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Politik

Kritischer Blick nach Russland

Iurii Sheiko | (Adapt.:Markian Ostaptschuk)
27. Juni 2020

Russlands Bevölkerung stimmt über eine Verfassungsänderung ab, die es Präsident Putin theoretisch ermöglicht, bis 2036 an der Macht zu bleiben. Doch das ist nicht das Einzige, was EU-Parlamentariern Sorge bereitet.

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Symbolbild Beziehungen Russland EU
Bild: Imago/Christian Ohde

Peter Stanos Statement fiel kühl und distanziert aus: "Wir verfolgen die Vorbereitungen zur Abstimmung in Russland über die Verfassungsänderungen am 1. Juli genau", erklärte der außenpolitische Sprecher der EU, Peter Stano, auf Anfrage der DW. Stano wies vor allem darauf hin, dass mit der Verfassungsänderung dem russischen Recht Vorrang vor internationalen Verträgen gewährt werden soll. Er erinnerte daran, dass dies aus Sicht des Europarates, dem auch Russland angehört, den internationalen Verpflichtungen der Russischen Föderation widerspricht.

Peter Stano Pressesprecher der EK für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik
EU-Sprecher Peter StanoBild: European Commission

"Verfassungsänderungen in Russland sollten nicht dazu genutzt werden, eine mögliche Abkehr Russlands von diesen Verpflichtungen zu rechtfertigen, einschließlich der Verpflichtung zur Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte", betonte Stano. Er fügte hinzu, dass sich die EU eine freie und glaubwürdige Abstimmung in Russland wünsche.

Annullierung von Putins Amtszeiten

Kritisch wird von vielen EU-Parlamentariern vor allem die geplante Annullierung der bisherigen Amtszeiten von Präsident Putin gesehen. Der deutsche Grünen-Abgeordnete Sergey Lagodinsky sagte, diese Änderung komme "wie aus heiterem Himmel". Der finnische Europaabgeordnete Nils Torvalds, der dem Ausschuss für parlamentarische Kooperation mit Russland angehört, glaubt, dass Putin wegen seiner sinkenden Umfragewerte und wegen des derzeit niedrigen Ölpreises Druck macht, die Verfassung möglichst schnell zu ändern. Er wolle versuchen, Änderungen jetzt vorzunehmen, solange die Situation in Russland zumindest teilweise noch unter Kontrolle sei, so Torvalds.

Nils Torvalds
Der liberale EU-Abgeordnete Nils Torvalds Bild: cc-by-sa 3.0/David Iliff

Lediglich Gunnar Beck von der deutschen rechtspopulistischen Alternative für Deutschland findet es gut, dass mit der Verfassungsreform die Amtszeit des russischen Präsidenten künftig begrenzt werden soll. "Zurzeit könnte jemand zwölf Jahre lang Präsident sein, dann für eine Amtszeit ausscheiden und dann erneut zwei Amtszeiten bestreiten. In Zukunft ist das nicht mehr möglich. Wenn man eine Beschränkung der Amtszeit für hohe Politiker für erstrebenswert hält, so scheint mir das ein Fortschritt (zu sein)", so Beck.

Für Putin selbst soll diese Einschränkung jedoch erst nach der nächsten Wahl gelten, was ihm zwei weitere und so insgesamt sechs Amtszeiten ermöglichen wird.

Zweifel an der Abstimmung

Auch das gesamte Abstimmungsverfahren wird in Brüssel kritisch gesehen. Das Referendum ist auch dann gültig, wenn sich weniger als 50 Prozent der Wahlberechtigten daran beteiligen. Internationale Beobachter hat Russlands Zentrale Wahlkommission nicht eingeladen, mit dem Hinweis, das sei bei "allrussischen Abstimmungen" nicht vorgesehen. Sergey Lagodinsky findet, dass dies nicht dem Geiste von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entspricht. "Handelt es sich um ein Plebiszit oder um eine Meinungsumfrage?", so Lagodinsky. "Natürlich stellt sich die Frage nach der Legitimität des gesamten Verfahrens".

Sergey Lagodinsky
Der Grünen-EU-Parlamentarier Sergey LagodinskyBild: DW

In dieselbe Kerbe schlägt auch Nils Torvalds: "Wir hatten schon früher Probleme mit der Rechtmäßigkeit von Abstimmungen in Russland. Wenn man keine internationale Kontrolle zulässt, ist das Risiko einer Fälschung der Ergebnisse enorm", befürchtet der liberale EU-Abgeordnete.

Der Rechtspopulist Beck findet hingegen kaum Grund für Kritik an den bisherigen Wahlergebnissen in Russland. Er glaubt, dass auch diese Abstimmung im Großen und Ganzen fair und geheim ablaufen werde. 

Bindung der Renten und Ehe zwischen Mann und Frau

Mit den Verfassungsänderungen sollen auch soziale Garantien wie die jährliche Bindung der Renten und des Mindestlohns an das Existenzminimum festgeschrieben werden. Grundsätzlich begrüßen dies alle drei Abgeordnete. Doch Nils Torvalds bezweifelt, dass der russische Staat dazu in der Lage sein wird: "Wenn man kein Geld hat, kann man seine Versprechen nicht erfüllen."

Wenn es darum geht, dass durch die Verfassungsänderung die Ehe ausschließlich als Vereinigung von Mann und Frau festgeschrieben werden soll, gehen die Meinungen jedoch wieder weit auseinander. Gunnar Beck ist dafür: "Russland versteht sich in der Tat als traditionell christlicher Staat." Sergey Lagodinsky hingegen hält dies für "Populismus", der gegen die LGBT-Gemeinschaft in Russland gerichtet sei.

Dass sich durch eine Verfassungsänderung das Verhältnis zwischen der EU und Russland grundlegend ändern wird, sei jedoch nicht zu erwarten. Niemand in der EU habe die Illusion gehabt, dass Putin zum Ende dieser Amtszeit einfach abtreten würde. "Europa hat sich bereits mit dieser Aussicht abgefunden", so Sergey Lagodinsky. Allen sei klar, dass Putins Herrschaft noch lange andauern werde.

Russland zwischen Tradition und Zukunft (1)