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Therapie statt Exorzismus

Günther Birkenstock10. Juli 2014

Weltweit gibt es nach wie vor Teufelsaustreiber. Sie handeln mit Wissen der Katholischen Kirche. In Deutschland wird vor allem therapeutische Hilfe angeboten.

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Symbolbild Exorzismus
Bild: picture alliance/United Archives

Die Nachricht aus Rom überraschte: Der Vatikan erkannte Anfang Juli die in etwa 30 Ländern vertretene internationale Vereinigung der Exorzisten (AIE) offiziell als private rechtsfähige Gesellschaft an. Die rund 250 Mitglieder zählende Gruppe erhielt so den kirchenrechtlichen Status eines "privaten Vereins von Gläubigen". Dass der Vatikan die Arbeit von Exorzisten würdigt, hält Axel Seegers, Theologe bei der Beratungsstelle für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Erzdiözese München, für durchaus nachvollziehbar. "Prinzipiell ist das weltweit in der Katholischen Kirche kein umstrittenes Thema. Ob in Italien oder Spanien, in Südamerika oder Asien: Überall gibt es ganz selbstverständlich Priester, die Exorzismus durchführen." Die Katholische Kirche habe weltweit mehr als eine Milliarde Mitglieder in sehr unterschiedlichen Kulturräumen. Was für uns ausgeschlossen sei, erklärt Seegers, werde in anderen Ländern als vollkommen normal betrachtet.

Der Fall Anneliese Michel

In Deutschland, so der Theologe im Gespräch mit der Deutschen Welle, gebe es seit einem spektakulären Vorfall in den 1970er Jahren praktisch keinen offiziellen Exorzismus mehr. Der "Vorfall" bezieht sich auf die tragische Geschichte der Studentin Anneliese Michel aus dem fränkischen Klingenberg, die am 1. Juli 1976 nach mehreren Teufelsaustreibungen an den Folgen extremer Unterernährung starb. Die 23-jährige Frau litt unter Epilepsie, doch sie und ihre tief religiösen Eltern glaubten an eine Besessenheit durch Dämonen. Zwei Priester führten über Monate mehr als 60 Exorzismus-Rituale durch. Am Tag ihres Todes wog Anneliese Michel nur noch 31 Kilo. Die Eltern und die beiden Geistlichen wurden später wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen verurteilt.

Anneliese Michel Grab in Klingenberg
Das Grab von Anneliese Michel, die 1976 nach zahlreichen Exorzismen starb.Bild: picture-alliance/dpa

Der Fall schlug hohe Wellen und führte unter anderem zu der kirchlichen Entscheidung, dass Priester nur noch mit offizieller Genehmigung des zuständigen Bischofs exorzistische Rituale vornehmen dürfen. Spätestens seit einer Überarbeitung des sogenannten "Rituale Romanum" im Jahr 1999, in dem der liturgische Ablauf eines Exorzismus festgelegt ist, ist vorgeschrieben, dass Priester bei der Begutachtung auch Mediziner und Psychiater hinzuziehen sollen. Beim Kampf gegen das Böse unterscheidet die Katholische Kirche zwischen dem "Großen Exorzismus" und dem "Kleinen Exorzismus", der als Segensspruch unter anderem auch im Vater-Unser-Gebet vorkommt: "und erlöse uns von dem Bösen". Allein der große ist das Ritual, das wie ein Gottesdienst aufgebaut ist und aus Gebeten, Textlesungen und Gottes-Anrufungen besteht. Von solchen offiziellen und genehmigten Exorzismen ist in Deutschland seit Jahrzehnten nichts mehr bekannt. Nur eine unerlaubte Teufelsaustreibung hatte in Paderborn 2007 noch einmal für Schlagzeilen gesorgt.

Viele Menschen wünschen Teufelsaustreibungen

Nach der Erfahrung von Axel Seegers gibt es jedoch einen unüberschaubaren Graubereich inoffizieller Exorzismen, die teilweise auch von Priestern durchgeführt würden. Nachfrage sei vorhanden. Er selbst hat pro Jahr rund 15 Anfragen nach Teufelsaustreibungen von Menschen, die glaubten, besessen zu sein. Der Berater und Seelsorger reagiert dann, wie er sagt, vor allem mit sozialtherapeutischen Angeboten, zu denen auch Gebete gehören: "Ich gehe nicht davon aus, dass Menschen dämonisch belastet sind, sondern ich verstehe es, wenn Menschen zu mir kommen und zu mir sagen, sie fühlen sich dämonisch belastet. Das ist ihre Sprache, die ich so ernst nehme. Was ich daraus mache, ist etwas anderes."

Axel Seegers, Theologe und Berater in Weltanschauungsfragen in München
Theologe Seegers macht vor allem sozialtherapeutische AngeboteBild: Erzbischöfliches Ordinariat München

Auch der Ordenspriester, Theologe und Psychotherapeut Jörg Müller aus Freising berichtet von einem großen Bedürfnis vieler Patienten, von dämonischer Besessenheit und bösen Flüchen geheilt zu werden. 200 derartige Anfragen würden jedes Jahr an ihn gerichtet. "Die Mehrheit ist traumatisiert aus der Kindheit aufgrund von Missbrauch sexueller, physischer oder emotionaler Art. Das ist meistens verdrängt und kann dann später Symptome erzeugen, die man irgendeiner Besessenheit zuordnet. Heute wissen wir aber, dass das eine Form der Abspaltung von Empfindungen und Gefühlen ist, um sich zu schützen", erklärt Müller. Die Abspaltung führe später zu den bekannten Symptomen wie Stimmen hören, Fratzen sehen oder sich von etwas Fremdem berührt fühlen. In den meisten Fällen könne er die Menschen beruhigen. Viele seien dankbar für die Empfehlung einer Trauma-Therapie. Andere bestünden auf der Diagnose "Besessenheit".

Die Vorstellung vom Bösen ist schädlich

Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater hält exorzistische Rituale für reine Suggestion. Durch sie würde die Vorstellung von Besessenheit erst geschaffen und das Leid der Betroffenen unter Umständen noch verstärkt. "Manifeste seelische Erkrankungen können nicht durch Exorzismus gelöst oder geheilt werden. Es kann aber zu Verschlimmerungen kommen, wenn medizinische Hilfe unterbleibt und wenn die Betroffenen erleben, dass die religiöse Intervention nichts genützt hat." Dann würden sich die Menschen unter Umständen vorwerfen, dass sie besonders vom Bösen befallen seien und die Schuld bei sich suchen.

Dr. Christa Roth-Sackenheim
Psychiaterin Roth-Sackenheim: Exorzismus schafft die Vorstellung von BesessenheitBild: BVDP

Religiösität, so die Psychiaterin, könne durchaus eine positive soziale Funktion haben, zum Beispiel durch Gebote, die verbieten zu stehlen oder zu töten. Gebete könnten trösten. Auch dass Menschen durch religiöse Rituale wie Kirchgang und meditative Musik über sich und ihr Leben nachdächten, sei gut. Dass aber der Vatikan mit seiner Anerkennung einer Exorzistenvereinigung die Existenz des Bösen unterstreiche, lehnt sie vollkommen ab. Eine solche Vorstellung stamme aus einer Zeit, in der der Katholizismus noch eine Deutungshoheit über Welt beansprucht habe. "Da muss man als Psychiater sagen, da kann Religion schaden. Die Vorstellung, es gibt das Böse und das kann man in so einer Art Notoperation aus dem Körper herausoperieren, das halte ich für Unsinn."