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PolitikEuropa

EU-Kommission will gegen Ungarn vorgehen

Barbara Wesel
23. Juni 2021

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat das ungarische Homosexuellen-Gesetz als "Schande" kritisiert. Auch EU-Parlamentarier sehen in einer Resolution EU-Werte durch Ungarn untergraben.

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Ursula von der Leyen
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen will gegen Ungarn vorgehen (Archivbild)Bild: Olivier Matthys/AP Photo/picture alliance

Das ungarische Homosexuellen-Gesetz diskriminiere Menschen "aufgrund ihrer sexuellen Orientierung" und verstoße gegen die "fundamentalen Werte der Europäischen Union", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel. Sie habe deshalb ihre zuständigen Kommissare aufgefordert, einen Brief an Ungarn zu schicken, "um unseren rechtlichen Bedenken Ausdruck zu verleihen, bevor das Gesetz in Kraft tritt".

Resolution gegen ungarisches LGBTQ-Gesetz

Bereits am Dienstag zeigte eine Initiative im Europaparlament Erfolg. Die belgische Vertreterin Sophie Wilmès zeigte sich zufrieden, dass immerhin dreizehn Mitgliedsländer ihre Resolution unterschrieben, die zunächst nur als Initiative der Benelux-Länder gedacht war.

Darin wird festgestellt, dass die neue ungarische Gesetzgebung die Werte untergrabe, für die Europa steht. "Eine wertebasierte Union ist kein à la carte Menu", schreibt die Belgierin, "wir haben eine kollektive Verantwortung alle EU-Bürger zu schützen und müssen deswegen unsere Sorge laut machen." Außerdem müsse man es den Partnern sagen, wenn man glaubt, sie würden einen falschen Weg einschlagen.

In der vergangenen Woche hatte das ungarische Parlament ein Gesetz verabschiedet, in dem Pädophilie und Homosexualität in einer Regelung behandelt werden und die Information von Jugendlichen über andere sexuelle Orientierungen etwa in Schulen oder im Fernsehen verboten wird. Luxemburgs Minister Jean Asselborn glaubt, was europäische Grundsätze angeht, sei bei Premier Viktor Orban inzwischen "Hopfen und Malz" verloren.

Ungarns Präsident Viktor Orban
Ungarns Präsident Viktor Orban: In dem Land sollen Jugendliche nicht mehr über Homosexualität informiert werden Bild: John Thys/AP Photo/picture alliance

"Ich finde das, was die Ungarn sich da erlauben, uneuropäisch. Man kann nicht den Menschen vorschreiben, wie sie zu leben haben." Die EU dürfe in dieser Frage nicht zurückweichen und er finde es beschämend, dass so eine Diskussion überhaupt aufkomme, so Asselborn.

Auch sein irischer Kollege Thomas Byrne fand starke Worte: "Wir haben die Erklärung von ganzem Herzen und mit Leidenschaft unterzeichnet. Was da passiert, ist falsch." Es gebe allerdings noch viele andere Probleme, die bei der Art. 7-Debatte (Regelung zur EU-Rechtsstaatlichkeit) behandelt werden müssten, etwa die Pressefreiheit. Was aber das neue ungarische Gesetz angehe, sieht Byrne die EU und Ungarn in einer gefährlichen Situation. "Wir glauben, es ist wichtig, den Druck aufrecht zu erhalten, was die Wahrung der Menschenrechte angeht."

Osteuropäische Länder halten sich raus 

Der deutsche Minister Michael Roth betonte, es gebe eine Menge Probleme mit der jüngeren Entwicklung in Ungarn: Bei der Medienfreiheit- und Vielfalt, bei Checks und Balances in den Institutionen, beim Umgang mit der Opposition oder mit Minderheiten jeglicher Art. Außerdem aber sagt er: "Die jüngsten Entscheidungen des ungarischen Parlaments sind eine große Beschwernis, weil sie klar gegen unsere Werte verstoßen, weil ein respektvoller Umgang mit Minderheiten - auch mit sexuellen - außer Zweifel stehen sollte."

Michael Roth (r-l), Staatsminister für Europäische Angelegenheiten aus Deutschland, Ana Paula Zacarias, Europaministerin des derzeit den Ratsvorsitz innehabenden Portugals, und Gasper Dovzan, Sloweniens Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten, halten eine Glocke bei einem Treffen der europäischen Minister im Rat für Allgemeine Angelegenheiten im Gebäude des Europäischen Rates.
EU-Ministertreffen in Luxemburg: Nicht alle Länder schlossen sich der Resolution an Bild: John Thys/dpa/picture alliance

Am Ende schlossen sich dreizehn Mitgliedsländer der Erklärung an, unter anderem auch Frankreich, Spanien, Deutschland und Schweden. Vorwiegend osteuropäische Länder hielten sich fern. Und der ungarische Vertreter Peter Szijjarto spottete, es würden in dieser Debatte "Fake News" verbreitet. Das Gesetz würde LGBTQ-Menschen nicht diskriminieren, sondern lediglich die Sexualerziehung von Jugendlichen und ihren Schutz regeln.

Über Stunden führten die Minister an diesem Dienstag die Anhörung von Polen und Ungarn im sogenannten Rechtsstaatlichkeitsdialog durch. Und die zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova zog eine düstere Bilanz: In der jüngsten Zeit hätte sich vieles zum Schlechteren entwickelt.

Im Fall Polens etwa gebe es schwere Bedenken über die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtshofes. Außerdem würde Polen jetzt den Vorrang von EU-Recht gegenüber nationalem Recht angreifen. Und der polnische Premier weigere sich, der Forderung der EU nachzukommen und die entsprechende Vorlage beim Verfassungsgericht zurückziehen. "Es gibt weitere Schritte hin zur Konfrontation."

 LGBTQ-Demonstration in Budapest
Tausende Menschen demonstrierten Mitte Juni vor dem ungarischen Parlament gegen das "Propagandagesetz"Bild: Marton Monus/REUTERS

Orban zeigt sich unbeeindruckt 

Was Ungarn angeht, sieht die EU-Kommission die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr, die Gleichbehandlung, die Unabhängigkeit der Justiz, die Meinungsfreiheit - eigentlich alle fundamentalen demokratischen Grundsätze. Der ungarische Medienrat habe etwa verweigert, dem unabhängigen Klubradio die Sendelizenz zurück zu geben. Deswegen werde auch ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren vorbereitet. Es gebe auf Seiten der ungarischen Regierung keinen Versuch, Gemeinsamkeiten mit der EU und ihren Werten zu finden, klagte Kommissarin Jourova. 

Wer allerdings die jüngste Rede von Premier Viktor Orban verfolgt hat, in der er unter anderem eine Entmachtung des Europaparlaments fordert, dürfte keine Zweifel haben, in welche Richtung seine politische Reise geht. Ermahnungen aus der EU haben ihn bisher nicht beeindruckt. Und solange Brüssel nicht mit dem Entzug von Geldern droht, was juristisch kompliziert ist, dürfte seine Regierung die Abschaffung demokratischer Rechte voran treiben.  

Dieser Artikel wurde am 23.06.2021 aktualisiert.