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Ex-Wirecard-Chef Braun gegen hohe Kaution wieder frei

23. Juni 2020

Im mutmaßlichen Bilanzskandal beim Finanzdienstleister Wirecard überschlagen sich die Ereignisse. Ex-Vorstandschef Braun wird verhaftet, einen Tag später gegen Kaution freigelassen. Die Aktie legt deutlich zu.

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Wirecard Markus Braun
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Schrader

Im Milliardenskandal beim Dax-Konzern Wirecard kommt der unter Verdacht stehende Ex-Vorstandschef Markus Braun nach einer Nacht im Gefängnis wieder auf freien Fuß. Gegen Zahlung von fünf Millionen Euro Kaution und wöchentliche Meldepflicht bei der Polizei hat das Amtsgericht München den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Das teilte die Staatsanwaltschaft München am Dienstag mit. Braun war am Vorabend in München festgenommen worden. Der österreichische Manager war freiwillig aus dem heimischen Wien angereist - mutmaßlich weil er erfahren hatte, dass ihn die Staatsanwaltschaft per Haftbefehl suchte.

Braun war zuvor der Ermittlungsrichterin vorgeführt worden. "Er hat im ersten Gespräch seine Mitarbeit zugesagt", sagte die Sprecherin der Ermittlungsbehörde, Anne Leiding.

Verdacht der Bilanzmanipulation

Nach bisherigen Ermittlungen werde Braun zur Last gelegt, allein oder mit weiteren Tätern die Bilanzsumme und den Umsatz von Wirecard durch vorgetäuschte Einnahmen aufgebläht zu haben, erklärte die Staatsanwaltschaft. Die Gesellschaft habe sich dadurch finanzkräftiger und für Anleger und Kunden attraktiver dargestellt.

Brauns Anwalt war für einen Kommentar zunächst nicht erreichbar, Wirecard lehnte eine Stellungnahme ab. Die Staatsanwaltschaft München verdächtigt Braun deshalb der unrichtigen Darstellung jeweils in Tateinheit mit Marktmanipulation in mehreren Fällen. In dem Bilanzskandal geht es um mutmaßliche Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro, was nach Angaben des Unternehmens etwa einem Viertel der Konzernbilanzsumme entspricht. Wirecard hatte Anfang der Woche eingeräumt, dass die Milliardensumme, die angeblich auf Treuhandkonten in Südostasien verbucht war, sehr wahrscheinlich nicht existiere.

Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München
Wirecard-Zentrale in Aschheim bei MünchenBild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Anleger bleiben (noch) entspannt

An der Börse sorgte die neue Wendung in dem Skandal nicht für neue Unruhe. Schnäppchenjäger nutzten die massiven Kursverluste der vergangenen Tage für den Wiedereinstieg - die Aktien kletterten an diesem Dienstag zeitweise um 20 Prozent auf über 17 Euro. Vor Bekanntwerden des Milliardenlochs in den Büchern des Zahlungsabwicklers vergangene Woche hatten die Papiere noch mehr als 100 Euro gekostet. 

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) warnte vor einem Imageverlust des Wirtschaftsstandorts Deutschland und forderte eine rasche Aufklärung. "Wirecard ist verpflichtet, aufzuklären und etwaige Missstände abzustellen", sagte Altmaier in einem Interview mit dem Internetdienst "t-online.de". Es müsse ermittelt werden, wie sich Milliardenbeträge offenbar in Luft auflösen konnten. "Und es muss herausgefunden werden, ob die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen eingehalten wurden – oder ob jemand dafür auch juristisch zur Rechenschaft gezogen werden muss."

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte der Agentur Reuters, der Fall Wirecard sei "in höchstem Maße besorgniserregend". Nach der Strafanzeige durch die Aufsichtsbehörde BaFin gegen vier Vorstandsmitglieder sei die Staatsanwaltschaft gefragt, mögliche Manipulationen durch das Unternehmen rückhaltlos aufzuklären. "Kritische Fragen stellen sich auch der Aufsicht über das Unternehmen, insbesondere mit Blick auf die Rechnungslegung und die Bilanzkontrolle", sagte Scholz. "Hier scheinen Wirtschaftsprüfer wie Aufsichtsbehörden nicht effektiv gewesen zu sein."  

Finanzplatz Asien im Zentrum des Geschehens

Im Zentrum des Skandals stehen der ehemalige Wirecard-Finanzchef in Südostasien und ein ehemaliger Treuhänder, der das mutmaßlich zum Großteil gar nicht existierende Geschäft mit Drittfirmen betreute. Die Ermittler gehen nun jedoch davon aus, dass es Mitwisser beziehungsweise Mittäter in der deutschen Unternehmenszentrale gab. Untersuchungshaft kann verhängt werden, wenn die Justiz von Flucht- oder Verdunkelungsgefahr ausgeht.

Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt bereits seit Wochen gegen Braun, allerdings ursprünglich lediglich wegen des Verdachts, Anleger in zwei Ad-hoc-Mitteilungen falsch informiert zu haben. Braun war nach Bekanntwerden des Skandals zurückgetreten. Seine ehemalige rechte Hand Jan Marsalek, der für das Tagesgeschäfte verantwortlich war, wurde vom Aufsichtsrat gefeuert.

Wirecard braucht Lizenz für Geschäfte in Singapur

Wirecard bemühte sich unterdessen in Singapur für eine Lizenz zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs. Der Zahlungsdienstleister habe einen entsprechenden Antrag bei der Aufsichtsbehörde MAS gestellt, erklärte die Zentralbank des Landes. Es müsse sichergestellt werden, dass Kundengelder in Singapur blieben. Wirecard ist dort für die Abwicklung von Zahlungen für Händler zuständig und unterstützt Unternehmen bei der Ausgabe von Prepaid-Karten. Bis ein neues Gesetz, das Grundlage für die nun beantragte Lizenz sei, in Kraft trete, arbeite Wirecard mit einer Ausnahmeregelung, erklärte die Zentralbank. In Singapur sitzt Wirecards Zentrale für die Asien-Pazifik-Region, in der der Konzern nach veröffentlichten Zahlen für 2018 fast 45 Prozent seiner Erlöse erzielte. Nur das Europageschäft war größer.

ww/hb (dpa, afp, rtr)