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"Europa oder Bankrott"

2. Oktober 2002

- Bosnien-Herzegowina wählt Parlamente und Präsidium / Von Fabian Schmidt

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Köln, 2.10.2002, DW-radio

Die Bürger von Bosnien und Herzegowina werden am Samstag (5.10.) neue Parlamente und ein neues Präsidium wählen. Aufgrund der komplexen Staatsstruktur und der breiten Parteienlandschaft werden regional sehr unterschiedliche Wahlergebnisse erwartet. Die Wahlen werden voraussichtlich zwischen reformorientierten und nationalistischen Parteien entschieden.

Den Bürgern von Bosnien und Herzegowina steht am Samstag (5.10.) ein großer Wahltag bevor: Zum einen werden sie ihr dreiköpfiges Staatspräsidium und ihre Kandidaten für das Parlament von Bosnien und Herzegowina bestimmen. Bürger, die in der "Republika Srpska" leben, wählen zudem das Parlament ihrer Entität sowie deren Präsidenten und stellvertretenden Präsidenten. In der Föderation von Bosnien und Herzegowina - dem muslimisch-kroatisch dominierten Teil des Landes - werden das Entitäts-Parlament und die Parlamente der zehn Kantone gewählt. Zudem finden in der Gemeinde Zepca Lokalwahlen statt.

Insgesamt 62 politische Parteien, Koalitionen und unabhängige Kandidaten stehen zur Wahl. Das amerikanische National Democratic Institute (NDI) führte Anfang der Woche eine letzte Wahlumfrage in Bosnien und Herzegowina durch. Demnach sind für die Wahlen in der Serben-Republik nach wie vor die nationalistische Serbische Demokratische Partei (SDS), die Partei der Unabhängigen Sozialdemokraten und die Partei des Demokratischen Fortschritts des derzeitigen Premierministers Mladen Ivanic die Favoriten. Die Nationalisten hätten deutlich an Sympathien verloren, meint NDI-Sprecher Michael Ballagus:

"Wir konnten eine signifikante Abnahme der Unterstützung für die Serbische Demokratische Partei feststellen."

Den Umfragen des Instituts zufolge werden für Mirko Sarovic, den Kandidaten der SDS für die Präsidentschaft, rund 33 Prozent stimmen - sieben Prozent weniger als bei den letzten Wahlen. Damit hätte Sarovic aber immer noch einen Vorsprung von 12 Prozent vor seinem stärksten Herausforderer Nebojsa Ratmanovic von den Unabhängigen Sozialdemokraten.

In den kroatischen Kantonen der Föderation von Bosnien und Herzegowina räumen Beobachter der nationalistischen Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) die besten Gewinnchancen ein. Den Umfragen zufolge kann der Präsidentschaftskandidat der HDZ, Dragan Covic, mit 16 Prozent rechnen. Sein stärkster Herausforderer Mladen Ivankovic vom Wirtschaftsblock käme auf fünf Prozent; Mijo Anic von der reformorientierten Neuen Kroatischen Initiative prognostizieren die Umfragen nur drei Prozent der Stimmen.

Die bosnischen Muslime werden vor allem für die gemäßigte Partei für Bosnien und Herzegowina, die reform-sozialistische Sozialdemokratischen Partei (SDP) und die

muslimisch-nationalistische Partei für Demokratische Aktion (SDA) stimmen. Den Umfragen zufolge käme Haris Silajdzic, Präsidentschaftskandidat der Partei für Bosnien und Herzegowina, auf 26 Prozent, Alija Behmen, jetziges Präsidiumsmitglied und Vertreter der SDP, auf 21 Prozent und Sulejman Tihic von der SDA auf 17 Prozent.

Die Herausforderungen, vor denen die neugewählten Volksvertreter stehen, sind enorm. In der Nachkriegszeit haben bosnische Politiker vor allem aus nationalistischer Rivalität wichtige Reformen verschleppt. In einigen Kantonen bestehen nach wie vor parallele Institutionen, die vor allem einzelnen ethnischen Gruppen dienen. So gibt es zum Beispiel in Mostar nach wie vor separate Schul- und Gesundheitssysteme für den mehrheitlich kroatischen Westen der Stadt und für den mehrheitlich muslimischen Osten.

Die Verfassungsreform, die der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in diesem Jahr durchgesetzt hat, legt zwar fest, dass die Staatsbürger in allen Teilen des Landes die gleichen Rechte genießen müssen. Jedoch ist es nun an den neugewählten Volksvertretern, dies auch in der Praxis umzusetzen. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die notwendige Konsolidierung der Budgets der Kantone. Diese sind hochverschuldet und können aufgrund ihrer Defizite parallele Systeme wie beispielsweise in Mostar eigentlich schon jetzt nicht mehr finanzieren. Auch die Arbeitslosigkeit, die über 50 Prozent beträgt, wird ohne grundlegende Wirtschaftsreformen nicht zu überwinden sein. Ausländische Direktinvestitionen fließen aufgrund der ungünstigen Investitionsbedingungen spärlich.

Der Hohe Repräsentant Paddy Ashdown, der dieses Jahr sein Amt übernahm, hat deshalb weitere institutionelle und wirtschaftliche Reformen zur Kernaufgabe der nächsten Jahre erklärt. Seiner Ansicht nach gibt es nur zwei Alternativen:

"Bosnien und Herzegowina wird entweder weiter auf Europa zugehen oder es wird zurückfallen in einen Bankrott."

Eine weitere Herausforderung an die neu zu wählenden Parlamentarier besteht in der Vorbereitung von Bosnien und Herzegowina zum angestrebten NATO-Beitritt. Dazu müssen sie zunächst die beiden Armeen des Landes unter ein gemeinsames Kommando bringen. Auch um zu einem späteren Zeitpunkt Verhandlungen mit der EU über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen aufnehmen zu können, sind noch viele weitere gesetzgeberische Maßnahmen fällig.

Vor diesem Hintergrund haben sich alle wichtigen kandidierenden Parteien, inklusive der Nationalisten, zu weiteren Reformschritten verpflichtet. Die neu gewählten Politiker werden sich diesen Herausforderungen - unabhängig von der Parteizugehörigkeit - kaum entziehen können, da ihre politische Zukunft von Erfolgen abhängen wird.

Daher sandte Kevin Sullivan, Ashdowns Pressesprecher, zwei klare Nachrichten an die Wähler:

"Die erste ist: Geht wählen! Und die zweite ist: Stimmt für die Reform!"

Und er machte den Wählern deutlich, dass Bosnien die Wirtschaftskrise überwinden könne:

"Die Staaten des Stabilitätspaktes können ein neues Zentrum der Wirtschaftsentwicklung werden. Sie haben diese kollektive Möglichkeit. Dabei geht es im Kern um den Erfolg oder das Scheitern von Reformen." (fp)