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Lieber vorsorgen

Christoph Hasselbach16. Juni 2012

Das früher Undenkbare wird mittlerweile in Brüssel ganz offen diskutiert: Griechenland könnte nach den Parlamentswahlen die europäische Währungsunion verlassen. Noch aber wird auf allen Seiten gepokert.

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Symbolbild zur Griechenlandkrise. Drachme und Euro. ( Foto: dapd)
Bild: dapd

Wer von Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker etwas über Griechenlands Zukunft in der Eurozone erfahren möchte, muss sich auf Widersprüche gefasst machen: "Ich denke keine Sekunde an einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Das ist Unsinn, das ist Propaganda", erklärte der Luxemburger bei einer Pressekonferenz im Mai. Um dann wenige Minuten später doch einzuschränken: "Es ist unser unerschütterlicher Wunsch, Griechenland in der Eurozone zu halten. Wir tun wirklich alles dafür." Was Wunsch ist, muss nicht unbedingt in Erfüllung gehen.

Selbst Kommissionsmitglieder reden vom Fall des Falles

Das Reden über einen griechischen Abschied vom Euro war noch bis vor wenigen Monaten absolut tabu. Inzwischen sind solche offenen Gedankenspiele aber salonfähig geworden: beim Eurogruppen-Chef Juncker, aber auch in der EU-Kommission. Handelskommissar Karel De Gucht sagte vor wenigen Wochen in einer belgischen Zeitung: "In der Europäischen Zentralbank und der Kommission arbeiten Experten an Szenarien für den Fall, dass es Griechenland nicht schafft." Und sogar Kommissionspräsident José Manuel Barroso meinte in einem italienischen Zeitungsinterview am 11. Mai: "Wenn sich ein Mitglied eines Clubs nicht an die Regeln hält, ist es besser, wenn es den Club verlässt." Auch wenn er nicht Griechenland nannte, war doch der Zusammenhang eindeutig Griechenland, und so wurde seine Äußerung verstanden.

Porträt von Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker (Foto:dapd)
Chef einer Währungsunion im Krisenmodus: Jean-Claude JunckerBild: AP

Hilfszusage an Spanien als Vorsorge?

Die Regeln des Clubs, das sind in diesem Fall die Spar- und Reformauflagen der internationalen Geldgeber an Griechenland. Und daran wollen die Gläubiger auch nicht rütteln lassen. Die meisten Griechen auf der anderen Seite wollen zwar in der Währungsunion bleiben, stöhnen aber unter den scheinbar endlosen Folgen der Sparpolitik. Und diesen widersprüchlichen Auftrag - ja zum Euro, aber bessere Bedingungen - dürften die Griechen auch bei der Parlamentswahl am Sonntag (17.06.12) den Politikern erteilen.

Porträt von Syriza-Chef Alexis Tsipras (Foto: dapd)
Euro Ja, Sparpaket Nein: Syriza-Chef Alexis TsiprasBild: Reuters

Fotis Kouvelis, Vorsitzender der relativ kleinen Demokratischen Linken, wagte sich kürzlich nach Brüssel in die Höhle des Löwen und stellte klar: "Was wir brauchen, ist eine Politik, die dem Verbleib Griechenlands in der Eurozone dient und uns gleichzeitig von bestimmten Maßnahmen und Regelungen des Hilfspakets entbindet." Dabei ist Kouvelis noch moderat. Alexis Tsipras, Chef des Linksbündnisses und möglicher Wahlsieger, hat mehrfach betont, als Ministerpräsident würde er das Sparprogramm für null und nichtig erklären. Seine Chancen stehen gar nicht schlecht. Janis Emmanouilidis, Griechenland-Experte von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre, glaubt, das Hilfsangebot der Euro-Staaten für den spanischen Bankensektor vom vergangenen Wochenende sei auch deshalb kurz vor der Griechenland-Wahl gemacht worden, "um sich für die Folgen zu wappnen, wenn die künftige griechische Regierung etwas verlangen würde, was die andere Seite nicht bereit ist zuzugestehen."

Gefühle reichen von Mitleid bis Wut

Die meisten Partner geben sich tatsächlich unnachgiebig. Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble meinte vor wenigen Wochen in Brüssel lapidar: "Wenn sich Griechenland entscheidet, nicht in der Eurozone zu bleiben, werden wir Griechenland nicht zwingen können." Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn ruft die Griechen fast verzweifelt auf, sparwillige Parteien zu wählen. "Andernfalls tut es mir unheimlich leid für das griechische Volk. Dann kommt der Punkt, wo Griechenland leider die Chance verspielt hat." Andere lassen ihrem Unmut über das Land freien Lauf. Die österreichische Finanzministerin Maria Fekter belehrte Journalisten kürzlich, da ein Land nicht aus der Eurozone austreten könne, könne es nur aus der EU insgesamt austreten. "Griechenland müsste sich dann wieder um den Beitritt bemühen, und dann würden wir Beitrittsverhandlungen führen und genau hinschauen, ob Griechenland überhaupt beitrittsfähig wäre" - eine Anspielung auf die gefälschten Zahlen, als es um die griechische Teilnahme an der Währungsunion ging.

Porträt Emmanouilidis (Foto: DW)
Griechenland-Experte Emmanouilidis: Gefahr eines "politischen Unfalls"Bild: DW

Die Schicksalswahl, die niemand so nennen will

Doch die meisten Politiker und Experten warnen vor einem griechischem Austritt. Janis Emmanouilidis befürchtet, Griechenland stünde dann noch größeres Elend bevor. Auch gesellschaftlich würde eine Rückkehr zur Drachme "zu enormen Verwerfungen führen", da der Euro als Klammer gewirkt habe, "die auch in der schwierigen Situation der Krise die Gesellschaft zusammengehalten hat". Doch wenn die Griechen den Euro behalten wollen und die anderen Euro-Länder Angst vor einer Ansteckung anderer Staaten haben, wenn also die Interessen in die gleiche Richtung wirken, ist dann nicht ein Kompromiss möglich? Grundsätzlich stimmt Emmanouilidis zu. Selbst der griechische Scharfmacher Tsipras habe seine Rhetorik zuletzt abgemildert. Als Risiko sieht der Experte aber das, was er einen "politischen Unfall" nennt: Selbst bei einem Kompromiss könne es sein, dass sich entweder einige der Euro-Länder dieser Lösung in den Weg stellen würden oder das griechische Volk nicht mitmachen werde. Dieser politische Unfall könne dazu führen, so Emmanouilidis, "dass die Krise sich weiter zuspitzt, noch mehr Staaten in den Strudel geraten und dass insgesamt der Euro auf dem Spiel stehen könnte." 

Fekter gestikuliert vor Ministerkollegen (Foto: Reuters)
Finanzministerin Fekter: beim nächsten Mal genauer hinschauenBild: Reuters

Immer wieder haben Kommissionsmitglieder und Politiker gesagt, die Wahl am Sonntag sei allein Sache der Griechen, niemand wolle oder dürfe ihnen Vorschriften machen. Doch die Spannung in Brüssel ist mit Händen zu greifen. Es ist, als wollten alle den Griechen zurufen: Lasst Euch nicht beeinflussen, aber tut auch bitte das Richtige!