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"Die Leute stehen noch unter Schock"

Friedel Taube13. Oktober 2013

Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dokumentiert ein Massaker syrischer Rebellen an der Zivilbevölkerung im Norden des Landes. Im DW-Interview schildert Autorin Lama Fakih ihre Eindrücke.

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Lama Fakih, Human Rights Watch-Expertin für den Libanon und Syrien; copyright : privat
Bild: privat

Deutsche Welle: Was genau ist nach Ihrem Wissenstand am 4. August in der Gegend um Latakia passiert?

Lama Fakih: In unserem jüngsten Human Rights Watch Report mit dem Titel "Man sieht noch immer ihr Blut" haben wir dokumentiert, dass am ersten Tag einer Offensive der Opposition Rebellen mindestens 190 Zivilisten getötet haben. Mehr als 200 Zivilisten sind zudem als Geiseln genommen worden.

Sie waren vor Ort und haben mit Überlebenden des Massakers gesprochen. In welcher körperlichen und seelischen Verfassung sind diese Menschen?

Ich hatte Anfang September die Möglichkeit, die betreffenden Dörfer zu besuchen. Ich habe auch einige getroffen, die noch immer dort wohnen. Jeder, mit dem ich gesprochen habe, hat Familienmitglieder verloren. Jeder, mit dem ich gesprochen habe, hat Wohnungsprobleme - viele Häuser haben die Kämpfer absichtlich zerstört. Die Leute stehen noch immer unter Schock. Medizinische Hilfe bekommen sie derzeit im staatlichen Krankenhaus in Latakia.

Wieso sind Sie so sicher, dass Rebellen das Massaker verübt haben? Gibt es dafür Beweise?

Ja, unser Beweismaterial spricht dafür, dass tatsächlich Oppositionstruppen diese Verbrechen begangen haben. Das Material umfasst zum einen Äußerungen von Überlebenden. Wir haben aber auch Statements, die Oppositionelle, die bei dem Massaker dabei waren, selbst im Internet gepostet haben. So wissen wir durch die Oppositionsgruppen selber, dass sie zu der Zeit in dieser Gegend waren. Einige haben sich auch gegenseitig bei den Kriegsverbrechen gefilmt und die Videos veröffentlicht.

Was waren die Motive für diese Verbrechen?

Die Angriffe auf die Dörfer scheinen einen symbolischen und einen militärstrategischen Zweck gehabt zu haben. Über die tatsächlichen Motive können wir zwar nur spekulieren. Aufgrund der Äußerungen der Kämpfer gehen wir aber davon aus, dass sie mit diesen Angriffen auf die alawitischen Dörfer ganz bewusst das Kernland der Assad-Unterstützer treffen wollten. Assads Heimatstadt Kardaha ist nicht weit von den getroffenen Dörfern entfernt. Die Rebellen haben in vielen Videos in sozialen Netzwerken angekündigt, dass sie weiter vorrücken wollen, und zwar bis nach Kardaha oder sogar bis nach Latakia, was nach wie vor eine Hochburg der Regierungstreuen ist.

Militärisch gesehen ging es ihnen darum, eine Militärbasis in einem der Dörfer zu treffen, in Baruda nämlich. Von hier aus hat die Regierung die Oppositionellen immer wieder angegriffen.

Was fordern Sie als Konsequenz aus dem Massaker?

Wir fordern weiterhin ein gemeinsames internationales Vorgehen durch den UN-Sicherheitsrat. Außerdem fordern wir ein Waffenembargo gegen die fünf Oppositionsgruppen, die ganz offensichtlich für die Massaker bei Latakia verantwortlich waren. [Es handelte sich hierbei um die radikal-islamistischen Gruppen Ahrar al-Sham, Islamic State of Iraq and Sham, Jabhat al-Nusra, Jaish al-Muhajireen wal-Ansar sowie Suquor al-Izz.]

Wir fordern außerdem den Sicherheitsrat auf, die Angelegenheit Syriens endlich an den Internationalen Strafgerichtshof weiterzuleiten. Das würde dem Strafgerichtshof ermöglichen, Untersuchungen anzustellen - und zwar nicht nur zu Verbechen von Oppositionellengruppen, sondern auf der anderen Seite auch von Regierungstruppen und deren Unterstützern.

Es muss einfach mehr dafür getan werden, jene Oppositionsgruppen zu isolieren, die Kriegsverbrechen sowie Verbechen gegen die Menschlichkeit begehen. Wir wenden uns auch an die Golfstaaten und bitten sie um Restriktionen beim Geldtransfer, denn wir haben festgestellt, dass aus diesen Ländern immer wieder Geld an die besagten Gruppen fließt. Letztendlich gehen unsere Forderungen auch an die türkische Regierung. Sie muss ihre Grenzkontrollen ausweiten, so dass diejenigen, die diese Verbrechen begangen haben, und die, die sich ihnen anschließen, gar nicht mehr ins Land gelangen.

Lama Fakih arbeitet bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und betreut von Beirut aus die Arbeit im Libanon und in Syrien. Sie ist Autorin des Berichts "Man sieht noch immer ihr Blut", in dem Human Rights Watch das Massaker vom 4. August 2013 in Nordsyrien dokumentiert hat. Der Bericht erschien am 11. Oktober 2013.

Das Gespräch führte Friedel Taube.