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EU-Reiseverbot für Terror-Verdächtige

Bernd Riegert5. Dezember 2014

Immer mehr radikalisierte Jugendliche brechen aus Europa auf, um für die Terrororganisation IS zu kämpfen. Die Innenminister der EU wollen Reisen verbieten und das Strafrecht verschärfen. Bernd Riegert aus Brüssel.

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IS Kämpfer mit vermummten Gesichtern und Waffen, Archivbild 2013 (Foto: Picture-alliance/ZUMAPRress)
Bild: picture alliance/ZUMA Press/M. Dairieh

In Frankfurt am Main ist der erste deutsche Teenager, Kreschnik B., wegen Mitgliedschaft in der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Der 19 Jahre alte Mann mit familiären Wurzeln im Kosovo war nach Syrien gereist, hatte sich dort dem IS angeschlossen und kehrte vor einem Jahr nach Deutschland zurück. Die EU-Innenminister schätzen, dass rund 3000 Europäer derzeit für die brutale Terror-Armee des IS kämpfen. In Brüssel vereinbarten sie, nicht nur die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, wie in dem Fall aus Frankfurt, sondern bereits die Reise zu Ausbildungslagern oder in den Einsatz im Irak oder Syrien unter Strafe zu stellen.

Zu dieser Verschärfung des Strafrechts hatten sich die EU-Mitglieder in der Resolution 2178 des Weltsicherheitsrates der Vereinten Nationen verpflichtet. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte, er wolle noch vor Weihnachten einen entsprechenden Gesetzentwurf vorstellen. "Jetzt sind wir als europäische Staaten in der Lage, dass aus Deutschland, Belgien, Frankreich oder Schweden Terror exportiert wird in andere Nationen. Das kann uns doch nicht schlafen lassen!", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière beim Treffen der europäischen Ressort-Kollegen in Brüssel. "Deswegen müssen wir versuchen, eine Radikalisierung zu vermeiden. Aber wenn sie einmal da ist, müssen wir Menschen an der Ausreise hindern. Wir wollen nicht, dass sie anderswo töten." Hinweise auf geplante Reisen erhielten die Ermittlungsbehörden vor allem durch Verwandte und Freunde.

Thomas de Maizière lächelt (Foto: Getty Images)
De Maizière in Brüssel: Reisende aufhaltenBild: Getty Images/Afp/Emmanuel Dunand

"Zustrom von IS-Kämpfern aus Europa reißt nicht ab"

Der Anti-Terrorbeauftragte der Europäischen Union, Gilles de Kerchove, mahnte die Innenminister zu größerer Eile. Außer Frankreich und Deutschland hätten nur wenige Staaten bislang konkrete Gesetzgebung auf den Weg gebracht, zum Beispiel zum Entzug von Pässen und Reisedokumenten. Er halte das Problem des Terrorexports durch sogenannte "foreign fighter" nach wie vor für dringlich, so de Kerchove. "Der Zulauf wird stetig größer. Eine aktuelle Studie der Universität Mailand hat gezeigt, dass der IS sehr präsent ist in Twitter-Konten, bei Facebook und in Google-Konten. Deshalb müssen wir ein bisschen schneller vorwärtskommen und uns weitergehende Ziele setzen." Die EU ist in Gesprächen mit den Betreibern der Social-Media-Plattformen, die vom IS als Propaganda- und Kommunikationswege genutzt werden. Hier geht es aber um freiwillige Vereinbarungen, keine gesetzlichen Vorgaben.

Aus Deutschland sind rund 550 überwiegend junge Söldner meist über die Türkei in das Kampfgebiet gereist, aus Belgien 300, aus Schweden 350. Europäer stellen etwa zehn Prozent der geschätzten 30.000 IS-Milizionäre. Bundesinnenminister de Maizière sagte in Brüssel, man könne bei manchen IS-Söldnern, die nach Deutschland zurückkehren, bei tätiger Reue versuchen, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren. An einer konsequenten strafrechtlichen Verfolgung führe aber kein Weg vorbei. "Das Strafrecht oder die Polizei können nicht vorab sagen: Du könntest so einer sein, deshalb werden wir dich strafrechtlich nicht heranziehen. Das kann nicht sein. Das Strafrecht gilt für alle. Deshalb gilt es auch für solche, die reisen und zurückkehren", so de Maizière. Die Videos von Hinrichtungen westlicher Geiseln und die Hass-Propaganda des "Islamischen Staates" beobachtet der Innenminister einigermaßen ratlos: "Wie kann das eigentlich sein, dass brutale Gewalt eine solche Anziehungskraft hat? Das steht man ja fassungslos davor, auch wenn wir rational das Eine oder Andere erklären können."

Gilles De Kerchove (Foto: AFP/Getty Images)
De Kerchove: Es werden mehrBild: AFP/Getty Images/Emmanuel Dunand

Ausreiseverbot erfordert verbesserte Grenzkontrollen

Das schönste Verbot der Ausreise zum Terroreinsatz nutzt jedoch nichts, wenn es nicht kontrolliert werden kann. Bislang kann ein Zollbeamter in Frankreich oder Bulgarien bei der Überprüfung eines deutschen Personalausweises oder Passes nicht erkennen, ob der Reisende in seinem Heimatland als möglicher IS-Söldner verdächtigt wird. Eine Abfrage im gemeinsamen Schengen-Informations-System, das die EU-Staaten betreiben, die Reisen ohne Personenkontrollen innerhalb des Schengen-Raums erlauben, führt heute nicht weiter. Die Daten über "Terror-Reisende" oder "foreign fighters" werden nicht in das System eingepflegt. "Deshalb ist es in der Tat wichtig, dass wir jeden Polizisten an jeder Außengrenze des Schengen-Raumes in die Lage versetzen, zu wissen, wen er vor sich hat, wenn er ein Personaldokument prüft", sagt Bundesinnenminister de Maizière. Bereits im Oktober haben die Innenminister der EU beschlossen, das zu ändern. Doch rechtliche und technische Umsetzung könnten noch einige Wochen oder Monate dauern, meinen EU-Diplomaten.

Ein Grenzbeamter kontrolliert LKW (Foto: Picture-alliance/dpa)
Grenzbeamter an der bulgarischen EU-GrenzeBild: picture-alliance/dpa

Sammellager für Migranten in Nordafrika?

Beim zweiten großen Thema der Innenministertagung in Brüssel, dem Umgang mit illegalen Migranten, gab es zwar eine Diskussion, aber keine konkreten Beschlüsse. Die Idee, Flüchtlinge in Europa künftig nach einem festen Schlüssel auf die 28 EU-Staaten zu verteilen, findet keine breite Zustimmung. Vor allem bei den Ländern nicht, die bislang gemessen an ihrer Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft sehr wenige Flüchtlinge aufnehmen, wie etwa Tschechien, Polen oder Portugal.

Über die Idee, bereits in den Transitländern in Nordafrika Sammellager für Flüchtlinge einzurichten, um sie von der gefährlichen Fahrt mit Schleuserbanden über das Mittelmeer abzuhalten, wurde nachgedacht. Entschieden ist nichts. "Ist es nicht besser, die Flüchtlinge in den Transitländern aufzunehmen, sie den Händen der Schlepper zu entziehen, sie dort anständig unterzubringen und nicht in der Wüste verdursten zu lassen?", fragt Bundesinnenminister de Maizière. "Und dann sollte man vor Ort entscheiden, wer legal nach Europa kommen kann. Anderen muss man sagen: Wenn ihr illegal nach Europa kommt, werdet ihr sowieso zurückgeschickt. Wollt ihr nicht lieber mit Hilfen von uns in eure Staaten zurückgehen?"

Die Idee dieser Aufnahme-Lager lehnt unter anderem die Lobbyorganisation für Flüchtlinge Pro Asyl ab. "Dieser Plan ist unrealistisch", bemängelte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt. "Da wird nur ein weiterer Festungswall um Europa gezogen." Innenminister Thomas de Maizière ist klar, dass es gegen dieses Konzept viele Argumente gibt, aber man müsse ja irgendwann auch neue Strategien oder Ideen entwickeln, statt immer nur Gegenargumente anzuhäufen, sagt er. Angesichts der vielen Toten auf dem Mittelmeer schienen Aufnahmelager "allemal humaner und sinnvoller als das, was wir jeden Tag erleben müssen".

Flüchtlinge in einem Rettungsboot auf dem Meer (Foto: Picture-Alliance/dpa)
Lager statt gefährlicher Flucht im BootBild: picture-alliance/dpa/Giuseppe Lami

Der italienische Innenminister Angelino Alfano, der zurzeit auch Ratsvorsitzender der EU ist, gab in Brüssel bekannt, dass die italienische Marine an diesem Freitag bei zwei Rettungsaktionen 354 Migranten aus Seenot gerettet hat. 17 Menschen konnten nur noch tot geborgen werden. Italien will die breit angelegte Rettungsaktion "Mare Nostrum" zum Frühjahr auslaufen lassen. Trotzdem werde die italienische Marine weiter in Notlagen helfen, so ein italienischer Regierungssprecher. Italien wird mittlerweile durch Patrouillen der EU-Agentur Frontex bei der Überwachung seiner südlichen Küsten unterstützt.