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Eintracht-Fans wandeln auf schmalem Grat

James Thorogood adaptiert von Stefan Nestler
10. April 2019

Eintracht Frankfurt ist in der Europa League noch ungeschlagen. Die Fans des Bundesligisten sorgen zwar für Gänsehaut-Atmosphäre, stehen aber weiter unter Beobachtung der UEFA. Ein Pulverfass, sagt einer von ihnen.

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Fußball Europa League Eintracht Frankfurt - Olympique Marseille
Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Vor fünf Jahren staunte die europäische Fußball-Welt nicht schlecht. Rekordverdächtige 12.000 Fans begleiteten den Bundesligisten Eintracht Frankfurt damals zum Europa-League-Auswärtsspiel nach Bordeaux. In jener Saison scheiterten die Hessen schließlich in der Runde der letzten 32 am FC Porto, wegen der weniger erzielten Auswärtstore. An diesem Donnerstag (Anpfiff 21 Uhr, ab 20.45 Uhr im DW-Liveticker) steht wieder ein Europa-League-Auswärtsspiel in Portugal an, diesmal bei Benfica Lissabon, im Viertelfinale. Und die Anhänger der Frankfurter sind zuversichtlich, dass am Ende ein anderes Gesamtergebnis steht. Denn die aktuelle Saison ist eine ganz besondere. "Ich denke, der überraschende Pokalsieg in letzten Jahr gegen die Bayern macht den Unterschied. Dieser Sieg hat die ganze Stadt elektrisiert", sagt Eintracht-Fan Ari der DW. "Diese Stimmung ist dann auch im Stadion auf die Bundesliga übergegangen und ganz besonders auf die Europa League."

Blind-Date-Tickets

Mit dem 3:1-Sieg gegen den FC Bayern im DFB-Pokalfinale 2018 in Berlin endete eine 30-jährige Durststrecke der Frankfurter ohne Titel und fünf Jahre ohne Auftritte auf der europäischen Bühne. Ari ist nach eigenen Worten schon immer Eintracht-Fan, solange er sich erinnern kann. 1992 sah er sein erstes Spiel im Stadion. Und er war auch einer der 40.000 glücklichen Fans, die ein Blind-Date-Ticket für die Europa League ergatterten. Für 93 Euro konnten die Frankfurter Anhänger Eintrittskarten für alle drei Gruppenspiele erwerben - allerdings ohne die Gegner zu kennen. Sechs Wochen vor der Auslosung waren die Tickets vergriffen.

UEFA Europa League - Eintracht Frankfurt - Shakhtar Donetsk
Dank an die Kurve: Die Eintracht-Spieler wissen, was sie an ihren Fans haben Bild: Getty Images/A. Grimm

Niemand dürfte diese Investition bereut haben. Die Atmosphäre im weiten Rund des Stadions war atemberaubend. Und wieder schaute Fußball-Europa neidisch nach Frankfurt. "Jeder macht mit, und nach dem Sieg bleiben alle, um die Spieler zu feiern. Das war in der Vergangenheit nicht immer so", räumt Ari ein. Die Frankfurter Fans hätten sich in dieser Saison "in Europa und weltweit einen fantastischen Ruf" erworben: "Wenn man sich nur die Choreos ansieht - mit Ausnahme des Spiels gegen Donezk, wo sie kurzfristig abgesagt wurde. Diese Choreographien sind einzigartig. Und dass wir bei jedem Heimspiel solche Choreos haben, ist unfassbar." 

"Fanatismus pur"

Doch viel fehlte nicht, und die Eintracht-Fans hätten ihren gerade erst erworbenen guten Ruf gleich wieder zunichte gemacht. Vor dem Rückspiel gegen Donezk gab es Auseinandersetzungen mit der Polizei. Wäre Frankfurt in diesem Spiel ausgeschieden, wäre die Lage auf der Tribüne wohl eskaliert, glaubt Ari: "Wenn das gegen Donezk schief gegangen wäre, hättest du Randale im Stadion gehabt. Die alte Eintracht-Szene hätte sich wieder zurückgemeldet. Die ist aggressiv und unberechenbar. Auch das ist Frankfurt: Fanatismus pur."

Der zeigte sich zuletzt im Achtelfinale beim Auswärtsspiel in Mailand, als Eintracht-Fans Pyrotechnik zündeten und Leuchtraketen auf den Platz warfen - und das, obwohl eine Strafe der UEFA gegen die Frankfurter wegen früherer Vorfälle nur zur Bewährung ausgesetzt war. "Das ist die Kehrseite der Eintracht-Fans", sagt Ari. "Sie sind einfach sehr fanatisch und haben ein fast südländisches Temperament. Es war ganz, ganz schwach und sehr bitter, dass man hier das Risiko eingegangen ist, möglicherweise Zehntausenden von Fans den Traum von der nächsten Auswärtsfahrt zu zerstören."

Fußball: Europa League | Inter Mailand - Eintracht Frankfurt
Pyrotechnik im Eintracht-Fanblock während des Achtelfinal-Rückspiels der Frankfurter bei Inter Mailand Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Nach Ansicht von Eintracht-Vorstandsmitglied Axel Hellmann kann sich der Verein "glücklich schätzen", wegen der Vorfälle in Mailand mit einer Geldstrafe von 50.000 Euro und einer Verlängerung der Bewährungsstrafe um ein Jahr davongekommen zu sein: "Wir werden nach Abschluss dieses Wettbewerbs - wann immer er für uns beendet sein sollte - intern gemeinsam mit der Fanszene diskutieren, wie es mit Blick auf zukünftige europäische Wettbewerbe weitergeht, um nicht wieder vor einem Zuschauerausschluss zu stehen."

Euphorie auf wackligen Füßen

Eintracht-Fan Ari hätte sich von den Ultras gewünscht, dass sie die Schuldigen selbst aus dem Verkehr gezogen hätten: "Das wäre für mich die richtige Reaktion gewesen." Ein durchaus mögliches Stadionverbot durch die UEFA für das Spiel in Lissabon, so Ari, hätte zu einer "gespaltenen Fanszene wie in den 90er Jahren" geführt. "Das ist ein Pulverfass in Frankfurt. Die Eintracht-Fanszene ist einfach sehr schwankend, zwischen ihrer positiven Ausstrahlung und der Schattenwelt, in der sie sich auch schon mal als 'Randalemeister' bezeichnet hat." Die Euphorie hätte durch den Vorfall in Mailand schlagartig weggefegt werden können: "Alles, was hier aufgebaut wurde - im Bereich Außendarstellung, neuer Spielstil, Favoritenrolle in vielen Spielen - wäre von heute auf morgen verschwunden gewesen, wegen dreimal Pyrotechnik und Leuchtraketen, die auf den Platz geschossen wurden. So ist das manchmal in Frankfurt, dass aus dem Guten etwas Schlechtes entsteht."

Für das Spiel im Estadio de Luz gegen Benfica hofft Ari auf eine positive Leistung sowohl der Eintracht-Spieler auf dem Feld, als auch ihrer Fans auf den Rängen, damit das Abenteuer Europa League noch möglichst lange weitergeht. "Ich wünsche mir natürlich, dass die Fans in Lissabon ein geiles Fest feiern und Europa und der Welt zeigen, was für eine tolle Fanszene wir hier haben. Sie sollen das Spiel genießen und einfach noch lauter singen. So kalt ist es Mitte April nicht mehr, dass man Pyrotechnik braucht, um sich aufzuwärmen."