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Fahrradhölle Moskau

Anne Spohr4. Dezember 2002

Wer auf Moskaus Straßen Fahrrad fährt, hat entweder ein Rad ab oder liebt die Gefahr. Entsprechend wenige "Radler" sind auch unterwegs. Die einzige Zuflucht bieten autofreie Zonen oder Stadtparks.

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"Du bezahlst meine Windschutzscheibe!", waren die ersten Worte, die der wütende Lada-Fahrer einem gestürzten Radfahrer zubrüllte, den er gerade im Suff angefahren hatte. Solche Szenen sind zwar selbst in Moskau ein Extremfall, aber es stimmt schon: In der russischen Hauptstadt herrschen raue Sitten.

Das Straßenbild wird von Autolawinen und eingeschüchterten Fußgängern geprägt. Angesichts der nicht gerade feinen russischen Art zu fahren ist das nicht weiter verwunderlich. Fußgänger fühlen sich eher als Zielobjekt denn als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer. Sie müssen sich fragen, wofür es überhaupt noch Zebrastreifen gibt. Wagt einer sich mutigerweise im Schutze der grünen Fußgängerampel bis auf die Mitte der Straße, dauert es oft lange, bis die andere Hälfte der Fahrbahn überquert werden kann. Solche Aktionen können lebensgefährlich sein.

Makrelen im Haifischbecken

Und auch den Radfahrern geht es ähnlich. Sie haben in Moskau so schlechte Karten wie eine Makrele im Haifischbecken. Seit dem Übergang zur Marktwirtschaft ist die Anzahl der Autos in Moskau rasant auf etwa zwei Millionen angestiegen. Das tagtägliche Verkehrschaos ist somit garantiert. Von Sicherheitsabstand, Rücksichtnahme oder gar "Vorfahrt gewähren" scheint hier noch niemand etwas gehört zu haben. "Die Autofahrer sind sehr grob. Oft überholen sie dich extra mit einem Abstand von nur wenigen Millimetern, um dich einzuschüchtern", meint der Versicherungsangestellte und Hobbyradler Sergej Lonin. "Es ist ein Albtraum".

Damit hat Lonin nicht unrecht: Radfahren hat in Russland einfach nicht den sportlichen Status wie zum Beispiel in Deutschland; eine entsprechende Infrastruktur fehlt. Radwege sucht man in der russischen Hauptstadt vergeblich. Dafür gibt es aber breite Fußwege, die von den Pedaltretern in stiller Übereinkunft mit den Passanten mitbenutzt werden. Fußgänger und Radfahrer bilden sozusagen eine Notgemeinschaft gegen die rabiaten Autofahrer.

Bis heute kein einziger Radweg

Doch auch auf den Fußwegen sind sie nicht völlig sicher: Es lauern nicht nur Hindernisse wie Schlaglöcher oder Obststände. Zur Hauptverkehrszeit ergreifen Autofahrer auch schon einmal gerne Besitz von Fußgängerwegen, Straßenbahnschienen und - wenn möglich – der Gegenfahrbahn, um irgendwie dem Stau zu entkommen. Die Folge: In Russlands zweitgrößter Metropole Sankt Petersburg ließ Gouverneur Wladimir Jakowlew das Radfahren entlang der Flaniermeile Newskij Prospekt und einiger anderer Hauptstraßen aus Sicherheitsgründen unlängst gleich ganz verbieten.

Ihren größten Sieg konnten Moskaus Radfahrer vor einigen Jahren verbuchen. Zu einer Demonstration an der Basiliuskathedrale kamen 2500 Menschen und forderten von den Stadtvätern eine fahrradfreundlichere Verkehrspolitik. Doch das ist schon lange her. Letztendlich fühlte sich aber niemand zuständig. Aus diesem Grund gibt es in der russischen Zehn-Millionen-Metropole bis heute keinen einzigen Radweg.