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PolitikTürkei

Faktencheck: Erdogan zeigt Fake Video von Kilicdaroglu

Thomas Sparrow | Pelin Ünker
23. Mai 2023

Kurz vor der Schicksalswahl in der Türkei hat Präsident Erdogan ein Video gezeigt, das Kilicdaroglu mit der militanten PKK in Verbindung bringt. Doch das Material ist manipuliert, wie scheinbar auch Erdogan selbst weiß.

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Bildkombo | Recep Tayyip Erdogan und Kemal Kilicdaroglu
Kontrahenten: Präsident Recep Tayyip Erdogan (l.) und seine Herausforderer Kemal KilicdarogluBild: Murat Kula/Sercan Kucuksahin/AA/picture alliance

Nur wenige Tage vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei, die von vielen als die weltweit wichtigste Wahl in diesem Jahr gesehen werden, sorgt ein Video für Kontroversen.

Präsident Recep Tayyip Erdogan zeigte es vergangenen Sonntag bei einer Wahlveranstaltung. Zunächst ist Erdogan zu hören, wie er sich an die Menge wendet und fragt: "Würden meine nationalen und lokalen Bürger für die hier stimmen?" Dann deutet er auf einen großen Bildschirm hinter sich.

Dort ist etwas zu sehen, das wie Wahlkampfmaterial von Erdogans wichtigstem Herausforderer aussieht, Kemal Kilicdaroglu. Der Oppositionsführer sagt: "Lasst uns gemeinsam zur Wahlurne gehen." Nach ein paar Sekunden erfolgt ein Schnitt zu einer Person in Militäruniform. Die Sequenz scheint immer noch Teil von Kilicdaroglus Wahlkampfvideo zu sein.

Bei dieser zweiten Person handelt es sich um Murat Karayilan, Mitbegründer und Führungspersönlichkeit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), einer militanten kurdischen Organisation, die von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten als terroristische Organisation eingestuft wird.

Behauptung: Mit dem Video will Erdogan seinen Hauptkonkurrenten mit der PKK in Verbindung bringen, die die türkische Regierung ebenfalls als terroristische Vereinigung betrachtet. Doch ist das von Erdogan gezeigte Video echt? Ist Karayilan in Kilicdaroglus Wahlkampfvideo aufgetreten, um diesen zu unterstützen?

DW Faktencheck: Falsch.

Recherchen des DW-Faktencheck-Teams in Zusammenarbeit mit der Türkisch-Redaktion der DW zeigen, dass das Video manipuliert wurde. Zwei separate Videos aus verschiedenen Zusammenhängen wurden miteinander kombiniert. Experten hatten bereits zuvor vor zunehmender Manipulation angesichts der bevorstehenden Wahlen in der Türkei gewarnt.

Aus zwei mach eins

Das erste der beiden Videos ist Kilicdaroglus ursprüngliches Wahlkampfvideo, das hier auf seinem verifizierten YouTube-Kanal in voller Länge verfügbar ist. Es handelt sich um einen typischen politischen Werbespot, in dem die Menschen aufgefordert werden, zur Wahl zu gehen, und der einen Sieg bei den Wahlen verspricht. Aufnahmen von Karayilan oder der PKK kommen jedoch nicht vor.

Ein Wahlplakat von Kemal Kilicdaroglu neben einem Wahlbanner von Recep Tayyip Erdogan auf einer Straße bei Nacht
Schicksalstag: Am 14. Mai wählen Türkinnen und Türken ein neues Parlament und einen neuen PräsidentenBild: Umit Turhan Coskun/NurPhoto/picture alliance

Das von Erdogan gezeigte bearbeitete Material, das eine Nahaufnahme des Originals ist, stammt wahrscheinlich aus der Szene, die bei Sekunde 00:37 in Kilicdaroglus Spot beginnt.

Das lässt sich an Kilicdaroglus Worten ("Lasst uns gemeinsam zur Wahlurne gehen"), der Bewegung seines rechten Arms und den jungen Leuten hinter ihm festmachen. In dem ursprünglichen Kampagnenvideo ist in der unmittelbar darauffolgenden Szene jedoch nicht Murat Karayilan zu sehen, sondern zwei Frauen, die ein Gebäude verlassen.

Altes Filmmaterial aus dem Kontext gerissen

Das zweite Video kann gefunden werden, wenn man eine erweiterte Onlinesuche nach ähnlichen Bildern von Karaliyan in Militärkleidung durchführt.

Das Video zeigt den PKK-Führer, wie er über den Beginn des bewaffneten Kampfes der PKK vor über drei Jahrzehnten spricht, so die Website, auf der es veröffentlicht wurde - die kurdische Nachrichtenagentur Firat. Der Artikel, der das Video begleitet, wurde am 15. August 2021 veröffentlicht.

In Erdogans manipuliertem Video wurde das Bildmaterial von Karayilan wahrscheinlich aus diesem Video entnommen und aus dem Zusammenhang gerissen, um den Eindruck zu erwecken, dass der PKK-Mitbegründer den Präsidentschaftskandidaten Kilicdaroglu unterstützte.
Fazit: Erdogan hat bei der Wahlkampfveranstaltung Szenen aus Kilicdaroglus Wahlkampfvideo mit einer älteren Videobotschaft von Karayilan kombiniert und einen Zusammenhang nahegelegt, der nicht existiert.

Es scheint jedoch nicht, wie von mehreren türkischen Medien behauptet, ein Deepfake zu sein - so bezeichnet man mithilfe künstlicher Intelligenz manipulierte Bild-, Audio- oder Videoaufnahmen.

Politische Relevanz

Mit dem manipulierten Video versucht Erdogan vermutlich, Stimmen aus konservativen und nationalistischen Kreisen sammeln.Auf Twitter repostete Kilicdaroglu das Video und benennt es klar als manipuliert.

Frauen mit Kopftüchern schwenken etliche türkische Fahnen bei einer Wahlveranstaltung
Großaufgebot: Nach offiziellen Angaben sind über 64,1 Millionen Menschen am Sonntag wahlberechtigtBild: Umit Bektas/REUTERS

In einem Fernsehinterview wurde Erdogan auf das manipulierte Video angesprochen – und behauptete etwa, dass es keine Rolle spiele, ob es manipuliert sei oder nicht, da die Aussage dennoch stimme. 

Dieser Artikel wurde am 23. Mai um die Reaktionen der beiden Präsidentschaftskandidaten auf das manipulierte Video ergänzt.

Adaption: Ines Eisele