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Der größte Deal aller Zeiten

Barbara Wesel Brüssel
28. Juni 2019

Die Verhandlungen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten waren erfolgreich: Nach 20 Jahren ist der Weg für die größte Freihandelszone der Welt frei. Doch schon zeichnet sich Streit ab. Von Barbara Wesel, Brüssel.

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Symbolbild Freihandel
Bild: picture-alliance/Bildagentur-online/Ohde

Der Ort und der Zeitpunkt waren bewusst gewählt: Am Rande des G20-Gipfels in Osaka, der sich in Streit und Uneinigkeit ergeht, twitterte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker triumphierend die Nachricht über den Deal, den Abschluss eines Handelsabkommens mit den Mercosur-Staaten in die Welt: "Inmitten internationaler Spannungen in den Handelsbeziehungen senden wir ein starkes Signal, dass wir für einen regel-basierten Handel stehen." Das ist eine Art politische Ohrfeige für US-Präsident Donald Trump, den die Europäer als Zerstörer des freien Welthandels kritisieren, während sie den Handel ausbauen und erweitern wollen. Dieses Abkommen allerdings hatte eine Gestehungszeit von 20 Jahren, eine leichte Geburt war das nicht.

Der größte Deal aller Zeiten

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström war geradezu euphorisch, als sie ihren Verhandlungserfolg nach einer mehrtägigen Endrunde in Brüssel verkündete. "Es ist ein historischer Tag, genau 20 Jahre auf den Tag nach dem Beginn der Gespräche." Sie nennt die Verhandlungen lang, hart und schwierig, aber am Ende stehe ein Meilenstein. Dieses Abkommen mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay einerseits und der EU andererseits werde den größten Freihandelsraum der Welt mit 760 Millionen Menschen schaffen, betont Malmström.

EU-Handelskommissarin Malmström (Archivfoto: Getty Images/AFP/E. Dunand)
Freut sich über das Abkommen: EU-Handelskommissarin Malmström (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/E. Dunand

Das Abkommen wird im Wesentlichen den EU-Markt für Produkte aus den Mercosur-Staaten öffnen und im Gegenzug die Zölle für Industriegüter aus Europa abschaffen. Bei Autos fielen Zölle in Höhe von 35 Prozent weg, bei Pharmaprodukten in Höhe von 40 Prozent - und so weiter, führt Malmström aus. Die EU-Seite werde insgesamt vier Milliarden Euro an Zöllen beim Handel mit den südamerikanischen Staaten sparen.

Gleichzeitig gebe es in dem Abkommen Sicherungen, wie den Bezug auf das Pariser Klimaabkommen und die Regelungshoheit der EU-Mitglieder etwa bei öffentlichen Leistungen. Arbeitnehmerrechte würden geschützt und Vorkehrungen gegen die weitere Entwaldung getroffen. Und Malmström stellt hier den Zusammenhang mit den Problemen des Gipfels in Osaka her: Die Beschränkung des freien Handels schade der Weltwirtschaft.

Die Probleme liegen in der Landwirtschaft

Landwirtschaftskommissar Phil Hogan klang deutlich weniger begeistert und erklärte, dass man eine Menge Kompromisse habe machen müssen, um das Ergebnis zu erzielen. "Wir erkennen das Recht der Mercosur-Staaten auf Zugang zu unserem Markt an und müssen gleichzeitig unsere sensiblen Sektoren schützen." Unter anderem aus seiner Heimat Irland waren Kritik und Bedenken gekommen, weil dortige Farmer sich vor einer Schwemme von billigem Rindfleisch fürchten, das möglicherweise hormonbelastet oder sonstwie nach schlechteren Standards hergestellt wird.

"Wir mussten bedeutende Zugeständnisse machen", wiederholt Hogan da noch einmal, versichert aber andererseits, dass die EU-Anforderungen an Lebensmittelsicherheit eingehalten werden müssten. Außerdem gebe es geographische Schutzbezeichnungen für spezielle regionale Produkte in Europa, und vor allem bei Rindfleisch und Zucker würden weiterhin Quoten und Zölle gelten. Andererseits entfielen die Exportzölle für EU-Landwirte bei Wein und Milchprodukten in Richtung Mercosur und sich dadurch für sie wiederum neue Absatzmärkte eröffnen.

Streit zwischen Merkel und Macron

Kurz vor Ende der Verhandlungen war es wieder einmal zu einer offenen Konfrontation zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gekommen. Merkel hatte die EU-Kommission in einem Brief aufgefordert, den Mercosur-Staaten ein "ausgewogenes und vernünftiges Abkommen" vorzulegen, das den Weg zu einem schnellen Abschluss eröffnen würde. Mitunterzeichner sind der Spanier Pedro Sanchez, sein portugiesischer Kollege sowie vier weitere Regierungschefs aus nördlichen Mitgliedsländern. "Wir haben hier eine historische und strategische Gelegenheit, eines der wichtigsten Abkommen der gemeinsamen Handelsgeschichte abzuschließen", heißt es in dem Brief.

Auf der anderen Seite steht eine Eingabe von Präsident Macron und den Regierungschefs aus Belgien, Irland und Polen, dass ein Abkommen mit Mercosur "die (EU-) Landwirtschaft und ihre Produktion am Ende destabilisieren" könnte. Sie sprechen sich auch dafür aus, die Quoten für Geflügel, Schweinefleisch, Zucker und Ethanol nicht zu erhöhen. Ob der Text diesen Einwänden Rechnung trägt, wird sich in den nächsten Tagen zeigen, wenn die endgültige Fassung veröffentlicht wird.

Klar ist aber, dass Deutschland hier erneut in eine andere Richtung marschiert ist als Frankreich und die Bundesregierung keine Abstimmung mit den Partnern in Paris gesucht hat. Vor allem dass Merkel den Klimaschutz nicht erwähnte, dürfte Macron bitter aufgestoßen sein. 

Ein langer Ratifizierungsprozess

Der Mercosur-Deal gilt als so genanntes gemischtes Abkommen, das nicht in alleiniger Zuständigkeit der EU abgeschlossen werden kann, sondern in allen 28 Mitgliedsländern von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden muss. Und das Ceta-Abkommen mit Kanada hat gezeigt, wie steinig dieser Weg sein kann. Bei Mercosur beginnen die Kritiker jetzt, sich warmzulaufen.

Frankreich CETA Protest in Straßburg (Archivfoto: DW/B. Wesel)
Hatte für Proteste gesorgt: Das Handelsabkommen Ceta mit KanadaBild: DW/B. Wesel

"Das Mercosur-Abkommen ist ein fauler Deal. Die Lippenbekenntnisse zum Pariser Klimaabkommen polieren nur das Image des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro auf. Freihandelsverträge müssen einklagbare Standards garantieren für soziale Rechte, Umwelt- und Klimaschutz und gegen Abholzung der Wälder, Sozialdumping und Bodenspekulation", fordern die Grünen im Europaparlament. Auch die Sozialdemokraten warnen, dass sie dem Abkommen nur zustimmen werden, wenn das Pariser Klimaabkommen und die Regeln der Internationalen Arbeitsorganisation ILO voll umgesetzt würden. Im Lichte der jüngsten Äußerungen des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro sei klar, dass Europa nur unterschreibt, wenn die Nachhaltigkeit garantiert sei, erklärt Handelssprecher Bernd Lange.

Und Greenpeace warnt drastisch, dass der Verkauf von mehr Autos gegen den Import von Rindern nicht akzeptabel sei, wenn das zur Zerstörung des Amazonas führe sowie zu Angriffen gegen die indigenen Völker und die Zivilgesellschaft. Der Deal bringe auch mehr Emissionen und untergrabe die Lebensgrundlage von Landwirten auf beiden Seiten des Atlantiks.

In dieser Situation scheint klar, dass das Abkommen bei aller Begeisterung der Handelspolitiker einen langen Weg vor sich hat. Erst Ende nächsten Jahres dürfte die endgütige Fassung überhaupt dem Europaparlament zur Abstimmung vorgelegt werden. Und angesichts der Einwände und der heftigen Kritik vor allem am Weg der neuen Regierung in Brasilien könnte der Kampf in einigen Mitgliedsländern gegen das Mercosur-Abkommen den Streit um Ceta noch wie ein mildes Geplänkel erscheinen lassen.