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Eugen Ruge im Gespräch

13. Oktober 2011

Im Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" hat Eugen Ruge die Geschichte seiner Familie verarbeitet. Der Träger des Deutschen Buchpreises erzählt über seine Motive, zu schreiben.

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Der Schriftsteller Eugen Ruge (Foto: Tobias Bohm)
Eugen RugeBild: picture alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Eugen Ruge, wie haben Sie geschlafen, heute?

Eugen Ruge: Ja, Sie bringen mich jetzt drauf. Ich habe etwas geträumt. Irgendwie war ich in diesem Traum ein hoher, geistlicher Würdenträger. Und wurde da überall herumgereicht. Es kam mir ganz unangemessen vor. Das weiß ich noch, ich habe mich in dieser Rolle gar nicht wohl gefühlt.

Jetzt sind Sie ein hoher, geistiger Würdenträger geworden. Haben Sie eventuell das Gefühl, den Preis nicht verdient zu haben?

Nein, das Gefühl habe ich nicht, dass ich den Preis nicht verdient habe. Das wäre falsche Bescheidenheit. Aber wenn man auf eine Bühne gebeten wird und in dieser Weise geehrt wird, ist man natürlich ein bisschen steif und fühlt sich ein bisschen unwohl. Ich glaube, dieses Gefühl kam in dem Traum wieder.

Ihr Roman umspannt vier Generationen und Aufstieg und Fall der DDR. Das ist ein Teil auch Ihrer Familiengeschichte. Warum war Ihnen das wichtig, das aufzuschreiben? Was hat Sie getrieben?

Ja, vielleicht habe ich ein bisschen das Gefühl, dass das Leben in der DDR - ich meine jetzt nicht die DDR als politisches System - aber das Leben der Menschen in der DDR nachträglich ein bisschen entwertet wird. Vielleicht hatte ich ein bisschen das Bedürfnis, dem etwas entgegenzusetzen.

Warum so spät?

Das ist mir nicht gleich gelungen. Der Vorsatz ist erst mal gereift. Erst mal hat mich die DDR gar nicht interessiert nach der Wende. Und dann, nachdem sie verschwunden war, fing sie dann doch an, mich wieder zu interessieren. Bin mir vielleicht einfach darüber bewusst geworden, dass es eben da auch einfach Figuren und Schicksale gab, die interessant waren, manche auch bizarr. Über die man eigentlich erzählen müsste. Die auch andere Menschen interessieren könnten.

Sie sind 1954 in Soswa, östlich des Urals, geboren. Warum genau waren Ihre Eltern da?

Also, meine Mutter war Gefreite in der Roten Armee gewesen und kehrte nach dem Krieg in ihren Heimatort Soswa zurück. Mein Vater war dort im Arbeitslager interniert. Zu Beginn des Krieges wurden deutschstämmige Minderheiten, wie es hieß, "mobilisiert". Praktisch hieß das, dass sie ins GULAG gesperrt wurden. Und mein Vater war also dort. Nach dem Krieg wurde die Internierung in Verbannung umgewandelt. Und er lebte dann in diesem Ort, und dort haben sich meine Eltern kennengelernt.

Ist in Ihrer Familie später darüber gesprochen worden?

Ja, absolut offen. Mein Vater hat mir da nichts verheimlicht. Seit ich denken kann, weiß ich das: dass dieser Sozialismus auf Knochen gebaut ist. Das war mir sehr früh klar. Und ich hatte ein entsprechend distanziertes Verhältnis zu dem Land, in dem ich gelebt habe.

Haben Sie deshalb Mathematik studiert, um was Politikfernes zu machen?

Mathematik habe ich studiert, weil ich mich in meine Mathelehrerin verliebt habe (lacht). Mein Vater hat mich darin zumindest sehr stark bestärkt, weil er der Meinung war, dass Mathematik ein ideologiefreier Raum ist, in den sich dann die Partei nicht einmischt und die Organe nicht einmischen, was auch stimmt. Ich war sozusagen nicht unbegabt. Ich habe dann auch noch fünf Jahre in der Mathematik gearbeitet. Aber eigentlich sehe ich mich doch eher als einen musischen Menschen. Ich hätte viel lieber Musik studiert, zum Beispiel. Und ich hatte auch schon immer den Vorsatz, zu schreiben.

Sie sind dann auch noch zu DDR-Zeiten Dokumentarfilmer geworden. Ging das? War das mit Ihrer kritischen Haltung zu machen?

Dokumentarfilmer ist ein bisschen übertrieben. Mit Dreißig habe als Mathematiker im Geophysikalischen Institut gekündigt und habe mir erst einmal einen Rechercheauftrag beim DEFA-Dokumentarstudio besorgt. Und habe dann ein kleines Drehbuch geschrieben, anstatt die Recherche abzuliefern, und war dann eben eine Zeitlang dort als freier Mitarbeiter und Autor von Fernsehdokumentationen beschäftigt. Also, Dokumentarfilmautor ist ein zu großes Wort.

Und das ging, ohne anzuecken?

Nein, natürlich eckte man da auch an. Dann gab es immer Kommissionen, die das abnahmen. Das war zum Teil auch wirklich sehr kleinlich. Als dann plötzlich das Preußentum in der DDR eine Renaissance erfuhr - Friedrich der Große und so weiter -, da konnte man dann nicht mal mehr schreiben: "der dickliche Kurfürst vor dem ehemaligen Stadtschloss". Also, das Wort "dicklich" durfte jetzt im Zusammenhang mit dem großen Kurfürsten nicht vorkommen und solche Albernheiten.

1988 haben Sie die DDR verlassen, mit einem gefälschten Visum. Also sozusagen noch illegal. Was war das für ein Gefühl für Sie, als 1989 die Mauer fiel?

Das Visum war nicht gefälscht. Ein Visum kann man nicht fälschen. Ich habe folgendes gemacht: Ich habe eine Besuchsreise zu einem Onkel beantragt, den es gar nicht gab. Es war jemand, der hieß auch Ruge, der war aber nicht mein Onkel. Hätte man leicht überprüfen können. Es ist irgendwie doch ziemlich lächerlich, wie schlecht die Stasi funktioniert hat. Jedenfalls bin ich dann zu diesem angeblichen Onkel gefahren und nicht wiedergekommen. Das war also meine Flucht. Ja, die Wende, wie habe ich die erlebt? Also, ich habe die DDR verlassen, weil sie mich dann auch irgendwann langweilte. Weil ich auch die Nase voll hatte. Es war mir alles zu eng und zu kleinlich.

Und als die Mauer fiel - ärgert man sich dann, wenn man vorher noch illegal in den Westen gegangen ist?

Genau so ist es. Genau so war es. Es war ein völlig blödsinniger, irrationaler Ärger, für den ich mich eigentlich schäme. Auch heute, nachträglich. Aber ich habe mich tatsächlich im ersten Augenblick geärgert. Ich dachte, das kann doch wohl nicht wahr sein. Es ist ja nicht so einfach, abzuhauen. Man lässt alles zurück. Man hat das Gefühl, man kehrt nie wieder. Man kommt da an mit einer Reisetasche und muss da erst mal ins Sozialamt betteln gehen. Weil man erst mal gar nichts hat. Man verliert alle Freunde. Man verliert die Eltern praktisch. Also, das ist nicht so einfach. Es ist auch nicht so schlimm. Aber es ist auch nicht so einfach. Und dann kracht diese DDR zusammen wie ein Kartenhaus. Die Mauer fällt um, und alle kommen sozusagen hinterher. Da war ich im ersten Augenblick verärgert. Hat sich dann aber gegeben.

Und haben Sie dann Ihre Familie wieder getroffen?

Ja, natürlich, klar, da war ich sehr froh. Das ist sozusagen die andere Seite. Es ist ja immer alles in Wirklichkeit widersprüchlich. Und wenn ich sage, ich habe mich geärgert, habe ich mich gleichzeitig gefreut. Einfach, weil der Weg zurück - das heißt also, die Begegnung mit Freunden, mit Familie, mit Orten der Kindheit, der Jugend - wieder möglich war.

Wollen Sie Romanautor bleiben?

Ja, ich wusste nicht, dass ich das kann. Ich habe Theaterstücke geschrieben, 20 Jahre lang. Und bin immer ein bisschen davon ausgegangen, na ja, Prosa ist nicht so dein Ding. Und habe jetzt aber doch meinen Prosastil entwickelt. Der kommt natürlich vom Theater her, ist sehr knapp, sehr szenisch. Mit ganz witzigen Dialogen, glaube ich. Überhaupt, es ist ja ein komisches Buch auch. Und jetzt entsteht natürlich die Frage, ob man noch in der Prosa was versucht. Es sieht eher so aus als ob, ja.

Das Gespräch führte Gabriela Schaaf

Redaktion: Gudrun Stegen