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Für oder gegen den Gaza-Rückzug

Bettina Marx, Tel Aviv21. Oktober 2004

Ariel Scharon hat seine Absicht bekräftigt, den Gaza-Abzugsplan dem Parlament zur Abstimmung vorzulegen. Ein Referendum über den Abzug lehnt er aber weiterhin strikt ab. Die Siedler wollen nicht weichen.

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Eine der Siedlungen im Gaza-StreifenBild: AP

Wenn man in Israel dieser Tage das Radio oder den Fernseher anschaltet, dann hört man immer häufiger einen Begriff: "mischal'am". Wörtlich übersetzt heißt das: Volksbefragung. Eine Volksbefragung fordern vor allem die Gegner des Rückzugsplans von Ministerpräsident Ariel Scharon, der den Gaza-Streifen und vier Siedlungen im nördlichen Westjordanland räumen will. Für die etwa 7500 jüdischen Siedler im Gaza-Streifen bedeutet das, dass sie ihre mitten im dicht besiedelten palästinensischen Gebiet liegenden Dörfer und Farmen evakuieren und in den Staat Israel umziehen müssen. Die Regierung hat ihnen dafür eine großzügige Entschädigung zugesagt.

Legitimation durch das Volk

Doch die Mehrheit der Siedler will nicht weichen. Sie hat entschiedenen Widerstand angekündigt und sogar mit Bürgerkrieg und Befehlsverweigerung gedroht. Nur eine Volksbefragung könne einen Gewaltausbruch verhindern. Denn nur die breite Zustimmung des Volkes verleihe dem geplanten Rückzug die notwendige Legitimation. Scharon jedoch weist jede Forderung nach einem Referendum entschieden zurück. "Es gibt keinen Zusammenhang zwischen einer Volksbefragung und einem drohenden Bürgerkrieg", so Scharon. "Ich glaube, das Schlimmste wäre, den Gewaltdrohungen nachzugeben und die Befehlsverweigerung zu akzeptieren." Doch der Druck auf den Ministerpräsidenten nimmt zu.

Das Parlament soll entscheiden

Nicht nur die ausgewiesenen Gegner des Rückzugs, auch Parteifreunde, die Scharons Rückzugsplan im Kabinett ihren Segen gegeben haben, drängen den Ministerpräsidenten zu einem Referendum. Erziehungsministerin Limor Livnat schlug vor, den Plan in der Knesset, im israelischen Parlament, zur Abstimmung zu stellen und ihn gleichzeitig an ein zustimmendes Votum der Bevölkerung zu binden. Scharon bekräftigte seine Absicht, den Gaza-Abzugsplan am 25. Oktober dem Parlament zur Abstimmung vorlegen - trotz einigen Widerstands in seiner eigenen Likud-Partei.

Der Soziologe und Politikwissenschaftler Yaron Ezrachi warnte im israelischen Rundfunk ebenfalls vor einer Volksabstimmung. "Ein Referendum ist die typische Technik von autoritären Regimes, in denen eine organisierte Minderheit beansprucht, für das ganze Volk zu sprechen", erklärt er. "Man stelle sich vor, wir machen eine Volksbefragung und zwei Tage vorher gibt es einen Anschlag. Dann überlassen wir den Terroristen das Veto-Recht." Außerdem sei völlig unklar, was geschehen solle, falls die Knesset dem Rückzug zustimmte, aber das Volk sich dagegen ausspräche. "Ein Teil des Souveräns, die Knesset, stellt sich gegen einen anderen Teil des Souveräns, das Volk?", fragt Ezrachi. "Das kann zu schlimmer Gewalt auf den Straßen führen."

Hoch motivierte und gut organisierte Siedler

Obwohl alle Meinungsumfragen in der israelischen Bevölkerung derzeit eine große Mehrheit für den Rückzug aus dem Gaza-Streifen ausmachen, ist keinesfalls sicher, dass ein Referendum eben diese Meinung spiegeln würde. Denn die Siedler sind hoch motiviert und gut organisiert. Viele Beobachter trauen ihnen durchaus zu, das Blatt in ihrem Sinne zu wenden und eine Mehrheit gegen den Rückzug zu mobilisieren. Und selbst wenn ihnen das nicht gelingen sollte, eines haben sie bereits deutlich gemacht: Sie werden sich von ihrem Weg nicht abbringen lassen. Siedlerführer Eran Sternberg bleibt hart: "Keine Mehrheit kann entscheiden, dass ich mein Haus verlassen muss."