das kann kein Denkmal leisten. Das muss im Elternhaus, in der Schule, in der Erwachsenenbildung und in den Integrationskursen geleistet werden. Hier ist noch viel zu tun. Die vorhandenen didaktischen und pädagogischen Konzepte bedürfen der dauernden Überarbeitung und Überdenkung.

 

Charlotte Knobloch ist seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Von 2006 bis 2010 war sie Präsidentin des Zentralrats der Juden, dem Dachverband jüdischer Gemeinden in Deutschland. Knobloch wurde 1932 in München geboren und überlebte den Holocaust in einem Versteck auf dem Land. Für ihr Engagement im Bereich der Aussöhnung erhielt sie 2010 das Bundesverdienstkreuz mit Stern.

 Das Gespräch führte Nastassja Shtrauchler