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EZB-Politik in der Kritik

Andreas Becker3. Juli 2014

Mit Niedrigzinsen und Milliardenkrediten versucht die Europäische Zentralbank, die Wirtschaft der Eurozone zu beleben. Einigen reicht das nicht, anderen geht das zu weit.

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Euro-Symbol vor der Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main (Foto: Ralph Orlowski/Getty Images)
Bild: Getty Images

Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), hat den Regierungen der Eurozone mehr Zeit gekauft. Anfang Juni senkte die EZB den Leitzins auf das neue Rekordtief von 0,15 Prozent, verhängte Strafzinsen für Banken, die ihr Geld lieber sicher bei der EZB parken wollen, als es zu verleihen, und kündigte an, mehr als 500 Milliarden Euro in die Märkte zu spülen, um die Kreditvergabe in den Krisenländern zu stärken.

Dem französischen Ministerpräsidenten reicht das noch nicht. "Das ist zwar ein deutliches Signal, aber ich wünsche mir eine Zentralbank, die noch weiter gehen kann - auch durch den Kauf von Vermögenswerten an den Märkten", sagte Manuel Valls vor der Zinssitzung der EZB im Juli der französischen Wirtschaftszeitung "Les Echos". "Geldpolitik kann nicht allein über Zinsen laufen."

Schmerzmittel für Krisenländer

Ganz anders sieht das Hans-Werner Sinn, Ökonom und Chef des Münchner ifo-Instituts, einer der größten Einrichtungen für Wirtschaftsforschung in Deutschland. Die EZB verteile gerade "Schmerzmittel an die Länder Südeuropas, die ihre Wettbewerbsfähigkeit in dem inflationären Kreditboom verloren haben, den der Euro brachte", so Sinn gegenüber DW. "Aber das ist natürlich nicht die strukturelle Reform auf dem Arbeitsmarkt, die diese Länder brauchen, um wieder wettbewerbsfähig zu werden."

Auch Jaime Caruana, Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die als Bank der Zentralbanken gilt, warnt die Eurostaaten davor, ihren Reformkurs zu verlassen. "Wenn die Geldpolitik für lange Zeit sehr locker bleibt, vermindert sich dadurch der Reformdruck", so Caruana gegenüber dem "Handelsblatt". Die Politik dürfe den Kurs der EZB nicht zum Anlass nehmen, sich nun zurückzulehnen.

Es sind vor allem Frankreich und Italien, die sich mit den Reformen mehr Zeit lassen wollen. Wachstum und Beschäftigung müssten Priorität haben, sagte Frankreichs Präsident Francois Hollande. Und Italiens Regierungschef Matteo Renzi, dessen Land Anfang Juli turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, fordert ebenfalls größere Anstrengungen zur Belebung der Konjunktur.

Italiens Premier Matteo Renzi im Europoäischen Parlament 02.07.2014 (Foto: REUTERS/Vincent Kessler)
Matteo Renzi bei seiner Rede im Europäischen ParlamentBild: Reuters

Die Staats- und Regierungschefs hätten einen Pakt unterzeichnet, der "Stabilitäts- und Wachstumspakt" heiße. "Wir brauchen beides, Stabilität und Wachstum", so Renzi am Mittwoch (02.07.2014) in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg.

Konjunktur bleibt schwach

Einen Tag vor Renzis Rede hatte die europäische Statistikbehörde Eurostat neue Konjunkturzahlen für die Eurozone vorgelegt. In den ersten drei Monaten des Jahres ist die Wirtschaft in Frankreich im Vergleich zum Vorquartal nicht gewachsen, in Italien sogar um 0,1 Prozent geschrumpft. Für den gesamten Euroraum gab es in diesem Zeitraum ein mageres Plus von 0,2 Prozent. Dagegen präsentierten sich Deutschland und Luxemburg mit einem Plus von 0,8 Prozent sehr robust.

Vor diesem Hintergrund verleite die EZB-Politik des billigen Geldes viele Länder dazu, ihre Reformen weiter aufzuschieben, glaubt der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn. Leidtragende seien Sparer und Kleinanleger. Die EZB "schadet den Sparern, weil sie nicht mehr hinreichende Zinsen erhalten", so Sinn. "Die haben dann später bei der Rente Probleme."

Prof. Hans-Werner Sinn, Leiter des ifo Instituts (Foto: ifo Institut)
Ifo-Präsident Hans-Werner SinnBild: ifo Institut

Jetzt schon große Probleme haben die Millionen von Menschen, die wegen der Schuldenkrise, der anschließenden Sparpolitik und der eingebrochenen Konjunktur ihre Arbeitsplätze verloren haben. Laut Eurostat waren im Euroraum zuletzt rund 19 Millionen Menschen ohne Arbeit. Im Durchschnitt lag die Arbeitslosenquote im Mai bei 11,6 Prozent, in Griechenland und Spanien noch immer bei über 25 Prozent.

Ursachenforschung

Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF), der mit der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank den Reformkurs der Krisenländer überwacht, sieht den europäischen Sparkurs inzwischen kritisch, weil er der Konjunktur schade. Auch die gängige Analyse, die Schuldenkrise in Europa sei vor allem ein Problem der Wettbewerbsfähigkeit, ist unter Ökonomen umstritten.

"Nicht die Unterschiede der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Eurozone waren das Problem, und mit Ausnahme Griechenlands auch nicht zu hohe Ausgaben der Regierungen", so der Richard Portes, Professor an der London Business School und Präsident des Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung in London. Ursache für die Schuldenkrise seien vielmehr die Kapitalflüsse gewesen, die durch die Einführung des Euro und die Deregulierung der Finanzmärkte entfesselt worden seien, schrieb Portes im vergangenen Jahr.

Hans-Werner Sinn sieht das Grundproblem dagegen in der Wettbewerbsfähigkeit. Die müsse zuerst wieder hergestellt werden, durch Spar- und Reformprogramme. Ginge es nach ihm, würde die EZB in der Zwischenzeit auch keine weiteren "Schmerzmittel" an die Krisenstaaten verteilen.