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EU diskutiert Rechtsstaatlichkeit in Polen

3. Januar 2016

Die EU-Kommission plant eine Debatte über die Lage des Rechtsstaats in Polen. Damit reagiert sie auf mehrere hochumstrittene Gesetzesänderungen der rechtskonservativen Regierung. Am Ende könnte ein Prüfverfahren stehen.

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Belgien, Gebäude der EU-Kommision in Brüssel (Foto: Picture alliance, dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/I. Kjer

Die Kommission werde sich am 13. Januar mit den Vorgängen in dem Land befassen, erklärte ein Sprecher in Brüssel. Die geplante Beratung der EU-Kommission ist die Vorstufe zu einem Prüfverfahren, das die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit durch die Mitgliedstaaten überwachen soll. Es sei derzeit aber noch "zu früh für Spekulationen über die nächsten möglichen Schritte", erklärte der Kommissionssprecher. Brüssel führe einen "intensiven Dialog mit unseren polnischen Partnern".

Das polnische Parlament hatte zum Jahreswechsel im Eilverfahren ein Mediengesetz verabschiedet, das die konservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski vorgelegt hatte. Damit werden die Chefs der öffentlich-rechtlichen Sender künftig direkt von der Regierung ernannt oder abberufen.

Beata Szydlo und Jaroslaw Kaczynski im polnischen Parlament (Foto: Picture alliance, dpa)
Ministerpräsidentin Beata Szydlo und PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski im polnischen ParlamentBild: picture-alliance/dpa

Kritik von allen Seiten

Der für Medienpolitik zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger sprach sich in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" dafür aus, "dass wir jetzt den Rechtsstaatsmechanismus aktivieren und Warschau unter Aufsicht stellen". Er werde sich dafür bei der Sitzung der EU-Kommission im Januar einsetzen. Laut dem Kommissionssprecher wurde das Thema von Kommissionschef Jean-Claude Juncker auf die Tagesordnung gesetzt.

Auch die Europäische Rundfunkunion (EBU), der Zusammenschluss von Sendeanstalten in Europa, kritisierte die polnische Medienreform scharf. "Wir sind bestürzt, dass ein solches Gesetz angenommen werden konnte", schrieb EBU-Generaldirektorin Ingrid Deltenre dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda nach Informationen der Zeitung.

Weitere Kontrollmaßnahmen geplant

In Polen hatten unterdessen die Direktoren der öffentlich-rechtlichen Sender TVP1 und TVP2 sowie die Verantwortlichen des Kulturkanals TVP Kultura, der TVP-Personalabteilung und der TV-Informationsagentur TAI ihre Rücktritte bekanntgegeben.

PiS-Chef Kaczynski kündigte derweil einen weitgehenden Umbau der öffentlich-rechtlichen Sender im Land und auch der polnischen Nachrichtenagentur PAP an. Sie sollen zu Kulturinstituten unter dem Patronat eines Nationalen Medienrats werden, den die neue Regierung aufbauen will.

Außenminister will offenbar die Zeit zurückdrehen

Polens Außenminister Witold Waszczykowsi sagte der "Bild"-Zeitung (Montagsausgabe), in den öffentlich-rechtlichen Medien des Landes sei unter der Vorgängerregierung ein bestimmtes linkes Politik-Konzept verfolgt worden: "Als müsse sich die Welt nach marxistischem Vorbild automatisch in nur eine Richtung bewegen - zu einem neuen Mix von Kulturen und Rassen, eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen. Das hat mit traditionellen, polnischen Werten nichts mehr zu tun." Die PiS setze dagegen "auf das, was die Mehrheit der Polen bewegt: Traditionen, Geschichtsbewusstsein, Vaterlandsliebe, der Glaube an Gott, an ein normales Familienleben zwischen Mann und Frau".

Kritik übte Waszczykowski zudem an einem Brief von EU-Vizekommissionschef Frans Timmermans wegen der Neuregelungen. "Da schreibt ein EU-Beamter, der durch politische Beziehungen ins Amt kam, einer demokratisch gewählten Regierung", sagte er und ergänzte: "Woher nimmt er das Recht dazu?" Für ihn sei Timmermans "kein legitimierter Partner".

Auch Reform des Verfassungsgericht umstritten

Kurz vor der Medienreform war bereits eine Reform des Verfassungsgerichts in Kraft getreten, die dessen Arbeit erheblich erschwert. Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vom Samstag, Polens Regierung stelle "zentrale europäische Prinzipien und Werte zur Debatte".

Vor zu viel Druck auf Warschau warnte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU). "Wer Herrn Kaczynski in Polen stärken und die ohnehin sehr schwierige Lage in Europa weiter verschlechtern will, der muss mit Belehrungen und Drohgebärden gegenüber Warschau weitermachen", sagte er den Funke-Zeitungen vom Montag.

Außenminister akzeptiert Flüchtlingsquote

Unterdessen deutet sich ein Umdenken Polens bei der Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU an. Trotz Vorbehalten will Warschau offenbar nun doch wie vorgesehen 7000 Flüchtlinge aufnehmen. "Ja, wir sind bereits vorbereitet", sagte Außenminister Waszczykowski im einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters auf die Frage, ob sich Polen an die Zusage der Vorgängerregierung hält.

Der Minister stellte die Rechtmäßigkeit jedoch infrage und sagte, Flüchtlinge sollten nur nach einer sorgfältigen Prüfung ins Land gelassen werden. "Die große Mehrheit dieser Leute sind Auswanderer, doch sie wurden als Flüchtlinge behandelt. Unserer Meinung nach sind die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Entscheidung fehlerhaft", sagte Waszczykowski. Polen habe derzeit aber nicht vor, wie die Slowakei und Ungarn wegen der Flüchtlingsquoten vor Gericht zu ziehen.

chr/gri (dpa, afp, rtr)