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Europawahl ohne Brüssel

12. Juni 2009

In der Rubrik "Mail aus..." berichten unsere Reporter über Geschichten und ganz persönliche Beobachtungen aus ihrem Alltag. Diese Woche beschreibt Ruth Reichstein die Stimmung in Brüssel nach der Europawahl.

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Das Brüssler Wahrzeichen "Männeken Pis" (4.5.1995)
Außer ihm blieb während der Europawahl kaum jemand in BrüsselBild: picture-alliance / dpa

Es ist schon komisch: Da läuft auf dem europäischen Kontinent die größte überhaupt mögliche Wahl ab - und in Brüssel, der Hauptstadt der Europäischen Union, bekommt man davon kaum etwas mit.

Gut, am Wahlabend gab es ein paar nette Diskussionsrunden im Europäischen Parlament, Häppchen und sogar ein Glas Bier auf Kosten der konservativen Fraktion. Aber alle wichtigen Abgeordneten waren sowieso zu Hause und wirklich glamourös war nichts. Wahlpartys sehen anders aus. Irgendwie haben die EU'ler das Feiern noch nicht richtig gelernt, zumindest nicht das gemeinsame. Da bleiben dann doch lieber alle unter sich – zu Hause in den 27 Hauptstädten.

"Business as usual" in Brüssel

Das Europäische Parlament in Brüssel vom Wasser aus
Nur ein paar Schnittchen - sonst war es im Europäischen Parlament eher stillBild: Photo European Parliament/Architects : Architecture Studio

Seit Montagmorgen ist vom Wahlzirkus und der Tatsache, dass wir jetzt ein neues, frisch gewähltes EU-Parlament haben, kaum noch etwas zu spüren. Im Gegenteil: An den Außenwänden des Parlamentsgebäudes kleben nach wie vor meterlange, blaue Banderolen, die die Bürger zum Wählen auffordern. Jetzt, nach der geringen Wahlbeteiligung, wirken diese Werbeplakate lächerlich.

Ansonsten wirkte das Europäische Parlament in den vergangenen Tagen wie ausgestorben. In der normalerweise bis oben hin voll gestopften fünfstöckigen Tiefgarage habe ich sogar einen Parkplatz direkt neben dem Aufzug ergattert. Das ist sonst undenkbar.

Nur ganz langsam kommt der eine oder andere neue Abgeordnete nach Brüssel, um sein Büro in Augenschein zu nehmen und sich im EU-Zirkus zu sortieren. Auch die alten, wiedergewählten Politiker tauchen wieder auf. Vor ein paar Tagen habe ich den Deutschen Hans-Gert Pöttering erblickt, als ich zum Feierabend-Weinglas auf dem Platz Luxemburg vor dem Parlament saß. Allerdings hetzte der– in Begleitung seines Bodygards – nur vorbei. Kein Blick fürs Volk auf den Brüsseler Café-Terrassen.

Wo ist Europa?

Das Parlament steht zwar mitten in der Stadt, in der ich nun seit vier Jahren lebe, aber so richtig spüre ich es eigentlich nicht, außer natürlich während meiner Arbeit, wenn ich zu Pressekonferenzen oder Interviews gehe.

Und die Belgier? Die mussten zwar wählen – denn hier herrscht nämlich Wahlpflicht - aber so richtig interessieren sich meine belgischen Freunde auch nicht für das Europäische Parlament. In den Kneipen wird eher über den Ausgang der Regionalwahlen diskutiert, die ebenfalls am Sonntag (07.06.2009) stattgefunden haben. Der Abgeordnete im Regionalparlament ist den Brüsselern dann eben doch näher als der unter der großen europäischen Käseglocke.

Ich habe mich dann auch ganz demonstrativ diese Woche eher mit anderen Themen beschäftigt und die Wahlergebnisse fast links liegen lassen. Ich war in Gent und habe mir angeschaut, wie diese kleine belgische Stadt zur „ersten vegetarischen Hauptstadt Europas“ werden will – mit vegetarischen Menüs in Restaurants und Schulkantinen und einem fleischfreien Donnerstag. Das ist eben auch ein Stück Europa - und zwar ganz begreifbar und viel lebendiger als die Wahlnachwirkungen im Brüsseler Europaviertel.

Autorin: Ruth Reichstein
Redaktion: Julia Kuckelkorn / Mareike Röwekamp