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"Es war die Hölle"

Olivia Fritz (London)5. August 2012

Auch am Tag nach dem Siebenkampf-Drama war die Freude bei Silbermedaillen-Gewinnerin Schwarzkopf noch nicht grenzenlos. Zu schwer wog der Ärger über die zwischenzeitliche Disqualifikation.

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Sie lächelte schüchtern, konnte es noch immer nicht ganz fassen und hatte vor lauter Aufregung sogar ihre Silbermedaille vergessen: Leichtathletin Lilli Schwarzkopf war der Wirbel um ihren olympischen Siebenkampf noch immer anzumerken. Sie habe nur zwei Stunden geschlafen, berichtete sie am Tag nach dem Verwirrspiel um ihre zwischenzeitliche Disqualifikation, die sie fast um ihre Silbermedaille gebracht hätte. "Was meinen Körper angeht – das tut alles sehr, sehr weh. Die Anspannung geht bis in die Schultern und in den Nacken." Nicht nur physisch, auch psychisch war Schwarzkopf an den zwei Wettkampftagen vor 80.000 begeisterten Zuschauern im Olympiastadion in London an ihre absoluten Grenzen gegangen.

Schwarzkopf mit Konkurrentinnen beim abschliessenden 800m Lauf des Siebenkampfs.( Photo: Michael Kappeler dpa)
Schwarzkopfs Lauf zu Silber - der Beginn der HängepartieBild: picture-alliance/dpa

Schwarzkopf hatte persönliche Bestleistungen über die 100 Meter Hürden und im Hochsprung abgeliefert. Dazu Saisonbestleistungen in anderen Disziplinen. Es war ein anstrengender Wettkampf, sie sei absolut "platt" gewesen nach dem Speerwurf. "Das hat mich wahnsinnig viel Kraft gekostet." Vor der abschließenden Disziplin, dem 800-Meter-Lauf, lag sie auf Rang fünf. Schwarzkopf gab alles, verausgabte sich völlig, musste im Ziel gestützt werden und machte unglaubliche drei Ränge gut. Dann der Blick auf die Tafel: Disqualifiziert. "Das war die Hölle. Da tut sich alles auf. Man fällt in ein Riesenloch. Man glaubt es einfach nicht", beschrieb Schwarzkopf die ersten quälenden Augenblicke zwischen Disqualifikation und Medaille. "In den ersten Momenten dachte ich: Ich bin fast wie tot."

Keine Entschuldigung der Offiziellen

Eine Bahnrichterin hatte Schwarzkopf mit einer ebenfalls blonden Konkurrentin verwechselt, die die Spur nicht eingehalten hatte. Fast eine Stunde lang berieten die Kampfrichter und schauten sich die Videobilder an. Die Verantwortlichen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes teilten sich sofort auf, stürmten in die Katakomben und schauten sich gemeinsam mit den Richtern und anderen betroffenen Trainerteams die Bilder an, berichtete Cheick-Idriss Gonschinska, Cheftrainer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes für den Bereich Track (Sprint, Lauf/Gehen): "Das ist eine kuriose Situation, die ich so auch noch nicht erlebt habe. Dann hat der Hauptkampfrichter für die Bahnwettbewerbe korrigiert. Und dann haben wir sehr lang auf die offiziellen Ergebnisse gewartet."

All dies schien Schwarzkopf endlos. Minuten wurden zu Jahren. "Man wurde einfach im Ungewissen gelassen. Dabei hatte ich doch den Siebenkampf meines Lebens gemacht." Als dann endlich die Entscheidung fiel, war es trotzdem nicht wie ein Erfolg. Die gemeinsame Ehrenrunde wurde ihr "geklaut", dort treten alle Athletinnen traditionell nach dem 800-Meter-Lauf gemeinsam an. Während die britische Olympiasiegerin Jessica Ennis frenetisch gefeiert wurde, war Schwarzkopf im Ungewissen. Bis heute hat sich niemand der Offiziellen für den Fehler bei ihr entschuldigt.

Fernsehbilder gegen Tatsachenentscheid

Als dann endlich aufgrund der Fernsehbilder zugunsten Schwarzkopfs entschieden wurde, wusste diese nicht mal, um welche Medaille es ging. "Hauptsache, es glänzt", sagte sie im Interview. Dass es sogar Silber wurde – damit hatte die deutsche Außenseiterin aber in ihren kühnsten Träumen nicht gerechnet. So richtig glauben konnte sie es erst, als die Medaille um ihren Hals baumelte. "Erst auf dem Treppchen habe ich das realisiert. Ich habe es geschafft, ich habe es schwarz auf weiß und das kann mir jetzt niemand mehr nehmen. Dann habe ich hochgeschaut und die Kulisse war großartig. Erst dann kam die Erlösung."