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Politik

"Europas Isolationskurs ist beschämend"

2. Juli 2018

In der arabischen Welt wird die europäische Flüchtlingsdebatte sorgsam verfolgt. Die meisten Zeitungen sympathisieren mit dem Kurs von Angela Merkel. Optimistisch sind ihre Zukunftserwartungen trotzdem nicht.

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Symbolbild Rettung Flüchtlinge aus Mittelmeer
Bild: Getty Images/C. McGrath

Nein, die Europäische Union ist in keiner beneidenswerten Situation. Sie hängt fest in einer Sackgasse, schreibt die liberale Internetzeitung "Al-Araby al-jadeed". Die meisten ihrer politischen Führer würden sich zu den Idealen der Staatenunion bekennen, allen voran dem Bekenntnis zu Humanität und Freiheit. Zum anderen seien sie aber dem Druck rechtspopulistischer Parteien ausgesetzt, die immer vehementer ein Ende der bisherigen Asylpolitik forderten. Die Augen verschließen vor Flucht und Migration könne die Europäische Union kaum, so schreibt "Al-Araby al-jadeed" weiter.

"Das Schicksal des Einwanderers oder Flüchtlings, ob er nun im Mittelmeer den Tod findet oder gerettet wird, ist auch ein Teil des europäischen Schicksals." Die entscheidende Frage, schreibt die Zeitung, habe die EU noch nicht beantwortet: "Wie umgehen mit dem anhaltenden Fluss von Immigranten und Flüchtlingen, der politischen Blockade durch die mächtiger werdenden populistischen und extremistischen Strömungen in der EU, die die Zukunft der europäischen Demokratie auf das Äußerste in Frage stellen?"

Kritik an den Herkunftsländern

Gewiss, schreibt die tunesische Publizistin Amal Musa in der saudisch finanzierten, in London erscheinenden Zeitung "Sharq al-Awsat", der Großteil der Verantwortung für die Flucht so vieler Menschen liege nicht bei den Europäern: "Ohne Zweifel geht der Tod im Mittelmeer auf die Heimatländer der Flüchtenden zurück, die es nicht einmal vermocht haben, deren grundlegendste Bedürfnisse zu erfüllen."

Malta Rettungsboot Mission Lifeline im Hafen von Valletta
Anlegen verboten: Das Rettungsschiff "Mission Lifeline" im Hafen von Valetta, MaltaBild: Reuters/D.Z. Lupi

Und doch, es sei bedauerlich, dass das in Europa kursierende Image der Migranten sich verhärtet habe: "Das Phänomen der illegalen Migration geht auf ökonomische Not und Arbeitslosigkeit zurück, aber auch auf die Unmöglichkeit, ein Visum zu bekommen. Noch schwieriger wird die Situation durch den Aufstieg der extremen Rechten in Europa." Doch wie immer die Verantwortung auch gewichtet sei: "Der europäische Isolationskurs ist ebenso beschämend wie das Schweigen eines sich mit den Menschenrechten brüstenden Europas angesichts der tausenden Toten auf dem Meer."

In größte Schwierigkeiten hat die in Europa aufgebaute Spannung die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gebracht, beobachtet die Zeitung "Al Hayat". Merkel versuche an einem vereinten europäischen Kurs in der Flüchtlingsfrage festzuhalten. Ihre politischen Opponenten - welche genau sie meint, verrät die Zeitung nicht - legten darauf weniger Wert. Sie wollten keine Flüchtlinge mehr ins Land lassen. "In ihren Augen ist die Integration der Flüchtlinge in die deutsche Gesellschaft  unmöglich - und zwar aus sprachlichen, konfessionellen und kulturellen Gründen." Die Zeitung macht sich diese Sicht nicht zu eigen. Er halte Merkel für die beste politische Figur, die Deutschland derzeit habe, schreibt Jihad el-Khazen, der bekannte Kommentator von "Al-Hayat" in seinem jüngsten Kommentar.

Archivbild: Berlin - Merkel und Seehofer
Über die Flüchtlingsfrage zerstritten: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst SeehoferBild: picture-alliance/dpa/B. v. Jutrczenka

"Europa plündert den Süden der Welt"

Eine andere Position vertritt der palästinensische Schriftsteller und Politiker Bisam Abu Sherif in "Rai al-Youm", dem Online-Magazin des einflussreichen Publizisten Abdel Bari Atwan. Er führt die gesamte Flüchtlingskrise auf den Umstand zurück, dass die Vereinigten Staaten, Europa und Israel die Länder des Südens "ausplünderten". Solange sich das nicht ändere, "wird sich Europa einer Flut von Migranten gegenübersehen und in innere Kriege und Konflikte stürzen." Europa müsse einsehen, dass es der südliche Welt ungeheure Geldsummen geraubt habe.

Die Flüchtlinge kämen nicht, weil sie ihre Heimat gerne verließen, heißt es in der für ihre teils populistischen Töne bekannten Zeitung. "Sie kommen, weil sie jenes höhere Lebensniveau anstreben, das die Europäer ihnen in ihren Herkunftsländern geraubt haben". Europa müsse  sich ändern, so der Autor. Der Kontinent brauche einen neuen Charles de Gaulles, und das könne nur Merkel  sein. "Andernfalls wird die Flut kommen…"

"Künftige Krisen könnten Merkel weiter schwächen"

Dass Merkel sich mit ihrer pro-europäischen Politik durchsetzen wird, gilt Laila Nicola, der Kolumnistin des teils mit der Politik des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und der Hisbollah sympathisierenden Senders "Al-Mayadeen", nicht als ausgemacht. Die Europäer seien nicht mehr bereit, in der Flüchtlingskrise weitere Zugeständnisse zu machen. "Das macht die Dinge schwierig. Merkel wird an der Regierung bleiben, da ihre Partei noch erheblichen Einfluss hat. Künftige Krisen könnten sie aber schwächen - und damit auch die Kohäsionskraft der europäischen Union. Das ist dazu angetan, den Pessimismus hinsichtlich der Zukunft der EU zusätzlich wachsen zu lassen."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika