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Galileo-Preis steigt

20. Januar 2011

Das europäische Satellitensystem sollte ursprünglich 3,4 Milliarden Euro kosten. Jetzt wird es 1,9 Milliarden Euro teurer, so die EU-Kommission. Verteidigungsexperte Ottfried Nassauer über Sinn und Unsinn von Galileo.

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Ottfried Nassauer, Militärexperte und Direktor beim Berlin Information Center for Transatlantic Security (Foto: Ottfried Nassauer)
Ottfried NassauerBild: ottfried nassauer

DW-WORLD.DE: Der Chef des Bremer Rüstungsherstellers OHB, Berry Smutny, musste seinen Hut nehmen, weil er sich in einem vertraulichen Gespräch mit U.S. Diplomaten negativ über das Satelliten-Navigationssystem Galileo geäußert haben soll. Vor zwei Jahren hätte Smutny, dessen Firma entscheidend am Bau des Systems beteiligt ist, Galileo als "dumme Idee" bezeichnet und als eine "Verschwendung von Steuergeldern", berichtet eine U.S. Botschaftsdepesche, die Wikileaks veröffentlicht hat. Herr Nassauer, Sie beobachten die Entwicklung von Galileo schon seit Jahren. Ist es denn auch für Sie eine Verschwendung von Steuergeldern?

Eine Verschwendung von Steuergeldern kann man es nennen, weil es sich im Prinzip um eine doppelte Entwicklung handelt. Es ist eine Entwicklung, die dem amerikanischen GPS Konkurrenz machen soll. Man könnte natürlich sagen: "O.k., das gibt es schon, und deswegen reicht doch ein System auf dieser Erde." Die EU hat das anders gesehen. Sie hat argumentiert, dass Galileo als eigenständiges System für Europa und dessen wirtschaftliche Entwicklung von großer Bedeutung ist. Und sie hat natürlich im Hinterkopf gehabt, dass es auch in Europa, genau wie für GPS, militärische Anwendungen für Galileo geben könnte, die zusätzlich dazu führen, dass die Staaten daran Interesse haben. Das war natürlich genau das, was die Amerikaner nicht wollten. Deshalb haben sie auch immer argumentiert, Galileo sei doch eine Verdoppelung von vorhandenen Fähigkeiten. Es sei vielleicht ein bisschen besser, weil es ein bisschen moderner ist, aber im Prinzip nichts Neues. Herr Smutny scheint sich vor zwei Jahren der amerikanischen Argumentation ziemlich deutlich angeschlossen zu haben.

In den Depeschen, die auf Wikileaks veröffentlicht wurden, wird Smutny auch mit den Worten zitiert, Galileo diene vor allem militärischen Interessen der Franzosen. In der Öffentlichkeit hieß es allerdings bisher, Galileo sei vor allem dafür gedacht, Navigationssysteme z.B. für das Handy, Auto oder auch für die Landwirtschaft noch genauer zu machen. Was stimmt denn nun?

Das stimmt im Prinzip beides. Die EU hatte früher nie die Möglichkeit, im Weltraum militärisch nutzbare Projekte anzuleiern, dazu fehlte ihr die rechtliche Grundlage. Und deswegen hat sie, obwohl sie wusste, dass es eine militärische Nutzbarkeit neben der zivilen gibt, halt gesagt, das Projekt sei hauptsächlich für zivile Anwendungen oder sogar allein für zivile Anwendungen. Jetzt, wo sie die Autorität hat auch im militärischen Bereich aktiver zu werden, hat die EU die militärischen Nutzungen auch deutlicher in den Vordergrund gestellt. Jetzt zeigt sich, dass man dieses System in der Tat natürlich auch militärisch anwenden kann. Zum Beispiel lässt es sich für satellitengestützte Lenkungssysteme bei Lenkwaffen, also Raketen, nutzen. Diese sind dann präziser zu lenken und leiten als bisher. Die Europäer haben nämlich zu dem militärischen etwas genaueren GPS-System keinen Zugang. Mit Galileo hätten sie die Möglichkeit, sich diese Präzision zu verschaffen.

Für welche Waffengattungen macht das denn einen praktischen Unterschied?

Es geht einerseits zum Beispiel um französische Atomwaffen, andererseits um konventionelle Lenkwaffen, z.B. bei der Bundeswehr, die mit einem solchen Galileo-Empfänger ausgerüstet werden könnten.

Hat man denn bisher die europäischen Wähler in Bezug auf die wahren Ziele des Projekts belogen?

Man hat zumindest die Möglichkeit der militärischen Nutzung bewusst untertrieben oder sogar unterschlagen, dass es natürlich bei Galileo auch um militärische Nutzbarkeit geht. Das zeigt sich ja nicht zuletzt in dem Vertrag, den die EU mit den Amerikanern über die Nutzung von Galileo und GPS abgeschlossen hat. Darin behalten sich beide Seiten das Recht vor, das System des Anderen zu stören oder sogar zu zerstören. Allerdings hätte die EU dazu nicht die Möglichkeit, die Amerikaner aber sehr wohl.

Welche Folgen können die Enthüllungen und auch die Preisexplosion für das Projekt haben?

Ich denke, das System wird realisiert werden. Dafür ist der Bau inzwischen zu weit fortgeschritten. Es wird tatsächlich auch ein System sein, das in der Leistungsfähigkeit das heutige GPS-System für eine Weile noch ein bisschen mehr verbessert. Die zivilen Anwendungen werden das System aller Wahrscheinlichkeit nach nicht komplett finanzieren. Aber die militärischen Anwendungen werden natürlich auch die Begehrlichkeiten und die Möglichkeiten, die die europäischen Armeen als Bedarfsträger haben, immer stärker ins Spiel bringen. Das System wird es also wohl geben, und es wird mit Sicherheit auch abgeschlossen werden. Solche Projekte sterben in der Regel nicht, auch dann nicht, wenn sie sehr viel teurer werden. Schauen Sie das europäische Transportflugzeug A400M an, das ist auch um ein paar Milliarden teurer geworden und kommt doch.

Das Interview führte Günther Birkenstock.
Redaktion: Fabian Schmidt

Ottfried Nassauer ist Leiter des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit (Berlin Information Center for Transatlantic Security/bits).