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Literatur

Eugen Ruge: "In Zeiten des abnehmenden Lichts"

Heide Soltau | Aygül Cizmecioglu
6. Oktober 2018

Über drei Generationen hinweg verfolgt Eugen Ruge die Geschichte einer Familie. Ein autobiografischer Debütroman über die DDR, der von der Utopie und vom Scheitern des Sozialismus erzählt.

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Deutschland Eugen Ruge
Bild: picture alliance/dpa/A. Dedert

"In Zeiten des abnehmenden Lichts" ist ein Debütroman, aber sein Autor war wahrlich kein Anfänger. Eugen Ruge, von Haus aus Mathematiker, schrieb seit 1986 Hörspiele, Drehbücher und Theaterstücke, übersetzte aus dem Russischen, bis er 2011 gleich mit seinem ersten, stark autobiografisch geprägten Roman den Deutschen Buchpreis gewann. Da war er schon 57 Jahre alt. Eine späte, aber doch folgerichtige literarische Karriere.

Drei Generationen – dreimal Leid 

Über drei Generationen hinweg verfolgt Eugen Ruge die Geschichte einer Familie. Die Großeltern sind überzeugte Kommunisten, die Eltern Opfer des Stalinismus, und der Sohn ist ein frustrierter DDR-Bürger, der sich in den Westen absetzt.

"In Zeiten des abnehmenden Lichts" von Eugen Ruge

Wilhem Powileit ist der Inbegriff eines Familienpatriarchen – störrisch, herrschsüchtig und kompromisslos. Ein überzeugter Kommunist, der im mexikanischen Exil die Zeit des Nationalsozialismus überlebt hat. Dass die Kommunistische Partei eiserne Disziplin verlangt und Menschen, die nicht parieren, im Gulag verschwinden lässt, wollen er und seine Frau nicht sehen. Selbst dann nicht, als die eigenen Söhne den stalinistischen Säuberungen in der Sowjetunion zum Opfer fallen.

Filmstill "In Zeiten des abnehmenden Lichts"
In der Romanverfilmung von 2017 glänzte Bruno Ganz als grimmiger Familienpatriarch. Der Film konzentrierte sich auf die Geburtstagsfeier des überzeugten KommunistenBild: picture alliance/dpa/X-Verleih/H. Hubach

Einer, Kurt, überlebt und zieht mit seiner russischen Frau Irina in die DDR. Über seine Erfahrungen im Gulag schweigt er. Er passt sich an, geht in die innere Emigration und versucht, sich aus Parteiangelegenheiten möglichst herauszuhalten. Sein Sohn Alexander wächst mit diesen Widersprüchen auf. Die Mutter, ein begnadetes Organisationstalent, das die Familie zusammenhält, ertränkt ihre Frustration im Alkohol.

Ordensblech und Huldigungsarien

Gleich auf mehreren Erzählebenen entfaltet Eugen Ruge seine Familien-Saga. Die Exiljahre ab 1952 in Mexiko bilden den einen Erzählstrang. Ein anderer wird 1989, kurz vor der Wende, aufgenommen. Es ist der 90. Geburtstag des Patriarchen Wilhelm, der nach dem Exil zu einem DDR-weit bekannten Historiker avanciert ist. Nun muss er zu seinem runden Jubiläum missmutig wertloses "Ordensblech", Blumensträuße und lange Huldigungsreden ertragen.

"Ich hab eigentlich genug Blech im Karton. [...] Bring das Gemüse zum Friedhof."

Auf einer dritten Erzählebene begibt sich der Enkel Alexander 2001 auf Spurensuche nach Mexiko, um die Geschichte seiner Großeltern zu durchleuchten. 

Deutscher Buchpreis 2011: Gewinner Eugen Ruge
Gleich mit seinem ersten Buch gewann Eugen Ruge 2011 den Deutschen BuchpreisBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Wie Ruge die Zeitebenen wechselt, wechselt er auch die Erzählperspektive. Er stellt alle Figuren mindestens einmal in den Mittelpunkt. Jede bekommt ihr Kapitel und damit die Chance, ihre eigene Version der Geschichte zu erzählen. All diese Mosaiksteine fügen sich bei der Lektüre zu einem Gesamtpanorama zusammen. 

Warten aus Respekt

Eugen Ruge ist ein berührender, großartiger Abgesang auf die DDR gelungen. Schnörkellos und genau erzählt er, mit leiser Ironie. In der zentralen Figur, Alexander, erkennt man deutlich sein Alter Ego. Dass er diese autobiografisch grundierte Geschichte erst so spät vorlegte, hatte mit Respekt zu tun. Er habe sie erst nach dem Tod seiner Eltern und Großeltern schreiben können, ließ er auf Nachfrage wissen. 

Diese Distanz ermöglicht ihm einen scharfen, aber nicht unerbittlichen Blick auf seine allesamt nicht nur sympathischen Figuren. Eugen Ruge entschuldigt und verklärt die DDR nicht, aber er vergegenwärtigt sie – und wirft damit den Gedanken auf, wie nah Recht und Unrecht bisweilen beieinander liegen.


Eugen Ruge: "In Zeiten des abnehmenden Lichts" (2011), Rowohlt Verlag

Eugen Ruge ist der Sohn des DDR-Historikers Wolfgang Ruge, der 1933 freiwillig als junger Kommunist in die Sowjetunion gegangen war und nach dem Überfall der Deutschen auf die SU 15 Jahre im Gulag-ähnlichen Arbeitslager verbrachte, ehe er 1956 rehabilitiert wurde und in die DDR ausreisen durfte. Wolfgang Ruge hielt den Stalinismus schon früh für verbrecherisch, blieb aber Kommunist und hoffte in der DDR auf einen demokratischen Sozialismus. Eugen Ruges Mutter ist Russin. Er war zwei, als er zusammen mit seinen Eltern nach Ost-Berlin kam. 1988 siedelte er in die Bundesrepublik über. Inzwischen lebt der Schriftsteller, Übersetzer und Drehbuchautor wieder in Berlin und auf Rügen.2016 erschien sein Zukunftsroman "Follower"