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Politik

EU-Innenminister suchen nach Solidarität

26. Januar 2017

Die EU möchte die maritime Fluchtroute von Libyen nach Italien schließen. Flüchtlingslager in Nordafrika könnten Teil der Lösung sein. Wenig Fortschritt, aber eine neue Frist: Juni. Bernd Riegert berichtet aus Valletta.

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Malta informelles Treffen der EU-Innenminister zu Migration und Grenzsicherung Großmeisterpalast in Valetta
Besser bewachen: Palastgarde in Malta. EU Innenminister beraten Schutz der Außengrenzen in VallettaBild: DW/B. Riegert

So recht vorangekommen sind die EU-Innenminister bei ihrer informellen Diskussion um ein neues Asylsystem für die Union auf Malta nicht. Die EU-Ratspräsidentschaft hatte zum Nachdenken nach Valletta eingeladen. Der EU-Kommissar für Migration, Dimitris Avramopoulos hatte auf einen Durchbruch gehofft. Vergeblich. "Wir sind noch nicht da", sagte Avramopoulos in Valletta. Einig sind sich alle, dass neue Regeln her müssen, weil die alte "Dublin-Verordnung" für die großen Flüchtlings- und Migrantenzahlen der letzten beiden Jahre nicht taugt. Die osteuropäischen Staaten weigern sich aber nach wie vor überhaupt Flüchtlinge oder Asylbewerber aus dem überforderten Griechenland und Italien im Rahmen einer EU-weiten Umverteilung aufzunehmen. Andere Staaten, wie Deutschland oder Luxemburg, fordern mehr Solidarität mit den Ländern, die heute die Hauptlast tragen. 

Es gehe vor allem darum, die "Frontstaaten" Griechenland und Italien nicht allein zu lassen, wo die meisten Migranten ankommen, gab der luxemburgische Außen- und Migrationsminister Jean Asselborn zu bedenken. Malta hat zurzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne und hat die Migrationsfrage zu seiner ersten Priorität erklärt.

"Wir müssen das hinkriegen"

Die EU-Kommission hat jetzt einen Kompromissvorschlag auf den Tisch gelegt, der "flexible Solidarität" definiert. Jeder Mitgliedsstaat müsse eine gewisse Last bei der Verteilung von Asylbewerbern und Flüchtlingen tragen, sagte EU-Kommissar Avramopoulos. "Wenn flexible Solidarität heißt, dass sich einige gar nicht beteiligen, dann ist das keine Solidarität", beschwerte sich der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere. Der deutsche Minister und sein französischer Kollege Bruno Le Roux schlugen als Kompromiss in Malta ein Drei-Phasen-Modell vor. Bei normalen Asylbewerberzahlen soll weiter die "Dublin-Regel" gelten. Der Staat der ersten Einreise bleibt zuständig. Steigen in einer zweiten Phase die Asylbewerberzahlen über eine bestimmte Schwelle an, soll ein festes Verteilsystem angewendet werden, in das alle EU-Mitgliedsstaaten gemäß ihrer Leistungsfähigkeit einbezogen werden. In der dritten und letzten Phase, bei einem "massenhaften Zustrom", so Thomas de Maiziere, würden die bisherigen Regeln des Asylsystems über Bord geworfen. Dann solle es möglich sein, Flüchtlinge, Asylbewerber oder Migranten bereits in Nordafrika aufzuhalten, dorthin zurück zu schieben und spezielle Aufnahmelager einzurichten. "Das ist alle noch ein wenig umbestimmt. Viele Fragen sind rechtlich und praktisch noch zu klären", räumte der deutsche Innenminister ein. Entscheidungen sollen endgültig erst im Juni 2017 am Ende der maltesischen EU-Ratspräsidentschaft fallen.  

Malta informelles Treffen der EU-Innenminister zu Migration und Grenzsicherung Thomas de Maziere
De Mazière: Schleppern ihr Geschäft verderbenBild: DW/B. Riegert

Aufnahmelager in Nordafrika

Langfristig müsse es das Ziel sein, "dass die Flüchtlinge und Asylbewerber gar nicht erst nach Europa gelangen, sondern an sichere Ort zurückgebracht werden", sagte De Maziere. Die Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen auf Booten im Mittelmeer soll demnach weitergehen. Sie sollen aber mehr nicht nach Malta oder Italien gebracht werden, sondern von den Schiffen der EU-Mission Sophia in Tunesien oder Ägypten abgesetzt werden. Dort würde dann entschieden, wer "tatsächlich schutzbedürftig" ist und wer nicht.

Prinzipiell hatten sich die EU-Minister schon vor einem halben Jahr auf Aufnahmelager geeinigt. Jetzt wird darüber konkret mit Tunesien und Ägypten verhandelt, heißt es von der EU-Kommission. In Libyen, dessen instabile Regierung weite Teile des Landes nicht kontrolliert, seien solche Lager derzeit nicht denkbar. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini gibt zu bedenken, dass man mit Libyen keinen Deal wie mit der Türkei anstreben könne. "Das ist für uns kein Modell", so Mogherini. Die Türkei hatte sich verpflichtet, seit März jeden Flüchtling oder Migranten, der auf griechischen Inseln ankommt, wieder zurückzunehmen. Dies hat kombiniert mit der Schließung der Landroute über den Balkan zu einem Rückgang der Migrantenzahlen um 80 Prozent geführt.

Libyen Flüchtlinge in Misrata
Einschiffen in Misrata (Libyen): 181.000 Migranten wurden 2016 auf hoher See gerettetBild: Ricardo García Vilanova/Photographic Social Vision

 

Schlepper und Migranten abschrecken

Auf der zentralen Mittelmeerroute ist die Zahl hingegen 2016 fast genauso hoch gewesen wie 2015, bei knapp 200.000 Menschen. Nach Schätzungen ertranken über 4000 Menschen. Diese Fluchtroute wollen die EU-Innenminister ebenfalls drastisch einschränken. "Es geht vor allem darum, den Schlepperbanden das Handwerk zu legen", sagte Thomas de Maizière in Valletta. Die Logik dahinter: Wenn die Flüchtlinge oder Migranten wissen, dass sie zwar gerettet, aber nach Afrika zurückgebracht werden, würden sie gar nicht erst die lebensgefährliche Überfahrt wagen und Tausende von Euro zahlen. Die Abschreckung der Flüchtlinge müsse aber "im Einklag mit dem Völkerrecht geschehen", schränkte der deutsche Innenminister bei den Diskussionen in Valletta ein. Nach der europäischen Menschenrechtskonvention dürfen Flüchtlinge an der Europäischen Außengrenze nicht pauschal abgewiesen werden. Jeder Einzelfall muss geprüft werden. Sie dürfen nicht in unsichere Staaten zurückgeschoben werden, wo ihnen Gefahr für Leib und Leben droht.

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sieht die Idee mit den Aufnahmelagern in Nordafrika skeptisch. "Die Idee, eine Insel außerhalb der EU zu mieten, um dort Flüchtlinge aus Syrien, Irak oder Libyen einzupferchen, gehört für mich zum rechtsnationalen Gedankengut", hatte Asselborn Anfang des Jahres im "Spiegel"-Interview gesagt. Österreich hatte entsprechende Vorschläge gemacht. "Es darf keine Festung der Gleichgültigkeit in Europa geben", sagte Asselborn.

Malta informelles Treffen der EU-Innenminister zu Migration und Grenzsicherung Jean Claude Asselborn
Asselborn: Jeder muss etwas beitragenBild: DW/B. Riegert

Libyens Küstenwache ausbauen

Die EU-Kommission will jetzt erst einmal 200 Millionen Euro locker machen, um die libysche Küstenwache aufzubauen und auszubilden. Das dürfte in dem ehemaligen Bürgerkriegsland nicht ganz einfach sein. Die EU erhofft sich, dass die Küstenwache, die Flüchtlingsboote bereits in libyschen Gewässern abfangen würde. Dann wäre eine Rückführung direkt nach Libyen auch völkerrechtlich kein Problem mehr.

Menschenrechtsorganisationen, wie "Amnesty International" kritisieren allerdings, dass die libysche Küstenwache willkürlich Flüchtlingsboote angreift und in Libyen Migranten wahllos inhaftiert würden. Gleichzeitig wird mit Herkunftsländern in Afrika über sogenannte "Migrationspartnerschaften" verhandelt. Fluchtursachen, wie wirtschaftliche Not, sollen mit zusätzlichen Hilfs- und Aufbauprojekten bekämpft werden. Staaten, die an der Rückführung von Flüchtling und Migranten mitwirken, sollen mit Hilfsgeldern belohnt werden.

Die EU-Innenminister versprachen auch zum wiederholten Male, die Datenbanken mit Asylbewerber-, Migranten-, und Visa-Daten endlich zusammenzuführen, um die Kontrollen an den EU-Außengrenzen verschärfen zu können. In einigen Jahren soll es eine automatische Erfassung von allen Ein- und Ausreisen an den Außengrenzen geben. Bislang sind die Systeme nur lückenhaft, auch wenn es darum geht, reisende radikalisierte Islamisten und Terrorverdächtige aufzuspüren, räumt die EU-Kommission in einem neuen Bericht ein. "Wir haben viel beschlossen, was Sicherheitsmaßnahmen angeht", sagte Bundesinnenminister de Maizière. "Ich werde darauf drängen, dass das jetzt so schnell wie möglich umgesetzt wird."

 

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union