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EU als Vorbild

11. November 2010

Der internationale Bosnien-Beauftragte Valentin Inzko sieht 15 Jahre nach dem Dayton-Friedensabkommen grundlegende Fortschritte im Land. Es bestehe aber noch viel Reformbedarf, insbesondere bei der Verfassung.

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Internationaler Bosnien-Beauftragter Valentin Inzko im Porträt (Foto: DW)
Internationaler Bosnien-Beauftragter Valentin InzkoBild: DW / Sasa Mlac

DW-WORLD.DE: Es nähert sich der 15. Jahrestag des Abkommens von Dayton. Wie schätzen Sie die Lage in Bosnien-Herzegowina ein?

Valentin Inzko: Ich möchte anlässlich des 9. Novembers erst einmal etwas anderes in den Vordergrund rücken. Die Justiz-und Innenminister der EU haben nämlich soeben beschlossen, Bosnien und Albanien Visafreiheit zu gewähren. Für viele Menschen in Bosnien ist das wie der 9. November für die Deutschen, denn es gibt jetzt die volle Reisefreiheit. Das empfindet man im Land als ein starkes Signal: "Wir sind in Brüssel willkommen."

Was den 15. Jahrestag von Dayton betrifft, gibt es natürlich verschiedene Meinungen. Es gibt Menschen, die ihn als einen guten Vertrag ansehen, aber auch solche, die ihn als mangelhaft betrachten. Vor allem hat er aber drei Dinge gebracht: Erstens hat er den Krieg beendet, zweitens hat er Frieden gebracht und drittens hat er den Gesamtstaat erhalten.

Zum Stichwort Gesamtstaat: Der ehemalige amerikanische Botschafter für Bosnien-Herzegowina, William Montgomery, hat vor kurzem gesagt: "Bosnien-Herzegowina ist ein gescheiterter Staat, in dem nichts funktioniert. Eine der möglichen Lösungen könnte die Auflösung des Landes und die Abspaltung der Republik Srpska sein." Könnte es zu einer solchen Teilung kommen? Die internationale Gemeinschaft beteuert ja immer das Gegenteil.

Diese Aussage kann ich nicht akzeptieren. Gerade die USA haben sehr viel getan, damit dieses Land bestehen bleibt und hätte man eine Teilung haben wollen, hätte man sie 1991 oder 1992 haben können - ohne hunderttausende Opfer. Oder spätestens 1995 in Dayton. Aber man wollte damals den Gesamtstaat erhalten und ich verstehe nicht, warum Herr Montgomery jetzt solche Aussagen macht, zum wiederholten Male. Das ist destruktiv und die internationale Gemeinschaft bleibt dabei: Bosnien bleibt als Gesamtsstaat erhalten. Er muss aber natürlich besser funktionieren.

Was muss geschehen, damit er besser funktioniert?

Es müsste vor allem mehr guten politischen Willen geben, den Willen zur Zusammenarbeit. Das kann man sogar ohne Verfassungsreformen erreichen, wie uns die Jahre 1996 bis 2006 gezeigt haben. Der Staat hat in dieser Zeit viele Fortschritte gemacht, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es 1996 keine gemeinsamen Autokennzeichen, keine gemeinsamen Reisepässe, keine Währung, keine Flagge und keine Hymne gab und nur drei Ministerien. Mittlerweile haben wir neun, unter anderem ein gemeinsames Verteidigungsministerium.

In den vergangenen vier Jahren gab es jedoch keine Fortschritte mehr. Wir müssten eine Verfassungsreform anstreben, damit der Staat funktionsfähiger wird. Es gibt außerdem ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, wonach die Verfassung geändert werden muss. Im Moment können nämlich Angehörige der Minderheiten nicht in bestimmte Funktionen gewählt werden.

Gerade das Thema Verfassungsreform ist sehr umstritten. Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass es dazu kommt?

Ich bin ein Befürworter der kleinen Schritte. Mein großes Vorbild ist die EU. Dort hat es auch über 50 Jahre gedauert, aber wir haben jetzt sehr gute Fundamente: den Lissabon-Vertrag, die Währungsunion und den Schengen-Raum. Dieses Gebäude wächst schön langsam, es ist nicht auf einmal entstanden - und so soll es auch in Bosnien sein.

Wo sehen Sie die größten Probleme auf dem Weg zu einer Verfassungsreform?

Die Serben verhindern die Verfassungsreform, weil sie fälschlicherweise annehmen, dass eine Verfassungsreform einen zentralisierten Staat nach sich ziehen würde. Das ist nicht der Fall: Bosnien wird immer dezentralisiert sein, aber es muss besser funktionieren. Auch die bosnisch-kroatische Föderation muss besser funktionieren. Zumal eine Föderation mit elf Regierungen auch sehr teuer ist. Auch dort wären neue Ansätze notwendig.

Wie können Sie den künftigen Präsidenten der Republik Srpska, Milorad Dodik, davon überzeugen, dass eine Verfassungsreform auch in seinem Sinne ist?

Wir müssten ihm klar machen, dass er dadurch nichts verliert. Er wird deshalb nicht weniger Serbe sein, er wird deshalb nicht weniger Orthodoxer sein. Auch die Republik Srpska wird dadurch keinen Quadratmillimeter kleiner werden. Sie könnte sogar davon profitieren, wie jetzt bei der Entscheidung für die Visumsfreiheit. Das ist auf gesamtstaatlicher Ebene abgelaufen, wie kürzlich auch die Entscheidung über die Mittel, die der internationale Währungsfonds zur Verfügung gestellt hat. Dort haben auch die beiden Teilstaaten profitiert. Mit diesem Ansatz kann man auch die Politiker der Republik Srpska dazu bringen, gewissen Reformen zuzustimmen.

Das Interview führte: Christina Bergmann

Redaktion: Mirjana Dikic / Julia Kuckelkorn