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Gesellschaft

"Eine Bedrohung für die Demokratie"

Uta Steinwehr
16. Januar 2017

Was macht Fake News eigentlich so bedeutend? Warum glauben Menschen das überhaupt? Bringt es etwas, sie zu korrigieren? Fragen an den Münchner Kommunikationswissenschaftler Professor Carsten Reinemann.

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Professor Carsten Reinemann (Foto: C. Reinemann)
Bild: C. Reinemann

DW: Solange es Medien gibt, gibt es bewusste Falschmeldungen. Was macht Fake News anders?

Carsten Reinemann: Früher hatten Medien eine relativ starke Macht darüber, was eigentlich in die Öffentlichkeit gerät. Heute kann jeder Internetnutzer Fake News in einen halb-öffentlichen oder öffentlichen Raum einspeisen. Das geht sehr viel leichter und subtiler. Der zweite Unterschied ist, dass jeder, der sich online und in sozialen Netzwerken bewegt, ein Rädchen im Prozess der Verbreitung von Nachrichten ist. Informationen können sich so ganz schnell außerhalb der Massenmedien verbreiten.

Es ist ein Phänomen, das 2016 ziemlich dominant geworden ist. Warum 2016?

Es gab Ereignisse, die wirklich sehr offensichtlich gemacht haben, dass mit der Wahrheit relativ frei umgegangen worden ist. Das war in der Brexit-Kampagne so, das war im Wahlkampf von Donald Trump so. Trump hatte trotz vollkommen offensichtlicher Gegenbelege Behauptungen aufgestellt, die bei nüchterner Betrachtung nicht haltbar waren. Auf der anderen Seite haben im Netz große Mengen an Gerüchten und verschwörungstheoretischen Zirkeln Platz und werden sichtbarer. Dadurch entstand im vergangen Jahr der Eindruck, dass es jetzt besonders schlimm ist.

Was können Fake News erreichen?

Sowohl wir als Bürger als auch die politischen Entscheidungsträger sind in einer Demokratie darauf angewiesen, dass wir uns zu einem gewissen Grad einig sind, was die Realität dort draußen eigentlich ist. Fake News können diesen Konsens in der Wahrnehmung dieser Realität brüchig machen. Manche leben in einer ganz anderen Realität als andere, weil sie ganz andere Dinge für wahr halten. Das kann zu einem Problem für eine demokratische Entscheidungsfindung werden.

Sie sind also letztlich eine Bedrohung für die Demokratie?

Ja, auf jeden Fall. Wenn die eine Gruppe überzeugt ist, dass die Kriminalität durch die Flüchtlinge massiv ansteigt und die andere überzeugt ist, dass das nicht der Fall ist, dann scheitert eine politische Entscheidungsfindung schon daran, dass man sich nicht einigen kann, was eigentlich Sache ist. Das ist ein massives Problem für eine Demokratie.

Was ist Ihrer Meinung nach sinnvoll, um gegen Fake News vorzugehen?

Es gibt in Österreich eine mittlerweile relativ bekannte Plattform, die sich der Entzauberung von Fake-News widmet. So etwas sehe ich in Deutschland noch nicht. Mit einer unabhängigen Fact-Checking-Institution könnte man vielleicht auch vermeiden, dass medienskeptische Menschen argumentieren: "Das sind doch wieder nur die Lügenmedien." Hier sind insbesondere auch die Politiker gefragt, die eine ideologische Nähe zu denen haben, die medienskeptisch sind. Sie sollten den Glauben an Falschnachrichten und die Stimmungen, die durch Fake News erzeugt werden, mit überzogener Kritik an den Medien nicht noch befördern. 

Screenshot der Facebookseite "Zuerst denken - dann klicken" (Foto: Facebook/zddk.eu)
Der österreichische Verein Mimikama klärt auf seiner Facebook-Seite "Zuerst denken - dann klicken" unter anderem über Falschmeldungen aufBild: Facebook/zddk.eu

Sie haben auch Psychologie studiert. Warum glauben Menschen einer Aussage, wenn sie ganz offensichtlich falsch ist?

Wir Menschen neigen grundsätzlich dazu, Dinge, die unserer eigenen Meinung entsprechen, für glaubwürdiger zu halten. Wir halten auch Menschen, die genau solche Dinge erzählen, für glaubwürdiger. Es spielt gar nicht so eine große Rolle, ob das sachlich richtig ist. Wenn mir dann gezeigt wird, dass falsch ist, was ich glaube, kann das in manchen Fällen meine Meinung ändern. Aber in vielen Fällen verstärkt das meine eigene Meinung noch. Das ist auf den ersten Blick ein kurioses Phänomen, hat aber damit zu tun, dass ich Informationen nicht neutral verarbeite, sondern vor dem Hintergrund meiner persönlichen Meinung.

Das ist also eine Trotzreaktion?

Ja, die dann unterschiedliche Folgen haben kann. Ich kann die Glaubwürdigkeit desjenigen anzweifeln, der mir sagt, ich liege falsch. Wenn es um Statistiken geht, halte ich die Quelle für weniger glaubwürdig. Das ist der sogenannte Backfire-Effekt. Die Korrektur von Falschinformationen erreicht unter Umständen das Gegenteil von dem, was sie eigentlich will.

Bringt die Korrektur von Falschmeldungen dann überhaupt etwas, wenn es den Backfire-Effekt gibt?

Der trifft nicht auf alle Menschen zu. Es gibt eine Gruppe, die weiß sowieso schon was richtig ist. Dann gibt es eine Gruppe, die falsche Vorstellungen hat und sich davon nicht abbringen lässt. Aber dazwischen gibt es eine Gruppe, die nicht so gut Bescheid weiß und durchaus empfänglich für solche Fakten ist. Um die muss es gehen. Es macht keinen Sinn, immer nur auf den wirklich harten Kern zu gucken, die sich auf keinen Fall aufgrund ihrer starken ideologischen Positionierung von irgendeinem Gegenargument überzeugen lassen.

In den USA wird diskutiert, welchen Einfluss Fake News auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl hatten. Im September findet in Deutschland die Bundestagswahl statt. Können Falschnachrichten die Wahl beeinflussen?

Falschnachrichten können natürlich immer einen Einfluss ausüben. Wie entscheidend der ist, kann man jetzt nicht abschätzen. Aber sowohl Mediennutzer als auch die Medien selbst und die Politik müssen ein sehr waches Auge habe. Jeder kann sich im Internet aus den abstrusesten Quellen sein Weltbild zusammenzimmern. Wir haben in Deutschland immer noch den Vorteil einer breiten und sehr vielfältigen Medienlandschaft, die versuchen kann, dagegen zu halten. Zur Korrektur von Falschinformationen gibt es keine Alternative. Damit wird man nicht völlig verhindern können, dass Falschmeldungen auch für bare Münze genommen werden. Aber ich bin verhalten optimistisch, dass uns das gelingen wird.

Carsten Reinemann ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt politischer Kommunikation an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er forscht zurzeit zu populistischer Kommunikation und darüber, wie Jugendliche Extremismus im Onlinebereich wahrnehmen. Vor dem Hintergrund des "postfaktischen Zeitalters" entsteht gerade ein größeres Forschungsprojekt.

Das Interview führte Uta Steinwehr.