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Ex-Geheimdienstchef polarisiert CDU/CSU

29. April 2021

Hans-Georg Maaßen war schon als Präsident des Verfassungsschutzes umstritten. Manche halten den CDU-Mann für AfD-nah. Nun will der Jurist in den Bundestag. Eine verzwickte Geschichte - auch für Kanzlerkandidat Laschet.

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Hans-Georg Maaßen sitzt alleine in einem Raum mit roten Stühlen
Umstrittener Retter aus dem Westen für die CDU im Osten? Hans-Georg MaaßenBild: ari/imago images

Ein ehemaliger Geheimdienstchef, den es in die Politik zieht - was ist daran so außergewöhnlich, vielleicht sogar problematisch? Die Frage ließe sich wohl leicht mit "nichts" beantworten, wenn die Person unumstritten wäre. Aber davon kann bei Hans-Georg Maaßen keine Rede sein. Der langjährige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und Kritiker der Flüchtlingspolitik Angela Merkels verlor sein Amt 2018 nämlich unter unrühmlichen Begleitumständen.

Auslöser war seine Bewertung ausländerfeindlicher Exzesse in Chemnitz (Sachsen) nach dem Tod eines Deutsch-Kubaners. Die Ereignisse hatten international für Aufsehen und Entsetzen gesorgt.

Maaßen sagte der Boulevard-Zeitung "Bild" damals, ihm lägen "keine belastbaren Informationen" vor, dass in Chemnitz eine Hetzjagd auf Ausländer stattgefunden hätte. Zudem sprach er von möglicherweise gezielten Falschinformationen. Diese Einschätzung stand im Widerspruch zu Medien- und Augenzeugenberichten. Für die mit Angela Merkels Christdemokraten (CDU) regierenden Sozialdemokraten (SPD) war klar: Maaßen muss weg. Aber der für den Verfassungsschutz zuständige Innenminister Horst Seehofer (CSU) hielt zunächst an ihm fest.

Hetzjagden in Chemnitz?

Der Streit gefährdete sogar die Koalition. Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss: Maaßen sollte ins Innenministerium wechseln. Doch als das Manuskript seiner Abschiedsrede vor den Chefs europäischer Geheimdienste an Medien durchgestochen wurde, kam alles ganz anders. Denn der Inhalt war brisant: Seine Äußerungen zu angeblichen "Hetzjagden" in Chemnitz seien "für linksradikale Kräfte in der SPD" ein willkommener Anlass gewesen, den Bruch der Koalition zu provozieren. Damit hatte Maaßen den Bogen endgültig überspannt - Seehofer versetzte ihn in den einstweiligen Ruhestand.

Seitdem taucht der promovierte Jurist immer wieder als Gesprächspartner in rechtslastigen Medien auf und gibt seine Ansichten via Twitter zum Besten. Und nun hofft das CDU-Mitglied, im September in den Deutschen Bundestag gewählt zu werden: als Direktkandidat der CDU in Thüringen. Ob er nominiert wird, darüber wollen die Delegierten des Wahlkreises 196 an diesem Freitag entscheiden.  Und Maaßens Chancen stehen, wie zu hören ist, gut. Dabei hatte der 58-Jährige vor seiner Ablösung als Chef des Inlandsgeheimdienstes überhaupt keinen persönlichen Bezug zu der Gegend im Osten der Republik. Er stammt aus Nordrhein-Westfalen im tiefen Westen.

Maaßen könnte von der Corona-Masken-Affäre der CDU profitieren

Dass so einer den Christdemokraten im Wahlkreis Suhl, Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen und Sonneberg plötzlich hoch willkommen ist, hat zunächst einen banalen, für die CDU aber höchst unerfreulichen Grund: Der vorgesehene Direktkandidat Mark Hauptmann, der hier bei den Bundestagswahlen 2017 und 2013 gewonnen hat, stolperte über dubiose Geschäftsbeziehungen zu Aserbaidschan und die Corona-Masken-Affäre. Deshalb hat er sein Bundestagsmandat niedergelegt und ist aus der Partei ausgetreten. Maaßen soll und will nun versuchen, mit seiner dezidiert streng konservativen Ausrichtung den Wahlkreis für die Union zu retten.

Infografik Karte Bundestagswahlkreis 196 in Thüringen DE

Hauptkonkurrentin ist die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD). Die hat bei der Thüringer Landtagswahl 2019 als zweitstärkste Partei abgeschnitten und die CDU hinter sich gelassen. Eine besondere Pointe ist dabei, dass die AfD in diesem Bundesland wegen ihrer extremistischen Ausrichtung inzwischen offiziell vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Kann jetzt ausgerechnet der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Wähler von der Rechtsaußen-Partei zurück zur CDU holen? Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt verneint die Frage im DW-Gespräch. Er spricht vor einem "Versuch der Verzweiflung". 

Infografik Landtagswahl in Thüringen 2019 DE

Die Union habe gerade in Ostdeutschland unglaublich viel Vertrauen verloren. Sämtliche von ihr dort geschmiedeten Koalitionen seien "Anti-AfD-Koalitionen". Das gilt vor allem für Sachsen und Sachsen-Anhalt, wo die CDU weniger aus Überzeugung als aus der Not heraus Bündnisse mit SPD und Grünen eingegangen ist. Auf Bundesebene ist die AfD aber nur halb so stark wie im Osten. Deshalb stellt sich aus Patzelts Sicht gar nicht erst die Frage, wie es die CDU dort mit den Rechtspopulisten halte.

Für Kanzlerkandidat Laschet scheint Maaßen kein Problem zu sein

Das Wesentliche sei, ob die CDU auf die Grünen als mögliche künftige Koalitionspartnerin zugehe oder sich von ihr inhaltlich absetze. Kanzlerkandidat Armin Laschet hat die Umweltpartei kurz nach seiner Nominierung zur Hauptkonkurrentin bei der Bundestagswahl erklärt. "Und für dieses politische Spiel spielt Herr Maaßen überhaupt keine Rolle", meint Patzelt, der selbst CDU-Mitglied ist. 

Werner Patzelt über einen "Versuch der Verzweiflung"

Der Politologe rechnet nicht damit, dass die Abgrenzung von der AfD bei der Bundestagswahl für die CDU von großer Bedeutung sein wird. Anderenfalls müsste sie sich mit dem politischen Kurs Angela Merkels auseinandersetzen – also mit der eigenen Bundeskanzlerin, "die ja die AfD erst hat groß werden lassen". Im Bundestagswahlkampf sei die CDU aber auf die Unterstützung derer angewiesen, die Merkels Weg in die politische Mitte "gewollt und mitgetragen haben", führt Patzelt aus. Den rechts von der Union frei gewordenen Platz hat die erst 2013 gegründete AfD eingenommen. Armin Laschet betonte allerdings kürzlich in einem
Interview ausdrücklich, dass sich auch Maaßen daran wird halten müssen, nicht mit der AfD zu kooperieren oder zu sprechen.

Zwei Tabubrüche: erst mit der AfD, dann mit der Linken

In den ostdeutschen Bundesländern, also auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, war und ist unter CDU-Anhängern der Schwenk Richtung Mitte umstritten. Und nach Jahrzehnten kommunistischer Diktatur lassen sich die Menschen ungern von irgendeiner Zentrale die politische Richtung vorschreiben. Das bekam die Bundes-CDU im Falle Thüringens schon mehrmals zu spüren. Hier regiert mit einer kurzen Unterbrechung seit 2014 der erste und einzige Ministerpräsident der Linken: Bodo Ramelow. Als seine Koalition mit SPD und Grünen 2019 ihre Mehrheit im Parlament verlor, wählte die CDU gemeinsam mit der AfD den FDP-Mann Thomas Kemmerich zum neuen Regierungschef.

Tabubruch Thüringen: Zerstört die AfD Merkels Erbe?

Ein Tabubruch, der im Widerspruch zum Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU steht, weder mit der AfD noch mit der Linken politisch zu kooperieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel verlangte damals, Kemmerichs Wahl "rückgängig" zu machen. Eine Forderung, durch die sich Thüringens Christdemokraten an den Zentralismus zu DDR-Zeiten erinnert fühlten. Kemmerich trat schließlich selbst  zurück und der Linke Ramelow wurde zum Chef einer Minderheitsregierung gewählt – geduldet von der CDU. Was faktisch wieder ein Verstoß gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss ist. Noch ein Tabubruch also.

Dieses Intermezzo endet vielleicht am 26. September: Dann wählt nicht nur Deutschland einen neuen Bundestag; Thüringen wählt dann auch einen neuen Landtag. Am Ende dieses Tages könnte die CDU allerdings vor dem gleichen Dilemma stehen wie im Moment: sich in Thüringen erneut zwischen AfD und Linken entscheiden zu müssen, obwohl beides gegen die eigenen Regeln wäre. Spätestens dann wird auch Armin Laschet Farbe bekennen müssen - mindestens als Vorsitzender der Bundes-CDU, vielleicht aber auch als designierter Nachfolger Angela Merkels im Kanzleramt. Ob dann auch ein umstrittener früherer Verfassungsschutz-Chef als CDU-Abgeordneter im Bundestag sitzt, dürfte für Laschet eher nebensächlich sein. Aber noch ist Hans-Georg Maaßen ja nicht einmal Kandidat - geschweige denn gewählt.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte – Schwerpunkt: Deutschland