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Politik

"Keine sichere Zone in Afghanistan"

Amanullah Jawad
5. Oktober 2017

EU-Länder sollen Druck auf Flüchtlinge aus Afghanistan ausgeübt haben, um sie zu "freiwilliger" Rückkehr zu bewegen, so Amnesty International. Das sei illegal, sagt AI-Forscherin Horia Mosadiq im DW-Interview.

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Deutschland Protest gegen Sammelabschiebung nach Afghanistan in Düsseldorf
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Deutsche Welle: Frau Mosadiq, den Menschen in Afghanistan drohen Gewalt, Entführung und Tod, hieß es im jüngsten Bericht von Amnesty International. Wie schlimm ist die Sicherheitslage denn im Land am Hindukusch?

Horia Mosadiq: Sicher ist es in Afghanistan nicht. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ein Familienvater wurde in Afghanistan von bewaffneten Männern entführt. Seine Familie musste ihr letztes Geld zusammenkratzen und den Vater freizukaufen. Anschließend flüchteten sie nach Norwegen.

In Norwegen wurde ihr Asylgesuch allerdings abgelehnt. Sie wurden zurück nach Afghanistan geschickt. Wenige Monate später verschwand der Vater ein weiteres Mal. Nur wenige Tage später tauchte seine Leiche in einer Straßenecke in Kabul auf.

Horia Mosadiq AI
Horia Mosadiq von Amnesty InternationalBild: Amnesty International

Die Flüchtlinge hätten nach Behördenangaben Europa freiwillig verlassen. Sie müssen sich der Gefahr in der Heimat bewusst sein…

Bis heute sind mehr als 9.000 Afghanen aus Europa abgeschoben. Weitere 80.000 Afghanen sind von Abschiebung bedroht. Die europäischen Staaten bezeichnen die Rückkehr von Flüchtlingen als "freiwillig".  Aber das ist in der Tat gar nicht wirklich freiwillig.

Den afghanischen Flüchtlingen wird gesagt, dass sie so oder so abgeschoben würden und dass sie nur zwei Möglichkeiten hätten. Entweder würden sie abgeschoben ohne jegliche Hilfsleistung, oder sie unterschrieben das Rückkehrformular und bekämen dann eine finanzielle Starthilfe, um ein neues Leben in Afghanistan aufzubauen.

Welche EU-Länder schieben die meisten afghanischen Flüchtlinge ab?

Deutschland, Griechenland, Norwegen, Schweden und England sind vorneweg die Länder, die am meisten abschieben. Wobei alle europäischen Länder Abschiebungen vornehmen.

Wir sind sowohl mit diesen Ländern als auch mit der afghanischen Regierung im Gespräch. Unsere Forderung an die europäischen Länder ist, dass sie keine weiteren afghanischen Flüchtlinge abschieben dürfen. Von der afghanischen Regierung erwarten wir, dass sie keine Beihilfe zu Abschiebungen leisten.

Welche Asylgründe erkennen die EU-Staaten denn jetzt überhaupt an?

Es ist nicht möglich, die Asylgründe und -entscheidungen zu kategorisieren. Aber eine besorgniserregende Entwicklung ist, dass die Zahl der Ablehnungen in Europa in kürzester Zeit rasant angestiegen ist, vor allem seitdem im Februar die afghanische Regierung ein Flüchtlingsabkommen mit der EU unterzeichnet hat.

Bis heute ist es noch nicht klar, welche Regionen in Afghanistan als "sicher" eingestuft werden, und welche als "unsicher". Darüber herrscht immer noch Unklarheit in den europäischen Ländern.

Wir wissen selbst von Flüchtlingen, die ihre Homosexualität als Asylgrund vorgetragen hatten und trotzdem abgeschoben wurden. Auch christliche Konvertiten oder viele andere, die in Afghanistan politisch und religiös verfolgt würden, erhalten keinen Schutz in der EU.

Afghanistan abgeschobene Asylbewerber kehren zurück
Abgeschobene Flüchtlinge kommen in Kabul anBild: Getty Images/AFP/W. Kohsar

Gibt es in Afghanistan derzeit eine sichere Region?

Die Provinzen Kabul, Panjshir, Bamyan gelten als sicher. Aber das entspricht nicht der Wahrheit. Kabul zum Beispiel ist die afghanische Stadt, in der die meisten Anschläge durch Aufständische verübt wurden.

Wir stimmen bei dieser Frage nicht mit den europäischen Ländern überein. In Afghanistan gibt es keine sicheren Zonen und keinen Ort, in denen man abschieben sollte. Die Länder, die abschieben, verstoßen gegen das Völkerrecht.

Horia Mosadiq ist eine afghanische Menschenrechtsaktivistin und Journalistin. Sie arbeitet für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.

Das Interview führte Amanullah Jawad.