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PolitikEuropa

EU-Wahlen: Europas Grüne kämpfen gegen die Krise

20. Februar 2024

Den Ökoparteien bläst der Wind gerade heftig ins Gesicht. Die Umfragen vor den Europawahlen sagen Stimmenverluste voraus. Dennoch wollen die Grünen ihren Wahlkampf mutig anpacken.

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Terry Reintke und Bas Eickhout recken große Blumensträuße in die Luft, im Hintergrund sind Delegierte auf ansteigenden Rängen zu sehen
Die Deutsche Terry Reintke und der Niederländer Bas Eickhout ziehen als Spitzenkandidaten für Europas Grüne in die EuropawahlBild: Laurent Cipriani/AP/picture alliance

Wenn man die jüngsten Umfragen betrachtet, steht es nicht allzu gut um die europäischen Grünen. Sie könnten bei den Europawahlen im Juni rund ein Drittel ihrer Sitze im EU-Parlament verlieren. Derzeit bilden sie dort mit 72 Abgeordneten die viertgrößte Fraktion und sind mit Virginius Sinkevicius auch in der EU-Kommission vertreten.

Die Grünen stehen in der öffentlichen Wahrnehmung wie keine andere Partei für den Klimaschutz. Bei den letzten EU-Wahlen erhielten sie auch durch die "Fridays for Future"-Bewegung Rückenwind. Greta Thunberg hatte diese Proteste mit ihrem Schulstreik fürs Klima im Jahr 2018 ausgelöst und damit Millionen junge Menschen auf die Straße gebracht. Prompt erzielten die grünen Parteien in der EU bei der Wahl 2019 ihr vorerst bestes Ergebnis.

Nicht in allen EU-Staaten sind grüne Parteien erfolgreich

Der Einfluss grüner Parteien ist EU-weit ungleich verteilt. Traditionell seien die Grünen in Westeuropa stark, wie etwa in Frankreich, Deutschland oder Österreich, sagt Tobias Gerhard Schminke, Gründer des Wahldaten-Aggregators "Europe Elects". Dort erreichten sie in der Regel um die zehn, manchmal sogar bis zu 20 Prozent der Wähler. "Aber in vielen Teilen Südeuropas und vor allen Dingen in Osteuropa sind sie deutlich schwächer verankert," erläutert der Politikwissenschaftler im Gespräch mit der DW. "In der Slowakei, zum Beispiel, da existieren sie gar nicht."

Annalena Baerbock und Robert Habeck im Gespräch
In Deutschland sind die Grünen unter anderem mit Außenministerin Annalena Baerbock und Robert Habeck in der Regierung vertretenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Derzeit regieren grüne Parteien in einer Handvoll von EU-Staaten mit. In Deutschland etwa stellen die Grünen insgesamt fünf Minister, darunter Außenministerin Annalena Baerbock sowie Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Auch in Irland, Österreich, Belgien, Lettland und Spanien sind grüne Parteien als Juniorpartner an der Regierung beteiligt. In Polen sind sie durch eine Staatssekretärin vertreten, Österreich hat mit Alexander von der Bellen einen grünen Bundespräsidenten.

Klimaschutz in der EU-Politik

In der nun ablaufenden Legislaturperiode ist der Klimaschutz stark in den Fokus gerückt. Die EU will mit ihrem sogenannten European Green Deal  bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Ein erstes Etappenziel lautet, Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Das dafür notwendige umfangreiche Gesetzespaket ist nach Angaben der EU-Kommission in weiten Teilen verabschiedet.

Den Grünen seien für die Abstimmungen und im Prozess der Gesetzesausarbeitung bedeutend gewesen, sagt Karin Thalberg, Forscherin für Europäische Energiepolitik am Jacques Delors Institut. Im Gespräch mit der DW betont sie, es gehe nun in die wichtige Phase der Umsetzung in den Mitgliedstaaten.

Ein Mann mit weißer Mütze geht an einer langen Reihe von Traktoren vorbei und zieht einen Spielzeugtraktor hinter sich her
In ganz Europa sind Bauern in den letzten Wochen auf die Straße gegangen - auch um gegen Umweltauflagen der EU zu protestierenBild: BERTRAND GUAY/AFP

Jedoch hat sich der politische Wind schon wieder gedreht und Klimaschutzgesetze werden weniger akzeptiert. In vielen EU-Ländern haben Landwirte protestiert. Ihr Ärger richtet sich auch gegen die europäische Gesetzgebung. 

Widerstand erwächst zudem aus den politischen Lagern. Manfred Weber, Fraktionschef der mitgliederstärksten Europäischen Volkspartei, hatte bereits im November angekündigt, das hart errungene Ende des Verbrennungsmotors "überdenken" zu wollen. Eine Forderung, die es nach Recherchen der europäischen Portale Politico und Euractiv auch in das noch nicht veröffentlichte Parteienmanifest geschafft hat. Auch über ein Gesetz zur  Wiederherstellung der Natur wurde heftig gestritten

Politikforscherin Thalberg erkennt im Vorfeld der Europawahlen einen "besorgniserregenden Trend" nicht nur aus dem extrem rechten Lager, sondern auch aus der bürgerlichen Mitte. So habe etwa der liberale französische Präsident Emmanuel Macron von einer "gesetzgeberischen Pause" gesprochen und die Europäische Volkspartei habe sich für so etwas wie ein "Moratorium von Umweltgesetzen" ausgesprochen.

Die Grünen sprechen sich Mut zu

Die Europäischen Grünen zeigten sich bei ihrem Parteitag am ersten Februarwochenende im französischen Lyon kämpferisch. Der Niederländer Bas Eickhout kündigte einen "harten Wahlkampf" an. Den wird er gemeinsam mit seiner deutschen Kollegin Terry Reintke leiten, entschieden die Delegierten. Die Europäische Grüne Partei besteht aus 49 grünen Parteien innerhalb und außerhalb der EU. Ihr Parteitag stand unter dem Motto "Courage" - also Mut.

Blick auf die Parteitagsbühne, auf der sich die beiden künftigen Spitzenkandidaten präsentieren
Der Parteitag der europäischen Grünen in Lyon stand unter dem Motto "Courage" Bild: OLIVIER CHASSIGNOLE/AFP


Und diesen Mut werde man für die grüne Transformation brauchen, betonte Terry Reintke nach ihrer Wahl. "Die EVP und die Liberalen haben nicht recht, wenn sie sagen, dass der Green Deal unserer Wirtschaft schadet." Reintke sitzt bereits seit 2014 im EU-Parlament. Sie zeigt sich davon überzeugt, dass der Green Deal eine Wirtschaft begründen kann, die die natürlichen Ressourcen des Planeten ebenso achtet wie die soziale Gerechtigkeit.

Der Green Deal müsse verteidigt werden, hörte man immer wieder auf dem Parteitag, zu dem sich über 1200 Grüne und Interessierte aus ganz Europa eingefunden hatten. Im Wahlprogramm wird die Klimaneutralität bereits für 2040 und nicht erst für 2050 gefordert. Außerdem wollen die Grünen den extrem rechten Parteien Europas die Stirn bieten, und sich auch für die sichere und legale Abtreibung in der gesamten EU einsetzen.

Können die Grünen das Blatt noch wenden?

Expertin Thalberg sieht für die Grünen derzeit einen schwierigen Balanceakt zwischen der aktuellen Stimmung und dem, was für den Klimaschutz notwendig ist. "Was ich an dem Wahlprogramm, im Vergleich zu anderen Wahlprogrammen, positiv finde, ist dass sie sehr konkrete Vorschläge haben." So hätten die Grünen konkrete Vorschläge, wenn es um die energetische Sanierung von Wohnhäusern, nachhaltige Mobilität oder die grüne Transformation von Industrie und Landwirtschaft ginge.

Wahlfoscher Schminke erkennt Indizien dafür, dass die Grünen zu den Wahlverlierern zählen könnten. Inhaltlich führt er das vor allem auf die Regierungsbeteiligungen von grünen Parteien zurück. Denn Europawahlen würden immer auch benutzt, um nationale Regierungen abzustrafen, betont der Politikwissenschaftler gegenüber der DW. Nichtsdestotrotz sei es noch eine lange Zeit bis zur bevorstehenden Abstimmung und auch 2019 hätten die Grünen im Februar niedrigere Werte gehabt als am Wahltag im Mai.

Daran erinnert sich Terry Reintke ebenso. In Lyon betonte sie nach ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin, dass man bei den letzten Wahlen mit dem bisher besten Ergebnis ins EU-Parlament einziehen konnte. Und ungeachtet der politischen Diskurse, die sich explizit gegen die Grünen richteten, werde man auch diesmal kämpfen.

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel