1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Angefeindet: Was es hieß, in der DDR Punk sein

Silke Wünsch
7. November 2019

Sie waren Außenseiter, Jugendliche, die gegen das Eingesperrtsein rebellierten. Sie wurden von staatstreuen Bürgern verachtet, von DDR-Behörden drangsaliert, ins Gefängnis gesperrt. Doch Punk sein hieß auch Freiheit.

https://p.dw.com/p/3SaGZ
Punkband auf der Bühne mit Graffittis im Hintergrund
Bild: picture-alliance/dpa/Neue Visionen

Es begann Anfang der 1980er Jahre. In Ostberlin und Leipzig - später in der ganzen DDR - entstanden kleine Punk-Gruppen, die schnell wuchsen. Sie trafen sich in Kellern, Hinterhöfen, Kirchen. In normalen Kneipen oder Clubs waren sie nicht willkommen. Auf der Straße wurden sie angefeindet, beschimpft - manche jugendlichen Punks mussten sich Sätze anhören wie "Euch sollte man vergasen". Vom Staat wurden sie drangsaliert. Stasi-Chef Erich Mielke nannte sie "dekadent" und "Dreck aus dem Westen". Und Eltern wollten ihre eigenen Kinder nicht mehr kennen.

Wer mit Irokesenschnitt und Hundehalsband durch die Straßen lief, wurde schon mal angespuckt oder grundlos von der Polizei angehalten, Zugfahrten endeten in Verhaftungen. Es war nicht sehr gemütlich und schon gar nicht dekadent, in der DDR ein Punk zu sein.

"Überall wohin's dich führt, wird dein Ausweis kontrolliert. Und sagst du einen falschen Ton, was dann passiert - du weißt es schon" (Planlos)

Die "echten" Punks haben schnell festgestellt, wer wirklich Punk war und wer nicht. Die Gruppe entschied, wer dazugehören durfte. Wer es nicht sein sollte, wurde "gebeten", etwa seine Sicherheitsnadeln abzulegen. Andere waren weniger höflich und "ruppten" die Lederjacke des Anwärters, was heißt: Man nahm ihm die Jacke ab. 

Fünf junge Punks stehen in einer Gruppe zusammen
Wer so aussah, war direkt verdächtigBild: imago images/C. Thiel

Punkkleidung war nicht einfach zu besorgen, und wenn, dann zu hohen Preisen. Dann wurde darauf geachtet, dass die Lederjacke an genau der richtigen Stelle kaputt oder beschmiert war. Wer vor die Tür ging, wollte schockieren. Und zwar richtig. Im Outfit steckte viel Mühe und Zeit vor dem Spiegel. Haare wurden mit Tusche gefärbt und mit Rasierschaum oder Seife fixiert, was bei Regen zu Problemen führen konnte, wenn einem alles in die Augen lief. 

"Was ihr von mir wollt, kann ich nicht sein, in den grauen Beton pass ich nicht rein" (Wutanfall)

Das Anderssein war das Lebenselixier, ein Stück Freiheit in einem unfreien Staat. Und die Punkmusik war der Soundtrack dazu. Der einfachste Weg sich Punkplatten aus dem Westen zu beschaffen, war die Oma, denn Rentner durften in den Westen reisen. So sind Omas mit Einkaufszetteln in westliche Plattenläden geschickt worden. "Wenn die Oma da bei der Einreise 'ne B52's-Platte in der Hand hatte, dann konnten die Grenzer auch nicht viel mit anfangen. Die dachten eher, das wird schon in Ordnung sein, wenn die Oma sowas mitbringt", erzählt der frühere Punk Bernd Stracke in der Filmdokumentation "Too much future".

Andere besorgten sich die Platten in Bulgarien und schmuggelten sie in den Schiebetüren der Züge in die DDR.

Plattenbox der Leipziger Punkband "Wutanfall"
Die Band "Wutanfall" durfte keine Platten aufnehmen. Die Kassetten von damals gibt's jetzt auf VinylBild: DW/Silke Wünsch

Konzerte fanden in Wohnungen statt, in Künstlerateliers. Da waren nicht nur Punks anwesend, auch Künstler, Theaterleute, Lyriker. Oft kam die Polizei und beendete die Veranstaltung. 

Später verlagerte sich das Ganze in die Kirchen. Es gab evangelische Pfarrer, die den Außenseiter-Jugendlichen ihre Räume zur Verfügung stellten, so dass die sich entfalten konnten. Die Kirchen waren eine sichere Zone - für staatliche Organe quasi unantastbar. "Man wurde zwar von außen beobachtet, aber die Bullen sind nie reingekommen und haben das Ding zugemacht", erzählt der Ost-Berliner Punk Colonel in dem Dokumentarfilm.

Bernd Stracke
Leipziger Punk der ersten Stunde: "Stracke" 1981Bild: privat

Die Bands hießen Planlos, Die Fanatischen Friseure, L'Attentat, Bandsalat, Schleim-Keim, Namenlos oder Wutanfall. Bernd Stracke, genannt "Stracke", war Sänger bei der Leipziger Band Wutanfall: "Schon der Name war ein Auslöser für Ärger", erzählt er. Die Band stand schnell im Fokus der Stasi - Strackes Bandkollege und Freund "Chaos" hat die Schikanen mit aller Härte zu spüren bekommen. Einschüchterung, wiederholte Vorladungen, Führerscheinentzug, Verlust der Wohnung bis hin zur Misshandlung. Manche jugendliche Punks zerbrachen unter dem Druck, nahmen sich sogar das Leben.

"Mit dem Knüppel in der Hand kämpfe ich fürs Vaterland, drauf auf den Anarchist, ich bin ein Polizist" (Schleim-Keim)

Stasi-Chef Mielke blieb bei seinem harten Kurs. Die Staatssicherheit ging nicht nur auf einzelne Protagonisten los; sie setzte eine perfide Taktik ein, um die Szene von innen zu "zersetzen". Um die jugendlichen Punks zu verunsichern, streute sie Gerüchte, dass sie eigene Leute, "Inoffizielle Mitarbeiter", in der Szene habe. Was viele nicht ahnten: Die Gerüchte stimmten. Es waren schon längst IMs in ihren Reihen. Sie gaben sich als Punks aus, waren Musiker in Bands.

Gleich zwei von ihnen waren Bandmitglieder von Wutanfall. Stracke erfuhr erst viel später in seiner Stasi-Akte davon. Auch er selbst war angeworben worden: "Dann kannst du in der Szene bleiben und machen was du willst", haben sie Stracke erzählt, im gleichen Atemzug jedoch: "Wir können aber auch anders. Wir können dir auch das Leben zur Hölle machen." Stracke wählte den unbequemen Weg. Und kam dafür zweimal ins Gefängnis. 

Eine große Gruppe Jugendlicher im Freien, darunter Punks und Skinheads
Wer war "echt"? Wer war ein Spitzel?Bild: picture-alliance/dpa

"Das erste Mal war es die Eröffnung der Dokumentar- und Kurzfilmwoche in Leipzig. Unser Pfarrer hatte uns noch gesagt, lasst euch bloß nicht mit Kerzen, lila Tüchern und Blumen erwischen. Natürlich kamen wir mit Kerzen, lila Tüchern und Blumen. Wir wurden festgenommen wegen Rowdytum. Mit Rowdytum hatte das nichts zu tun, wir standen da einfach nur rum. Aber es war groß in der Westpresse, es waren ja alle da und haben gesehen, wie wir vor dem Kino zusammengeknüppelt wurden."

"Einmal kommen wir wieder raus, dann sind wir Terrorist!" (Namenlos)

Als Stracke aus dem Gefängnis kam, waren viele seiner Freunde schon in den Westen abgeschoben worden. Und er bekam die Stasi-Zersetzungsmaßnahmen am eigenen Leib zu spüren. "Ich hab überall auf Granit gebissen, nichts ging mehr für mich." Aber er wollte da bleiben. Weil er in der DDR etwas verändern wollte. Dann hat er mit seiner nächsten Band L'Attentat beschlossen: "Jetzt nehmen wir kein Blatt mehr vor den Mund. Nix mehr zwischen den Zeilen. Jetzt straight ahead."

Bernd Stracke
Bernd Stracke engagiert sich heute für Jugend-Bildung und demokratische KulturBild: BStU

Die Folge: wieder Vorladungen, Verhöre, im DDR-Jargon "Klärung eines Sachverhalts" genannt. Schließlich fand man in Strackes Wohnung die Songtexte seiner Band und von ihm verfasste Berichte über den DDR-Untergrund, die in Westzeitungen veröffentlicht worden waren. Erneute Verhaftung wegen "Herabwürdigung der sozialistischen Ordnung" und "Verbreitung von Nachrichten im Ausland, die geeignet sind, den Interessen der DDR zu schaden". Stracke bekam ein Jahr und sieben Monate. Nachdem er wieder rauskam, verließ er die DDR - der Westen hatte ihn freigekauft.

"Ich wohne da wo die Schizophrenie regiert, da wo dich jeder Spießer anstiert, dort wo man Mauern baut, sich keiner was zu sagen traut." (L'Attentat)

Die Punks ließ man gerne gehen. Manche mussten gar nicht erst den Ausreiseantrag stellen - sie wurden rausgeschmissen und durften nicht mehr zurückkehren. Der Dresdner Journalist Torsten Preuß hat seine Erlebnisse in seinem Buch "Eine Liebe, zwei Welten" geschildert. Wie er versuchte, sich als unangepasster Jugendlicher im "langweiligsten Land der Welt" durchzuschlagen, mit allen Schikanen. Als Punk und "Träger pazifistischen Gedankenguts" hatte die Stasi auch ihn auf dem Kieker.

Torsten Preuß
Torsten Preuß musste zwei Jahre und drei Monate warten, bis seine Familie ihm in den Westen folgen durfteBild: Torsten Preuß

Für ihn ist es heute noch unbegreiflich, wie dumm die meisten Menschen in der DDR waren: "Du bist geistig völlig verblödet großgeworden. Wenn du nicht wie wir irgendwie versucht hast, dir irgendwas zu besorgen. Du musstest ja um jedes Buch kämpfen, in dem es andere Gedanken gab." Er lehnte sich auf, war ungehorsam und stellte schließlich für sich und seine kleine Familie den Ausreiseantrag. Der Preis: eine jahrelange Trennung von seiner Frau und dem kleinen Sohn - denn ausreisen durfte nur er.

Preuß wurde am Tag nach dem Mauerfall freier Reporter bei der Tageszeitung "taz", wanderte mit seiner Familie nach Australien aus, lebt heute wieder in Dresden und betreibt einen Youtube-Kanal, auf dem er aufklären will und dafür kämpft, dass die DDR nicht idealisiert wird.

"Ostalgie" verspüren die früheren Rebellen genau so wenig, wie sie damals in den 1980ern die Haltung der West-Punks verstanden haben: "No Future sagen und dabei alle Möglichkeiten haben … bei uns wurde die Zukunft vorgegeben," sagt Stracke. In der DDR wurden sie verfolgt, weil sie frei leben wollten. "Wir standen mit unserem Gesicht und unserem Namen für unsere Sache ein und haben dafür gezahlt."