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Politik

Hohe Hürden für Ausweisung

19. Juli 2019

Fünf Minderjährige sollen in Mülheim eine Frau vergewaltigt haben. Die Tatverdächtigen stammen aus Bulgarien. Kann man sie und ihre Familien ausweisen, wie es einige Politiker fordern?

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Bild: picture-alliance/dpa/B. Stanley

Staatsangehörige von EU-Ländern haben grundsätzlich das Recht, sich in einem beliebigen anderen Staat der EU aufzuhalten. Nur in sehr seltenen und schweren Fällen dürfen EU-Bürger aus einem Land ausgewiesen werden. Als Gründe kommen nach den EU-Verträgen grundsätzlich eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder eine Gesundheitsgefahr infrage. Jeder Fall muss aber einzeln begründet sein und würde eine große Ausnahme von der allgemeinen Regel der Freizügigkeit darstellen. Denn die Freizügigkeit ist für die EU ein hohes Gut. 

Im vorliegenden Fall in Mülheim müsste selbstverständlich ein Gericht erst einmal feststellen, dass eine Straftat begangen wurde. Der bloße Verdacht reicht nicht aus. Aber selbst eine Verurteilung wäre noch kein Grund für eine Ausweisung.   

Keine Urteile allein zur Abschreckung

Nach dem Europäischen Gerichtshof muss man es mit einer "tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung" zu tun haben, die "ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt". Ein typischer Fall sind Rauschgiftdelikte, aber auch Vergewaltigungen wie in Mülheim gehören dazu. 

Schweres Sexualdelikt - Gruppe Jugendlicher unter Verdacht
In der Nähe dieses Spielplatzes in Mülheim soll die junge Frau vergewaltigt worden sein. Die Empörung ist noch immer großBild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch

Auch hier kommt nicht automatisch eine Ausweisung eines Straftäters infrage. Gerichte haben aber immer wieder so entschieden, dass eine Tendenz erkennbar ist. Richter gehen in ihrem Urteil zum Beispiel danach, ob man bei einer Person mit weiteren Straftaten rechnen muss und die Gesellschaft dadurch gefährdet wird. Auf keinen Fall dürfen ganze Gruppen, zum Beispiel Nationalitäten, von einem Urteil betroffen sein. Auch eine Ausweisung allein als Abschreckung für andere EU-Ausländer ist unzulässig. Es geht immer um Einzelpersonen und einzelne Straftaten.

Jeden Fall gesondert betrachten

Die sorgfältige Einzelfallprüfung fordert nicht nur der Europäische Gerichtshof, sondern seit 2004 auch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Auch die Aufenthaltsdauer wird berücksichtigt. Je länger sich eine Person in einem Land der EU aufhält und nicht straffällig wird, desto mehr verfestigt sich ihr Bleiberecht. Einen EU-Ausländer zum Beispiel, der bereits zehn Jahre und länger in Deutschland lebt, können die Behörden nur aus "zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit" ausweisen, sprich: Die Gefährdung muss derart unmittelbar, offensichtlich und gravierend sein, dass dem Staat kein Auslegungsspielraum bleibt – eine sehr hohe Hürde.

Im Fall Mülheim kommt noch dazu, dass es sich bei den Tatverdächtigen um Minderjährige handelt. Ohne ihre Eltern könnten sie auf keinen Fall ausgewiesen werden. Die gesamten Familien kann man aber auch nicht ausweisen, da es ja immer um einzelne Personen und deren Straftaten geht.

 

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik