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EU und Russland setzen auf Pragmatismus

Roman Goncharenko4. Juni 2013

Mehr Gemeinsamkeit, weniger Streit. Dieser Ansatz prägte den EU-Russland-Gipfel in Jekaterinburg. Reizthemen wie Menschenrechte wären fast unerwähnt geblieben, wäre da nicht eine spanische Journalistin gewesen.

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EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, Russlands Präsident Wladimir Putin und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso (Foto: REUTERS/Mikhail Klimentyev/RIA Novosti/Kremlin)
EU Russland Gipfel 04.06.2013Bild: Reuters

Es muss nicht immer die Hauptstadt Moskau oder Sankt Petersburg mit seinen Palästen sein, dachte sich wohl Wladimir Putin. Rund ein Jahr nach seinem erneuten Amtsantritt empfing Russlands Präsident am Montag und Dienstag (03/04.06.2013) die EU-Spitze zu einem Gipfel in Jekaterinburg. Die Industriemetropole am Ural liegt in einer Grenzregion. Das Gebirge trennt Europa und Asien geografisch. Umso auffallender bemühten sich die Gipfelteilnehmer, die politischen und wirtschaftlichen Trennlinien klein erscheinen zu lassen.

Ob bei der Wortwahl oder sogar der Kleiderordnung (schwarze Anzüge mit blauen Hemden), der Kremlchef und seine Brüsseler Gäste demonstrierten Harmonie. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso lobte die "strategische Partnerschaft" und die "exzellenten Handelsbeziehungen", die "noch tiefer und umfassender" werden könnten. Im Jahr 2012 sei der Warenumsatz zwischen der EU und Russland um 4,1 Prozent auf über 410 Milliarden US-Dollar gewachsen, sagte der russische Präsident. Er hoffe, dass bald sogar die Marke von 500 Milliarden geknackt werden könne, so Putin.

Teilnehmer des EU-Russland-Gipfels im Tagungssaal (Foto: reuters)
Streit gab es beim Gipfel in Jekaterinburg kaumBild: Reuters

Kein Streit über Syrien

Streitthemen? Es gebe sie zwar, doch das sei "nichts Ungewöhnliches", sagte Putin. Zu der von Russland seit langem geforderten Abschaffung der Visumspflicht schwieg der Präsident diesmal, obwohl er bei früheren Gipfeln das Thema immer wieder angesprochen hatte. EU-Kommissionspräsident Barroso sagte lediglich, ein Abkommen über Visumserleichterungen könne bald kommen. Einige "technische Aspekte" seien aber noch offen.

Beim Thema Syrien, das in Russland und in der EU höchst unterschiedlich bewertet wird, war man bemüht, Gemeinsamkeiten zu betonen. Vor dem Hintergrund der geplanten internationalen Syrien-Konferenz in Genf sprachen sich beide Seiten für eine politische Lösung des Konflikts aus. Putin zeigte sich zwar enttäuscht von der Entscheidung der EU, das Waffenembargo gegen Syrien nicht zu verlängern. Er hoffe aber, dass westliche Länder zunächst keine Waffen an Rebellen liefern würden.

Über Russlands Forderung nach einer Übermittlung von Flugpassagierdaten aus der EU wurde kaum gesprochen. Moskau will von Brüssel aus Sicherheitsgründen bereits ab dem 1. Juli 2013 auch persönliche Daten von Reisenden bekommen, ähnlich wie es in einem Abkommen zwischen der EU und den USA der Fall ist. Doch Brüssel sieht das kritisch und hofft auf einen Aufschub in der Frage, um offene Fragen zu klären.

Neue Wege der Zusammenarbeit?

Nicht einmal über Energiefragen wurde gestritten. Russland fühle sich von der EU wegen des so genannten Dritten Energiepakets ungerecht behandelt, hieß es in einer schriftlichen Erklärung der russischen Seite für die Journalisten. Es geht unter anderem darum, dass Russland seine Pipelines für Konkurrenten öffnen soll. Doch beim Gipfel gab es nur Lob für die neulich vereinbarte "Road Map", die die Beziehungen im Energiebereich zwischen Moskau und Brüssel bis 2050 skizziert.

Pipeline-Rohre mit dem Logo von Gazprom (Foto: RIA Novosti)
Die EU will, dass Russland seine Pipelines auch für Konkurrenten öffnetBild: picture-alliance/RIA Novosti

In Jekaterinburg wurde deutlich, dass Russland und die EU einen pragmatischen Weg gehen wollen, statt zu streiten. Um die Beziehungen auszubauen, wollen beide Seiten ein neues umfassendes Abkommen unterzeichnen. Es soll das alte Partnerschaftsabkommen aus dem Jahr 1994 ersetzen. Doch die Verhandlungen darüber stocken seit Jahren. In Jekaterinburg sei jetzt von beiden Seiten betont worden, "so schnell wie möglich" ein solches Abkommen vorzubereiten, sagte Präsident Putin.

Frage zu NGOs bringt Putin in Rage

Über Menschenrechte wurde überraschend wenig gesprochen. Ob Durchsuchungen bei russischen Nichtregierungsorganisationen oder Prozesse gegen Oppositionsführer, Putin und seine Gäste schwiegen dazu. EU-Ratspräsident Herman van Rompey sagte lediglich: "Die Arbeit an Werten, die Demokratie und Respekt vor Menschenrechten stärken, ist ein wichtiges, wenn auch schwieriges Element unserer Beziehungen". Mehr Kritik kam nicht.

Nur eine spanische Journalistin brachte Bewegung in die eher ruhige Pressekonferenz: Sie stellte eine nicht abgesprochene Frage. Wieso empfehle Putin der Türkei einen Dialog mit der Protestbewegung, während in Russland Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verfolgt würden? "Da verwechseln Sie Äpfel mit Birnen", fauchte Putin ziemlich ungehalten die Journalistin an. "Haben Sie das Gesetz überhaupt gelesen? Dort steht nichts über Schließungen, geschweige denn Sanktionen", sagte Putin. Er meinte damit ein umstrittenes Gesetz in Russland, nach dem NGOs verpflichtet, sich als "ausländische Agenten" registrieren zu lassen, wenn sie Gelder aus dem Ausland erhalten. Wer sich weigert, riskiert eine Geldstrafe.

Die Umgebung, in der der Gipfel stattfand, machte es wohl einfach, Menschenrechtsfragen auszublenden. Es gab keine öffentlichen Proteste. Jekaterinburg ist eine Region, in der die große Mehrheit der Bevölkerung hinter Putin steht. Hier ist unter anderem die Waffenindustrie zu Hause, die dem Präsidenten für Staatsaufträge dankbar ist.