„Wir alle waren wahnsinnig aufgeregt“, erinnert sich eine Zeitzeugin an den Sendestart der DW 1953. Ausgerechnet die frühlingshafte Sonne sorgte für eine Premiere mit Tücken und ratlose Experten.
Am 3. Mai 1953 meldete sich der neue deutsche Auslandsender erstmals aus einem Studio des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR): „Hier ist die Deutsche Welle. Sie hören uns aus Köln über Richtstrahler nach Fernost im 25-Meter-Band auf 11795 kHz. Die Deutsche Welle sendet dieses Programm im Auftrag der Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland. Sie hören uns täglich von 11.30 bis 14.30 Uhr Mitteleuropäischer Zeit.“
Hans Otto Wesemann
Im Studio 17 des NWDR verfolgte Chefredakteur Hans-Otto Wesemann, später erster DW-Intendant, mit Spannung die Eröffnungsansprache von Bundespräsident Theodor Heuss, die tags zuvor aufgezeichnet worden war. Mit dabei auch die Redakteure Hilde Stallmach und Christian von Chmielewski, Musikredakteur Erich Winkler, die für den Programmablauf zuständige Edith Neuenfels sowie Karl Schulz, technischer Direktor des NWDR, und Horst Krieger, Leiter der DW-Technik.
Tückische Solartechnik
Doch schon bahnte sich die erste technische Panne an: Die Sonnenstrahlen, die so freundlich durch das Fenster schienen, fielen direkt auf die Maschine mit dem rotierenden Sendeband. Unter der Hitze begann es zu schmelzen; um den Tonträger legte sich eine immer dicker werdende Schicht aus braunem Kleister. Die Folgen waren bald hörbar: Die Stimme des Bundespräsidenten wurde immer undeutlicher, die Atempausen wurden teilweise quälend lang.
Schnelle Abhilfe war geboten, doch dazu war offensichtlich keiner der eilig herbeigerufenen Experten in der Lage, wie sich von Chmielewski schmunzelnd erinnert: „Selten sah man technische Prominenz hilfloser. Karl Schulz beugte sich tief über das Band, verharrte eine Viertelminute bewegungslos und trat schweigend wieder zurück. Sein Stellvertreter Walter Werner manipulierte mit dem Nagel des kleinen Fingers. Schweißtropfen auf seiner Stirn – er wollte den Andruck verbessern und scheiterte. Horst Krieger löste ihn ab und pustete aus vollen Backen. Die klebrige Masse rührte sich nicht. Und in kluger Zurückhaltung hielt sich der Tontechniker vom Dienst im Hintergrund.“ Die präsidiale Stimme quälte sich also weiter, die Versammelten blickten immer besorgter auf die dicker werdende Kleisterschicht. Schließlich schloss der Bundespräsident – gerade noch vernehmlich – mit den Worten „Grüß Dich Gott!“
Beethoven als Pate
Das verklebte Band konnte endlich entfernt, der Abnahmekopf rasch gesäubert und das nächste Sendeband aufgelegt werden. Es folgte Beethovens Eroica in voller Länge. Von Ludwig van Beethoven stammte auch das Pausenzeichen der DW, Takte aus dessen Oper Fidelio, „Es sucht der Bruder seine Brüder“. Ausgewählt hatte die Melodie NWDR-Intendant Hanns Hartmann, der sich an den Rat seines Kollegen Fritz Eberhard, Intendant des Süddeutschen Rundfunks gehalten hatte, „einen charakteristischen Takt deutscher Musik zu wählen, der möglichst vielen Menschen deutscher Zungen vertraut“ sei. Da bliebe ja sonst nur Lilli Marleen, hatte Hartmann zunächst lachend kommentiert und sich dann schließlich für Fidelio entschieden.
Nach der Eroica kamen Wiener Walzermelodien, Mai-Lieder und schließlich als Auftakt der Sendereihe „Wie wir leben“ ein Städtebild von Berlin. Die insgesamt 15 Minuten lange Sendung begann mit einer Reportage über eine feucht-fröhliche Herrenpartie im Grunewald, untermalt vom Lied „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“. Die Melodie wurde jedoch mehrfach mit dem Ausruf „Halt“ unterbrochen, den West-Berlinern wohl bekannt als Ausruf auf den Schildern der Alliierten an der Sektorengrenze …
Geist des Aufbruchs
In den folgenden Wochen wurde das Programm weiter ausgebaut. Es entstand aus einem Geist des Aufbruchs heraus, aus spontanen Einfällen, aus Gesprächen, an denen auch deutsche Künstler und Literaten partizipierten. Christian von Chmielewski: „Heinrich Böll kam vorbei und gab Buchbesprechungen ab - für die da draußen, wie er sagte. (…) Theater- und Presseleute lieferten Einfälle. Die Programmgespräche verlagerten sich, zumal Redaktionsraum knapp und das Bedürfnis nach Aussprache groß war, in den Keller, in die Kantine. Man diskutierte bei Kölsch oder Kaffee und Kirschkuchen. In einer Ecke saß, wenn es sich machen ließ, der Herr des Hauses, Hanns Hartmann, und spielte mit Redakteuren Skat. Man war noch beieinander.“