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Europas verlorene Corona-Generation?

Marie Sina
3. April 2021

Die Lage für Europas Hochschulabsolventen ist während der Coronakrise besonders schwierig. Viele Bewerbungen treffen auf wenige offene Stellen.

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Frankreich In 19 Pariser Departements gilt der Lockdown Lite
Die Corona-Pandemie beeinflusst auch das soziale Leben vieler junger MenschenBild: Lisa Louis/DW

Hunderte Bewerbungen hat der 24-jährige Jordi Battlo aus Barcelona in den vergangenen Monaten geschrieben. Er klingt distanziert, als er davon erzählt - als würde er sich schützen wollen. "Ich habe aufgehört zu zählen", sagt der junge Mann.

Absagen sind für den Diplom-Wirtschaftsingenieur zur quälenden Routine geworden. "Die fehlende Resonanz von Unternehmen gibt mir das Gefühl, dass nichts, was ich getan habe, etwas zählt", sagt Battlo. Nachdem er im Juli 2020 seinen Master an der Business School in Madrid abgeschlossen hatte, blieb ihm nur ein Kurzzeitpraktikum. Jetzt ist er arbeitslos.

Einstellungsstopps in der Coronakrise

Battlo ist einer von Millionen junger Absolventen in ganz Europa, die den Zugang zu einem überfüllten Arbeitsmarkt suchen müssen. Laut dem Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) liegt die Jugendarbeitslosigkeit in der EU derzeit bei 17 Prozent - und damit mehr als doppelt so hoch wie die allgemeine Arbeitslosenquote.

Jugend droht Arbeitslosigkeit

Im Oktober 2020 warnte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass in Europa eine ganze Generation junger Menschen Gefahr läuft, zurückgelassen zu werden. Im Pandemiejahr 2020 wurden nicht nur Einstellungen gestoppt, sondern auch Entlassungen hochgefahren - ein wahrer Tsunami von Bewerbungen steht wenigen offenen Stellen gegenüber.

Zahl der Bewerbungen "rasant gestiegen"

Rund 2000 Kilometer weiter nördlich sitzt Georgia Burns, 23, in ihrem Kinderzimmer in Dublin. Seit sie im September 2020 ihren Master in Management am University College London abgeschlossen hat, plagen sie die gleichen Sorgen wie Battlo: "Als ich meinen Master begann, dachte ich: 'OK, ich werde schon einen Job bekommen, wenn ich meinen Abschluss habe. Dann kam die Pandemie und jetzt mache ich ein Teilzeitpraktikum zum Mindestlohn."

Battlo glaubt, dass Jobs für Hochschulabsolventen unerreichbar geworden sind: "Auf jede Stelle gibt es doppelt so viele Bewerber wie sonst. Selbst auf Einsteigerjobs bewerben sich Leute mit zwei oder drei Jahren Erfahrung."
Diese Entwicklung haben auch die Arbeitgeber erkannt. "Die Zahl der Bewerbungen ist massiv gestiegen", sagt Oliver Zischek, Leiter des Bereichs People Organization bei Deloitte Deutschland, gegenüber der DW. Im Herbst 2020 erhielt das Beratungsunternehmen 42 Prozent mehr Stellengesuche als im Herbst des Vorjahres. Laut Zischek erleben die Deloitte-Büros in ganz Europa eine ähnliche Flut an Bewerbungen.

Jordi Battlo, ein Huchschulabsolvent aus Spanien
Jordi Battlo, Hochschulabsolvent aus SpanienBild: Privat

Wenn es der Psyche immer schlechter geht

Die schwierige Suche nach einem geeigneten Job schlägt sich bei vielen auch auf die Stimmung. Laut einer Umfrage der Internationalen Arbeitsorganisation und des Europäischen Jugendforums aus dem Jahr 2020 zeigen etwa 50 Prozent der jungen Menschen weltweit Anzeichen von Angst und Depression.

Auch der 23-jährigen Burns aus Dublin fällt es immer schwerer, hoffnungsvoll zu bleiben. Spaziergänge mit Freunden, die ebenfalls arbeitssuchend sind, wurden zu einem emotionalen Anker. "Es hilft wirklich, jemanden zu haben, der versteht, wie es ist", sagt sie.

Die Probleme der jungen Generation werden auch langfristige Folgen haben, glauben Experten. "Die Botschaft, die wir bekommen, ist, dass sich alles irgendwann wieder normalisiert. Aber das Risiko einer verlorenen Generation ist nicht vorübergehend", sagt Silja Markkula, Präsidentin des Europäischen Jugendforums, einer NGO mit Sitz in Brüssel, der DW. Sie befürchtet, dass das Einkommen der Jüngeren langfristig niedriger ausfallen könnte. Auch der Optimismus könnte abnehmen.

In der Krise neue Ideen finden

Esther Jardim aus London, die ihren Abschluss 2009 während der globalen Finanzkrise gemacht hat, hat Verständnis für die Pandemie-Absolventen. Wenn sie auf ihre eigene Geschichte zurückblickt, sieht sie jedoch auch die Vorteile, die ein Abschluss während eines wirtschaftlichen Einbruchs mit sich bringen kann.

Als Jardim in den Nachwehen der globalen Finanzkrise an Heiligabend 2010 eine Jobabsage erhielt, beschloss sie, etwas Radikales zu tun. Mit einem Schild vor der Brust lief sie im Londoner Geschäftsviertel High Holborn auf und ab. Auf dem Brett hatte sie die recht eindrucksvollen Stationen ihres Lebenslaufes niedergeschrieben: Ein Abschluss an einer britischen Elite-Universität, Praktika. Und dass sie nach einem Job Ausschau halte.

Großbritannien London Esther Jardim
Esther Jardim hatte dank ihrer ungewöhnlichen Aktion Glück: Trotz Wirtschaftskrise fand sie einen Job Bild: Nareas Sae-Khow/Norwegian broadcasting corporation (NRK)

Die Aktion brachte ihr rund 30 Vorstellungsgespräche und verschaffte ihr einen Job bei einer großen PR-Agentur in Großbritannien. Dank sozialer Medien seien solche Aktionen heute nicht mehr nötig, um die Aufmerksamkeit begehrter Arbeitgeber zu erregen, glaubt sie. "Soziale Medien haben wirklich Barrieren niedergerissen. Sie können hochrangigen Leuten im Unternehmen einfach eine Nachricht schicken", sagte sie der DW.

Wenn sie auf ihren herausfordernden Berufsstart zurückblickt, ist Jardim dankbar für das, was sie vor zehn Jahren durchgemacht hat. "Es hat mich gezwungen, schon früh in meiner Karriere einen Sinn für Resilienz zu entwickeln. Ich habe gelernt, mich aufzurappeln", sagt sie.

Dieser Text wurde aus dem Englischen übersetzt von Stephanie Höppner.