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Der Fall "Pringle gegen den ESM"

Daphne Grathwohl26. November 2012

Der Ire Thomas Pringle hat gegen den Rettungsschirm geklagt. An diesem Dienstag entscheidet der Europäische Gerichtshof, ob der ESM mit den EU-Verträgen vereinbar ist.

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Das Foto vom Donnerstag (26.01.2012) zeigt die beiden Türme des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg. Foto: Thomas Frey dpa/lrs
Europäischer Gerichtshof LuxemburgBild: picture-alliance/dpa

Seine Mails und Anrufe beantwortet er selbst und sofort, auch am Samstagabend und auch von unterwegs. Seine Aktivitäten kann man nicht nur auf seiner Homepage, sondern auch auf Facebook und natürlich in den irischen Medien verfolgen. Seine Sprache ist eindringlich und engagiert. Thomas Pringle, unabhängiger Abgeordneter des irischen Unterhauses, ist Vollblutpolitiker. Sein derzeit wichtigstes Projekt: die Klage gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).

Eine Klage gegen ein Euro-Rettungsinstrument, ausgerechnet aus Irland, das bereits 2010 internationale Finanzhilfen beantragt hatte? Thomas Pringle findet nicht, dass Irland von den Euro-Rettungsmaßnahmen profitiert, insbesondere nicht vom ESM: "Ich glaube, die Vorgaben des ESM sind nicht im Interesse Irlands. Der ESM ist so konzipiert, dass er die EU spaltet und sie am Ende zerstören könnte." Die Strukturen der EU seien aus gutem Grund so, wie sie sind, so Pringle weiter: Die EU müsse Entscheidungen treffen, die die Rechte aller und das Gesetz respektierten, so, wie es in den EU-Verträgen festgeschrieben stehe.

Argumente gegen den ESM

Und weil Thomas Pringle der Meinung war, der permanente Euro-Rettungsschirm ESM verstoße eben gegen diese Verträge, zog er im April 2012 vor den zuständigen High Court. Als der seine Klage abwies, ging Pringle in die nächste Instanz - vor den Supreme Court Irlands. Seine Argumente: die irische Regierung habe ihre Exekutivrechte überschritten, als sie dem ESM zustimmte, außerdem habe der Finanzminister als nationaler Vertreter im ESM-Gouverneursrat Machtbefugnisse, die ihm verfassungsrechtlich nicht zustünden. Zudem widerspreche der ESM-Vertrag den EU-Verträgen: Nicht nur, weil die No-Bail-Out-Klausel verletzt sei und weil es gegen den ESM keinen Rechtschutz gebe, sondern auch, weil der ESM-Vertrag ein neues Instrument außerhalb der EU-Verträge sei.

Thomas Pringle, Abgeordneter des irischen Unterhauses. Copyright: privat
Klagt gegen den ESM: der irische Abgeordnete Thomas PringleBild: privat

Der Supreme Court wies einige Klagepunkte ab und legte die übrigen dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vor. Der verkündet seine Entscheidung am 27. November. Der 45-jährige Pringle ist froh, dass sich Luxemburg mit dem Thema befasst hat: "Wir haben in Irland aber die einzigartige Situation, dass die EU-Verträge in unsere eigene Verfassung aufgenommen werden. Deshalb sind die irischen Gerichte verpflichtet, den EuGH anzurufen, bevor sie über die Auswirkungen des EU-Rechts entscheiden können", erklärt Pringle.

Ein Fall von ungeheuerlichem Potential

Die irische Regierung widerspricht Pringles Argumenten. Sie verweist auf die Dringlichkeit der Ratifizierung des ESM - auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage Irlands. Das Land, das als erstes unter den - damals vorläufigen - Euro-Rettungsschirm EFSF schlüpfte, erholt sich gerade langsam von der Schuldenkrise. Auch die deutsche Regierung hatte sich in den Verfahren gegen den ESM hinter dieses Euro-Rettungsinstrument gestellt. Nicht nur darin sieht der Europarechtler Mattias Kumm Parallelen zu den deutschen Verfassungsbeschwerden gegen den ESM: "Es ist wie im Fall der deutschen Verfassungsbeschwerden ein Fall, der von seinem Potenzial her ungeheuerlich ist."

Denn, so der Rechtsprofessor weiter, ebenso - wie vor kurzem in Karlsruhe - sei es theoretisch möglich, dass der EuGH gegen den ESM entscheidet und argumentiert: "Es ist nicht möglich, durch die Schaffung außereuropäischer Institutionen und Prozeduren außerhalb der EU-Verträge die Euro-Schulden-Krise zu lösen." Kumm ist Forschungsprofessor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und derzeit am Europarechtsinstitut der Universität Florenz tätig - einer von vielen Aufenthalten im europäischen und außereuropäischen Ausland.

Prof. Dr. Mattias Kumm, Juraprofessor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), derzeit Gastprofessor am European University Institute in Florenz. Copyright: privat
Mattias Kumm, Juraprofessor am WZB BerlinBild: privat

Es ist das erste Mal, dass der Europäische Gerichtshof in Luxemburg über den ESM entscheidet. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte - anders als der irische Supreme Court - europarechtliche Fragen nicht den Luxemburger Richtern vorgelegt. Als Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzende des Zweiten Senats, Mitte September 2012 seine Entscheidung zum ESM vortrug, erklärte er ausdrücklich, man habe sich nicht mit europarechtlichen Fragen befasst.

Konkurrenz zum EuGH

Thomas Pringle ist mit seinen Bedenken nicht allein - bereits die deutschen Beschwerdeführer klagten ganz ausdrücklich dagegen, dass Vorschriften aus EU-Verträgen nicht eingehalten würden - wie zum Beispiel das No-Bail-Out-Verbot. Doch das Thema wurde bislang ausgeklammert. Die nationalen Verfassungsgerichte beschränkten ihre Prüfung darauf, ob der ESM mit der nationalen Verfassung vereinbar ist, bestätigt der Jurist Mattias Kumm: "Es kann durchaus sein, dass der ESM in europarechtlicher Hinsicht problematisch ist. Aber das ist für nationale Verfassungsgerichte nicht relevant, solange die nationale Verfassung nicht verletzt wird."

Das deutsche Bundesverfassungsgericht
Das deutsche Bundesverfassungsgericht bei der urteilsverkündung zum ESM, September 2012Bild: Reuters

Kumm räumt ein, dass es bei allen Kooperationsbemühungen zwischen den nationalen Gerichten und dem EuGH in Luxemburg auch ein Konkurrenzdenken gibt. Das Bundesverfassungsgericht hat noch nie eine Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt, sagt der Jurist: "Die Praxis höchster Verfassungsgerichte zeigt, dass diese höchsten Gerichte besonders vorlagefreudig sind". Es gebe durchaus gewisse Autoritätskonflikte rund um die Frage, wer denn das Recht der letzten Entscheidung hätte, so der Europarechtler. Die spezielle irische Rechtslage macht im Pringle-Fall eine Vorlage vor den EuGH in Luxemburg zwingend erforderlich.

Rechtswidriger Rettungsschirm?

Zumindest im Fiskalpakt wird die Rolle des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg gestärkt. Denn ihm ist explizit eine Überprüfungsbefugnis eingeräumt worden. Dieses Recht hat der EuGH aber nicht beim permanenten Euro-Rettungsschirm - und genau das sei problematisch, sagt Mattias Kumm: "Da werden Entscheidungen überwiegend durch den Willen der Mitgliedsstaaten ohne Beteiligung europäischer Institutionen, ohne Beteiligung des Parlaments und ohne rechtliche Überprüfung durch den EuGH entschieden."

Thomas Pringle hofft, dass die Luxemburger Richter auch dazu Stellung nehmen, wenn sie ihr Urteil verkünden.  Der EuGH werde prüfen, ob der ESM-Vertrag den EU-Verträgen entspricht, denn schließlich sei es das Gericht, das mit dem Schutz der Verträge betraut sei. "Ich glaube, dass der ESM nicht mit den EU-Verträgen vereinbar ist und ich hoffe, dass der EuGH das auch so sieht", so Pringle.

Diese Erwartungen muss der Europarechtler Mattias Kumm allerdings etwas dämpfen: "Es ist in hohem Maße unwahrscheinlich, dass der EuGH irgendetwas tun wird, was die ordnungsgemäße Funktionsfähigkeit des ESM untergraben würde." Es könne aber durchaus sein, dass im Hinblick das Verhältnis des ESM zum Europarecht nachjustiert werden müsse, so der Jurist. Das liefe auf eine erneute "Ja, aber"-Entscheidung hinaus, diesmal allerdings aus Luxemburg.