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Europawahlen - na und?

Sandra Butz1. April 2014

Europa wählt - doch wer geht hin? Beim letzten Mal im Jahr 2009 ging nicht einmal jeder Zweite zur Wahl. Was tut die Europäische Union gegen die Politikverdrossenheit und mit welchen Erfolgschancen?

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Symbolbild Politikverdrossenheit (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/Peter Steffen

Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa! Lange Zeit schien dies das Motto der Parteien zu sein, wenn es darum ging, wer als Abgeordneter ins Europaparlament geschickt werden sollte. Kein Wunder, dass die Bürger Europa und seinen Institutionen kaum Beachtung schenken. Auch die Zahlen bestätigen das: Die Beteiligung bei den Europawahlen ist seit der ersten Wahl 1979 ständig gesunken. In Deutschland machten 2009 ganze 43,3 Prozent von ihrem Wahlrecht Gebrauch und lagen damit im europäischen Durchschnitt. Trauriger Spitzenreiter war die Slowakei, mit nur knapp 20 Prozent Wahlbeteiligung. Gründe dafür gibt es viele: Den meisten Bürgern sind die Aufgaben und Befugnisse des Europäischen Parlaments nicht bekannt. Sie wissen nicht, welchen Einfluss die Entscheidungen in Brüssel und Straßburg auf ihr Leben haben.

Nicht genug Raum für Europa

Für Rebecca Harms, Vorsitzende der Europäischen Grünen-Fraktion im Parlament, ist diese fehlende europäische Öffentlichkeit ein Grund dafür. Der Fokus der Aufmerksamkeit liege nie zuerst in Brüssel, sondern immer zuerst in den Hauptstädten der Mitgliedsstaaten, sagt sie im Gespräch mit der Deutschen Welle. Zwar sind durch die Krisen der vergangenen Jahre Europathemen den Bürgern immer wieder vor Augen geführt worden. Doch Daniela Kietz, Politikwissenschaftlerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, sieht das Problem, "dass wir die Unterschiede zwischen den verschiedenen Parteien, das eigentliche Verhandeln in Brüssel, in den nationalen Öffentlichkeiten immer noch zu wenig wahrnehmen".

Europaabgeornete Rebecca Harms (Foto: DW)
Harms fordert mehr Engagement von den ParteienBild: DW/Z. Butyrskyi

Die Parteien müssten die ersten sein, die sich dieses Problems annähmen, sagt Harms. Es fehle an Raum, sowohl für europäische Themen als auch für europäische Persönlichkeiten. Auch für Daniela Kietz ist es Aufgabe der nationalen Parteien, europäische Politik sichtbar zu machen. Für den EU-Abgeordneten und Vizepräsidenten der Europäischen Konservativen und Reformisten, Derk Jan Eppink, ist vor allem entscheidend, dass die Bürger echte Wahlmöglichkeiten brauchen. Zu Beginn sei jeder Deutsche, jeder Franzose, jeder Holländer für Europa gewesen. Nun gebe es nicht nur verschiedene Ansichten, wie Europa zu gestalten sei, sondern sogar Parteien im Europäischen Parlament, die sich gegen Europa aussprechen würden.

Europäische Spitzenkandidaten

Ein weiteres Problem sind die fehlenden Identifikationsfiguren auf der europäischen Bühne. Dem wirken die Parteien nun entgegen, indem sie Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten aufstellen. Laut EU-Recht müssen die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Vorschlag für das Amt des Kommissionspräsidenten das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen. Nach Interpretation der meisten Europaabgeordneten müsste demnach ein Kandidat der stärksten Fraktion für das Amt vorgeschlagen werden.

Barroso und Schulz 27.06.2013 Brüssel (Foto: Reuters)
Parlamentspräsident Martin Schulz (links) könnte Kommissionspräsident José Manuel Barroso beerbenBild: Reuters

Derk Jan Eppink hingegen ist der Meinung, das Parlament habe die Änderungen zu weit interpretiert. "Es unterstellt eine Wahl, die es eigentlich nicht gibt", meint er. Dem Bürger werde vorgetäuscht, er könne direkt Einfluss auf die Wahl des Spitzenamtes der Europäischen Union nehmen. Doch es gebe auch Kandidaten, die es sich noch nicht leisten könnten, sich aufstellen zu lassen, weil sie zurzeit andere Ämter hätten. Trotzdem könnten sie später gewählt werden, solange der Europäische Rat die Ergebnisse der Europawahl berücksichtigt.

Transnationale Listen für mehr Europa?

Ein ähnliches Problem sieht Eppink bei einer möglichen Einführung von transnationalen Listen bei den Europawahlen, wie sie schon für die kommenden Wahlen im Mai im Gespräch gewesen sind. Demnach würde ein Teil der Abgeordneten in ganz Europa zur Wahl stehen. Der Liberale Andrew Duff hatte in seinem Vorschlag zwei Stimmen für jeden Bürger vorgesehen - eine für die nationalen Parteien und eine für eine transnationale Liste. Der Entwurf erlangte bislang jedoch keine Mehrheit im Parlament. Eppink hält die Idee ohnehin für einen Mythos. Es sei nicht möglich, übereuropäische Listen mit Kandidaten aufzustellen, die in ganz Europa bekannt seien und die alle Sprachen der Europäischen Union sprächen. "Wenn die Politiker in ihrem eigenen Land ihre Bevölkerung nicht überzeugen können, wie können dann Politiker aus einem anderen Land das schaffen?", kritisiert er.

Derk-Jan Eppink, Autor, Abgeordneter für die flämisch-belgische Partei Libertair (Foto: imago)
Eppink hält gesamteuropäische Listen für einen MythosBild: imago/Reiner Zensen

Kietz: Mutig und pragmatisch

Die Politikwissenschaftlerin Daniela Kietz hält eine solche Änderung dagegen für eine mutige und gleichzeitig pragmatische Idee. Mit der Umsetzung würde man "ein Stück weit wegkommen von dem Denken in nationalen Kategorien". Der Vorschlag verlange keine komplette Umkremplung des Wahlsystems, sondern führe die übereuropäischen Listen nur zusätzlich ein. Für Rebecca Harms entspricht der Vorschlag den Wünschen der Bürger, sich ein besseres Bild von den Europapolitikern und den europäischen Themen machen zu können. Es sei durchaus eine Herausforderung, doch bisher habe die EU auch mit den verschiedenen Sprachen und den kulturellen Unterschieden gut funktioniert. "Daran wird Europa nicht scheitern, weil das europäische Projekt in vielfacher Hinsicht ein Projekt ist, das von der Übersetzung lebt."